321 Millionen Gewinn sind kein Grund für Stellenabbau

Lars Mörking im Gespräch mit Anja Wurtz

UZ: In der Versicherungsbranche gibt es seit Jahren Ankündigungen zu Stellenabbau, bei Signal-Iduna war Ende letzten Jahres von 1 400 Stellen die Rede mit dem Ziel, 140 Millionen Euro an Kosten einzusparen. Die Versicherungsbranche „stellt sich neu auf“, indem sie entlässt und „spart“. Ist das eine allgemeine Entwicklung?

Anja Wurtz ist Betriebsrätin bei AXA Konzern AG und aktiv bei ver.di

Anja Wurtz ist Betriebsrätin bei AXA Konzern AG und aktiv bei ver.di

Anja Wurtz: Mit Signal Iduna haben wir es zum ersten Mal damit zu tun, dass Massenentlassungen angekündigt werden.

Aber auch bei der AXA wurde bereits vor vier Jahren ein Stellenabbau von 1 800 angekündigt, worüber wir damals aus der Presse erfahren mussten. Die Begründung lautete bei uns, man müsse sich auf das Wesentliche konzentrieren, um Geld einzusparen – und MitarbeiterInnen im Service zu haben gehört anscheinend nicht dazu.

UZ: Wenn man die Ankündigungen zu Einsparungen liest, könnte man meinen, den Versicherungskonzernen ginge es sehr schlecht …

Anja Wurtz: … laut Geschäftsbericht der AXA haben die Versicherungsgesellschaften der AXA in Deutschland 321 Millionen EUR Gewinn im Jahr 2014 an die Zentrale abgeführt.

Das ist also kein Grund, Druck auf die Beschäftigten auszuüben. Es wird aber dennoch versucht. So gab es bei den Kfz-Versicherungen einen enormen Preiskampf, weil diese Versicherungen als Zugang zum Kunden angesehen wurden, um dann in Folge weitere Versicherungen anbieten und verkaufen zu können. Mit dieser Versicherung hat man also nicht viel Gewinn gemacht, aber Kunden geködert. Hier hat sich das Kundenverhalten verändert, Kfz-Versicherungen werden nun eher online gekauft, während bei Lebensversicherungen o. ä. Beratung verlangt wird.

Das bedeutet, dass diese Versicherungen seltener aus der gleichen Hand kommen. Jetzt wird den Kolleginnen und Kollegen in der Sparte Kfz-Versicherungen vorgeworfen, sie würden keinen Gewinn bringen und es müssten Personalkosten gespart werden.

UZ: Kosten einsparen ist das eine, aber fallen nicht auch Arbeitsplätze durch die Digitalisierung der Arbeit weg, gerade in der Versicherungsbranche?

Anja Wurtz: Ja, das Thema ist auch Digitalisierung. Da kommt jetzt das auf uns zu, was wir bei den Banken schon haben. Das wäre dann das Pendant zu Online-Banking. Das kommt und wird immer mehr.

UZ: Was passiert da konkret? Welche Arbeiten fallen weg?

Anja Wurtz: Im Prinzip ist es eine Abwälzung von Arbeit auf den Endkunden.

Das kann dann auch bedeuten, dass dort, wo es keine Beratungspflicht gibt, Verträge online abgeschlossen werden. Aber auch bei der Beratungspflicht wird geschaut, was schriftlich formuliert werden kann, sodass sich der Kunde dann alles selber durchlesen muss.

In einer zweiten Stufe betrifft es aber auch all das, was vom Außendienst gemacht wird und inzwischen digital eingereicht wird. Wenn alle Kundendaten bereits dort eingegeben werden, muss dies nicht mehr im Innendienst erfolgen. Das geht bis zur Ebene der Texterkennung und digitalen Bearbeitung von Anträgen

UZ: Was sind die Folgen?

Anja Wurtz: Da sollen Stellen wegfallen. Bei uns ist es so, dass gerade entschieden wurde, dass man keine Leute mehr braucht, die den Posteingang bearbeiten. Da wird versucht, alles in die Zentrale zu schicken, wo die Post dann mechanisch bearbeitet werden kann. Programme entscheiden dann anhand des Betreffs, wo das hingeleitet werden muss. Die Kollegen, die das bisher gemacht haben werden bisher eingesetzt, um die automatische Sortierung zu prüfen, eine sehr eintönige Angelegenheit.

UZ: Also geht es dann doch noch nicht ohne Menschen?

Anja Wurtz: Leider kann ich es nicht belegen, aber aus einem anderen Unternehmen habe ich gehört, dass die automatische Texterkennung manchmal unerwünschte Ergebnisse bringt. Die Formulierung „Hiermit kündige ich Ihnen meine Adressänderung an“ mit der Versicherungsnummer im Betreff soll dann schonmal zur automatischen Kündigung der Lebensversicherung geführt haben.

UZ: Wie sieht es mit den Beschäftigten aus, gibt es Widerstand gegen die geplante Einsparung, Stellenabbau und diese Art der Digitalisierung?

Anja Wurtz: Das ist schwierig, da Aktivitäten bzw. Widerstand zu entwickeln, weil ja der Eindruck ist, dass es keine Betroffenen gibt, weil niemand akut entlassen wird – zumindest bei uns nicht.

Die Betroffenen sind ja diejenigen, die nicht angestellt werden und die, die keinen Ausbildungsplatz finden – die sind aber nicht über Betriebsstrukturen mobilisierbar.

Das gilt auch für die Ausgliederung von Beschäftigten aus dem Versicherungstarifvertrag. Ähnlich wie beim Stellenabbau gibt es da bei uns keine persönlich Betroffenen, also niemanden, der aus unserem Betrieb in einen anderen Tarif ausgegliedert wird.

Diejenigen Kolleginnen und Kollegen, die aus dem Betrieb ausgliedert werden, nehmen ihre tariflichen Bedingungen in ihrem Arbeitsvertrag mit, obwohl der Arbeitgeber dann nicht mehr tarifgebunden ist. Die Neueingestellten werden dann aber schon zu ganz anderen Bedingungen angestellt. Bei uns werden also Stellen abgebaut, während zum Beispiel bei der Servicegesellschaft Beschäftigung aufgebaut wird. Das sind dann Tochterunternehmen wie „AXA Customer Care“. Die machen dann die Arbeit wie bei der Hotline oder der Logistik, die zuvor bei uns erledigt wurde.

UZ: Ihr habt mit der „Neue Assekuranz Gewerkschaft“ (NAG) eine Konkurrenz zu ver.di in eurer Branche. Nun ist gerade beim Bundesarbeitsgericht entschieden worden, dass es sich bei der NAG nicht um eine Gewerkschaft handelt. Wie nimmst Du die NAG wahr?

Anja Wurtz: Ich nehme die NAG eigentlich kaum wahr. Sie hat versucht, sich als Initiative gegen die von ver.di beschlossene Forderung nach einer Bürgerversicherung aufzubauen, weil dies die private Versicherungswirtschaft treffen würde.

Die NAG behauptet zwar, dass sie bessere Tarife aushandeln könne, sie hat aber in den Tarifverhandlungen unsere ver.di-Forderungen zunächst verbal unterstützt, dann allerdings nichts Eigenes auf die Beine gebracht und dann im Nachhinein den Abschluss kritisert.

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Über den Autor

Lars Mörking (Jahrgang 1977) ist Politikwissenschaftler. Er arbeitete nach seinem Studium in Peking und war dort Mitarbeiter der Zeitschrift „China heute“.

Mörking arbeitet seit 2011 bei der UZ, zunächst als Redakteur für „Wirtschaft & Soziales“, anschließend als Verantwortlicher für „Internationale Politik“ und zuletzt – bis Anfang 2020 – als Chefredakteur.

 

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"321 Millionen Gewinn sind kein Grund für Stellenabbau", UZ vom 11. Dezember 2015



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