Ein Jahr Bochum ohne Opel

Werner Sarbok im Gespräch mit Günter Gleising

UZ: Im Jahr 1 nach der Schließung des Opel-Werks in Bochum: Wie hat sich die Zukunft für die damals 3 300 Beschäftigten entwickelt?

Günter Gleising

Günter Gleising

Günter Gleising: Schlecht! Noch immer sind über 2 000 Opelaner von Arbeitslosigkeit bedroht. Im einzelnen: 300 wechselten in andere Opel-Werke, 700 in das Warenverteilzentrum (Opel-Warehousing). 2 600 Opelaner mussten in die mit 10,4 Millionen Euro ausgestattete Transfergesellschaft (TÜV Nord) gehen. Davon haben knapp zehn Prozent eine neue Arbeit gefunden. Vor dem Arbeitsgericht Bochum sind 289 Klagen von Opelanern (u. a. auf Weiterbeschäftigung) anhängig. Vor dem Landgericht Darmstadt führt der frühere Betriebsratsvorsitzende Einenkel einen Prozess um die Unrechtmäßigkeit des Schließungsbeschlusses festzustellen.

UZ: War die Schließung des Werkes eine wirtschaftliche oder eine politische Entscheidung, war das Ende für Bochum zwangsläufig?

Günter Gleising: Zunächst ist es wichtig hervorzuheben, dass die Belegschaft keine Verantwortung für die Schließung trägt. Im Gegenteil; in den Bochumer Werkshallen wurden stets gute Autos gebaut. Eine Perspektive für zukunftsorientierte Produkte wurde Bochum vom Konzern General Motors (GM) nicht gegeben. Opel Bochum wurde auf dem Altar der kapitalistischen Wirtschaftsverhältnisse geopfert.

Auch die für die USA herausragende Stellung des GM-Konzerns und die Anerkennung des US-amerikanischen Vormachtstrebens durch die deutsche Politik haben eine große Rolle gespielt. Die Zeche für die Konzerninteressen des US-amerikanischen Mutterkonzerns General Motors und dessen wirtschafts- und machtpolitische Ambitionen bezahlen die Menschen im Ruhrgebiet und NRW.

UZ: Wäre die Schließung zu verhindern gewesen?

Günter Gleising: Der große und beeindruckende Kampf der Bochumer Opel-Belegschaft gegen die Betriebsschließung blieb isoliert. Es gelang nicht, das Gegeneinanderausspielen der einzelnen Belegschaften des GM-Opel-Konzerns zu verhindern. Der große Streik von 2004 in Bochum hätte zu einem Signal für den Kampf zum Erhalt von Arbeitsplätzen, für Arbeitszeitverkürzung und für die Zurückdrängung der Macht der Großkonzerne werden können. Stattdessen setzte sich bei vielen Gewerkschaftsfunktionären, Betriebsräten, Beschäftigten und Politikern das Kirchturmdenken durch.

Während in Bochum das sogenannte Sanierungskonzept des GM-Konzerns für den Opel-Konzern, das „Mastervertrags Drive! 2022“ abgelehnt wurde, stimmten IG Metall und die Opel-Betriebsbelegschaften in Rüsselsheim und den anderen Werken zu. Die Proteste und Kampfaktionen gegen den GM/Opel-Beschluss, die Zafira-Produktion von Bochum ins Opel-Stammwerk nach Rüsselsheim zu verlagern, blieben auf Bochum beschränkt.

Es blieb bei symbolischen Solidaritätsgesten.

UZ: Die Schließung von Opel ist eine bittere Niederlage, und zwar nicht nur wegen der Vernichtung tausender Arbeitsplätze. Welchen Einfluss hat das auf die Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung in Bochum?

Günter Gleising: Die Arbeiterbewegung in Bochum und im Ruhrgebiet wurde geschwächt, vergleichbar mit der Niederlage im Kampf um das Stahlwerk Rheinhausen 1988/92.

Von der Opel-Belegschaft gingen große Kampfmaßnahmen aus, wurden legendäre Streiks (u. a. 1969/70, 1973, 2000, 2004) geführt. Die Impulse, die von der Opel-Belegschaft ausgingen, werden in der IG Metall und den anderen Gewerkschaften fehlen.

Der Kampf und die Entwicklung bei Opel werfen auch, weit über Bochum hinaus, große Fragen für die zukünftige Gewerkschaftsarbeit und die betriebliche Interessenvertretung auf.

Von großer Bedeutung ist dabei die Frage, wie eine Verbindung von betrieblichen mit gesellschaftlichen Kämpfen hergestellt werden kann und welche gesellschaftlichen Bedingungen notwendig sind, um erfolgreiche Kämpfe, auch gegen Großkonzerne, zu führen. Dies zu diskutieren und Schlussfolgerungen zu ziehen, ist eine Herausforderung für die Gewerkschaften und die Arbeiterbewegung insgesamt. Eine weitere wichtige Frage ist, ob die Integration von Flüchtlingen in die betrieblichen und gewerkschaftlichen Kämpfe und in die Arbeiterbewegung gelingt.

UZ: Das Ende von Opel, welche Bedeutung hat das für die Menschen in Bochum?

Günter Gleising: Die Auswirkungen der Schließung des Opel-Werks hat für die Region gravierende wirtschaftliche und soziale Folgen. Bochum hat in den letzten zehn Jahren über 10 000 Vollzeitstellen, viele davon bei Opel, verloren. Die Auswirkungen der Opel-Schließung auf andere Betriebe (z. B. Johnson-Controls) und die auch in Bochum fortschreitende Deindustrialisierung verschärft diese Krise zusätzlich.

Hinzu kommt, dass die Höhe der gezahlten Löhne im Durchschnitt geringer ist als im Umfeld. Bochum wird weiter verarmen. Jede(r) fünfte in der Stadt gilt als arm. Die „Pro-Kopf-Verschuldung“ der Stadt Bochum ist von 2 136 Euro im Jahr 2003 auf über 4 714 Euro in diesem Jahr gestiegen

UZ: Und welche Auswirkungen hat das für die Finanzen der Stadt und NRW?

Günter Gleising: Zunächst wird nach der millionenschweren Subventionierung der Ansiedlung von Opel in Bochum, nun auch der Abgang des Unternehmens hoch mit Steuergeldern subventioniert. Zum Beispiel durch die Finanzierung von Maßnahmen des Job-Centers, dem Abriss von Werkhallen, der Geländeaufbereitung etc.

Die Stadt Bochum hat innerhalb der letzten zwei Jahre einen Einnahmeverlust bei den Steuern von 32 Millionen Euro zu verzeichnen. Ein großer Posten ist der 15-prozentige Anteil an der Lohn- und Einkommensteuer. Die Vernichtung der Arbeitsplätze bei Nokia und Opel schlägt dabei natürlich zu Buche. Die Gewerbesteuerzahlung von Opel fällt ebenfalls weg.

Genauere Zahlen hierzu wurden immer mit Hinweis auf das Steuergeheimnis verweigert. Auch die geringere Kaufkraft durch Lohnverluste schlägt beim Gemeindeanteil an der Umsatzsteuer (zwei Prozent) zu Buche.

Die Stadt Bochum ist weit von einem ausgeglichenen Haushalt entfernt. Der Schuldenstand beträgt 1,7 Milliarden Euro, das neue Haushaltsdefizit für 2016 über 67 Millionen Euro. Es gibt ein Haushaltssicherungskonzept, mit einem drastischen Personalabbau, Leistungseinschränkungen und Rotstiftmaßnahmen.

UZ: Was passiert zurzeit auf dem Opel-Gelände?

Günter Gleising: „Signale“ und Optimismus wurden von Opel-Bossen, Politikern und Regierenden verbreitet. Doch das Versprechen auf den Opel-Flächen „industrielle Arbeitsplätze aller Qualifikationsstufen“ zu schaffen wurde schon nach wenigen Wochen gebrochen.

Schnell wurde eine Gesellschaft (Bochum Perspektive 2022) gegründet und Förderanträge gestellt, um das Logistik-Unternehmen DHL im Bereich von Werk I in Laer (viel Flächenverbrauch und wenige und schlecht bezahlte Arbeitsplätze) ansiedeln zu können. In diesem Werk sind einige Betriebsteile wie die Lackiererei abgerissen. Aber ein Abbruchunternehmen klagt derzeit gegen die Auftragsvergabe an ein Dumping-Unternehmen, sodass hier zurzeit Stillstand herrscht. Hinzu kommt, dass sich Opel Bochum über die Pläne für sein Warenverteilzentrum ausschweigt. Damit ist die Entwicklung der Werke II und III für Jahre blockiert.

Große Versprechungen wurden von Opel gemacht („Wir stehen zu unserer Verantwortung für den Standort Bochum“). Nachdem die Schließung vollzogen, die Belegschaft ihrer Arbeitsplätze beraubt war, sind diese Versprechungen nicht eingehalten worden.

✘ Leserbrief schreiben

An die UZ-Redaktion (leserbriefe (at) unsere-zeit.de)

"Ein Jahr Bochum ohne Opel", UZ vom 18. Dezember 2015



    Bitte beweise, dass du kein Spambot bist und wähle das Symbol Stern.



    UZ Probe-Abo [6 Wochen Gratis]
    Unsere Zeit