Zum Jahrestag des neuen Krieges gegen Gaza

Andauernder Genozid

Der Überraschungsangriff der Hamas und ihrer Verbündeten auf Militäreinrichtungen, Siedlungen und Kibbuzim vor einem Jahr stellte eine Zäsur im jahrzehntelangen Krieg um Palästina dar. 1.139 Israelis und Ausländer wurden getötet, 251 wurden als Geiseln und Kriegsgefangene nach Gaza gebracht. Für die Hamas ging es in diesem Angriff um das Ende der israelischen Blockade von Gaza und die Befreiung von palästinensischen Gefangenen aus israelischer Haft – doch es wurde zum Beginn eines weiten Krieges um Palästina.

„Hannibal auf Erez“ – die Soldaten, die diesen Befehl erhielten, brauchten keine weitere Erläuterung, was er bedeutete. Sie mussten die Entführung von Geiseln am Grenzübergang Erez von Israel nach Gaza verhindern – um jeden Preis.

Es ist israelischen Medien, allen voran der renommierten „Haaretz“, zu danken, dass dieser Aspekt des Geschehens vom 7. Oktober vergangenen Jahres bekannt wurde. Wie viele Israelis am 7. Oktober aufgrund der Hannibal-Direktive unter israelischem Beschuss umkamen, wird sich vermutlich nie abschließend klären lassen. Waren es Dutzende oder vielleicht Hunderte?

Die israelischen Streitkräfte bestritten nicht, dass es solche Fälle gab. Sie warnten aber vor einer Untersuchung dieser Geschehnisse, da es zu viele und komplexe Fälle waren.

Im ersten Ansturm durchbrachen die Kämpfer der Hamas und ihrer Verbündeten die Mauer um Gaza an Dutzenden Stellen. Für unzählige Palästinenser aus Gaza – Zivilisten – war das die erste Möglichkeit, sich außerhalb des „Gefängnisses Gaza“ frei zu bewegen. Ungeschützt, unbewaffnet und unorganisiert fielen viele von ihnen den israelischen Angriffen an diesem Tag zum Opfer.

Jahre zuvor hatte eine Untersuchung der UN die Frage gestellt: Wird Gaza im Jahr 2020 noch bewohnbar sein? Angesichts der israelischen Blockade, angesichts von verschmutztem Trinkwasser, Nahrungsknappheit, Armut und Bevölkerungswachstum auf engstem Raum war die Antwort: Es bedarf einer gewaltigen und andauernden Anstrengung und des entsprechenden politischen Willens, die genannten Probleme zu überwinden. Ohne eine solche Anstrengung wird die Situation für noch mehr Menschen in Gaza unerträglich werden.

Statt Abhilfe für die Probleme kamen andauernde Blockade und Bomben. 2012, 2014, 2021, 2022 – immer wieder kam es zu Kämpfen, in denen die israelische Luftwaffe die überlastete Infrastruktur in Gaza weiter zerstörte. Die Bilder der gewaltigen Zerstörungen, deren sich der israelische Politiker Benjamin Gantz in einem späteren Wahlkampf rühmte, verblassen angesichts der heutigen Verwüstung.

Weit über 40.000 Tote, mehr als 60 Prozent der Gebäude beschädigt oder zerstört, nur noch ein Drittel der Krankenhäuser können wenigstens ein Mindestmaß an Versorgung bieten. Und um nicht nur die Gegenwart Gazas zu zerstören, sondern auch die Zukunft, sind sogar mehr als 85 Prozent der Schulgebäude beschädigt oder zerstört.

Mit dem Austausch von Geiseln im November wurde deutlich, dass ein Waffenstillstand möglich war. Die Führung der Hamas besaß die nötige Kontrolle, um sowohl den Waffenstillstand als auch den Gefangenenaustausch problemlos durchführen zu können. In diesem Austausch wurden 105 Geiseln freigelassen, vier hatte Hamas einseitig freigelassen, acht wurden von israelischen Streitkräften befreit, 101 befinden sich weiterhin in Gaza. Von den palästinensischen Häftlingen, die im Rahmen des Austausches freikamen – es waren vor allem Jugendliche und Frauen, zum Teil in Haft ohne Gerichtsurteil –, wurden etliche mittlerweile wieder inhaftiert.

Die israelische Regierung strebt den totalen Sieg über Hamas an, die Vertreibung der Palästinenser zumindest aus dem Nordteil von Gaza. Wie zu Beginn dieses Krieges mit der Hannibal-Direktive spielt auch jetzt das Schicksal der Geiseln offenbar keine Rolle mehr. Angesichts von mehr als 40.000 Toten aus unmittelbarer Kriegseinwirkung bei zwei Millionen Einwohnern zählt das Leben der Palästinenser nichts. Dabei sind die Toten in Folge der zerstörten Infrastruktur noch nicht gezählt. Die zionistischen Freunde Israels sehen über diesen Genozid gerne hinweg.

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"Andauernder Genozid", UZ vom 4. Oktober 2024



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