Das Werk Zehntausender

Von Stefan Kühner

Hellmut Kapfenberger

Ho-Chi-Minh-Pfad

Die Geschichte der legendären Nachschubtrasse

Verlag Wiljo Heinen

Berlin 2019, 502 S., 22,– EUR

Zu bestellen bei Neue Impulse:

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In der deutschsprachigen Welt ist die legendäre Nachschubtrasse des Vietnamkrieges vom Norden Vietnams in den Süden als Ho-Chi-Minh-Pfad bekannt. In England und den USA heißt sie Ho Chi Minh Trail und in Vietnam Duong Ho Chi Minh. Vom vietnamesischen Militär wird sie nüchtern „Strategische Militärtransportstraße Truong Son“ genannt. Truong Son ist der Gebirgszug, der den Norden des Landes mit dem Süden verbindet. Ein großer Teil liegt auf laotischem und kambodschanischem Territorium. In seinem neuen Buch beschreibt Hellmut Kapfenberger den Bau und die Funktion dieser militärischen Nachschubtrasse, die selbst von der U. S. National Security Agency (NSA) als „eine der größten Errungenschaften militärischen Ingenieurwesens des 20. Jahrhunderts“ bezeichnet wird.

Kapfenberger vermittelt in seinem Buch eine Menge bislang Unbekanntes. Er berichtet, dass es drei Ho-Chi-Minh-Pfade gab. Gemeint ist damit nicht, dass die Strecke durchs Gebirge aus vielen kleinen Straßen, Wegen und vor allem schmalen Trampelpfaden bestand. Neben diesem „Ho-Chi-Minh-Pfad im Gebirge“ gab es nämlich noch einen „Ho-Chi-Minh-Pfad in Form einer Pipeline“ sowie den „Ho-Chi-Minh-Pfad auf dem Meer“. Alle drei sicherten die Lieferung kriegswichtiger Güter für den Kampf der Befreiungsfront im Süden Vietnams.

Als Geburtsdatum für den Bau des Ho-Chi-Minh-Pfads gilt der 19. Mai 1959. Wie kam es dazu? Die Antwort findet sich gleich im ersten Kapitel des Buches. Fünf Jahre nach dem Bruch des Genfer Indochina-Abkommens von 1954 und der durch die USA betriebenen Spaltung des Landes reagierte die Regierung der Demokratischen Republik Vietnam (DRV) mit konkreten Maßnahmen zur Wiederherstellung der Unabhängigkeit, Souveränität und territorialen Integrität für das ganze Land. Der Bruch der Genfer Vereinbarung war alles andere als Zufall. Er lag in der imperialistischen und kolonialen Strategie von Großbritannien und Frankreich sowie deren Unterstützung durch die US-Regierung. Diese hatte bereits lange vor der Niederlage in Dien Bien Phu Frankreich massiv mit Geld und militärischen Ausrüstungen unterstützt.

Welche logistische Herausforderung der Bau und Unterhalt eines Systems von Wegen unter einer permanenten Bombardierung mit sich brachte, kann man nur verstehen, wenn man bedenkt, dass dieses Gebirge in Nordwest-Südost-Richtung eine Ausdehnung von circa 1 100 und in West-Ost-Richtung 100 Kilometer umfasst. Die Topographie ist geprägt durch Schluchten und Gipfel von bis zu 2 771 Metern. Trotz dieser schwierigen Bedingungen gelang es bereits 1963, auf den Schultern von Trägergruppen und auf Lastenfahrrädern große Mengen an Material über vietnamesisches, laotisches und kambodschanisches Gebiet nach dem Süden zu bringen.

Spätestens beim Übergang zu motorisierten Transporten stand die Aufgabe, die Versorgung der Kämpfer mit Kraftstoff zu organisieren. Ausgangspunkt für die Kraftstoffversorgung war der Hafen Haiphong. Was sowjetische Tanker aus dem fernöstlichen Wladiwostok brachten, wurde im einzigen Überseehafen Nordvietnams gelöscht und dann über LKW nach Süden auf den Weg geschickt. Diese Transporte waren aber eines der bevorzugten Ziele von Bombenangriffen. Die verantwortlichen Militärs suchten nach Alternativen. Rohre aus Bambus bewährten sich nicht. Für eine richtige Pipeline fehlte es an Röhren. Bei einem Aufenthalt von General Vo Nguyen Giap in der Sowjetunion wurde ihm auf seine Bitte hin zugesagt, zunächst 100 Kilometer Rohre zu liefern. Nach dem Sieg wurde bekannt, dass insgesamt 5 000 Kilometer Rohre verlegt worden waren.

Schon früh wurde beschlossen, den Nachschub auch übers Meer vorzubereiten. Wie gefährlich dies war, zeigte sich gleich beim ersten Versuch. „Bei heftigem Regen und starkem Wellengang stach eines Nachts Ende Januar 1960 das erste kleine Holzschiff in See. Es kam nie an. Wie sich später herausstellte, war das Schiff von der Saigoner Marine abgefangen worden. Die fünf Besatzungsmitglieder wurden gefangen­genommen, vier von ihnen wurden getötet.“ Trotzdem wurde das Ziel, auf dem Seeweg Waffen und Versorgungsgüter in den Süden zu bringen, weiter verfolgt. Begonnen wurde mit kleinen hölzernen Schiffen. Ab 1964 wurden auch Schiffe mit stählernem Rumpf gebaut. Die Missionen der Schiffe blieben ungeheuer gefährlich und viele der Matrosen verloren das Leben.

Hellmut Kapfenberger spricht von den Ho-Chi-Minh-Pfaden als einem Werk von „zehntausenden namenlosen Helden“. Wer aber erwartet, dass in dem Buch einzelne Heldengeschichten oder gar Kriegsverherrlichung zu finden sind, wird enttäuscht. Das Buch ist ein eindringlicher, nüchterner Bericht voll historischer Fakten. Allerdings auch voll Sympathie für den Kampf um die Unabhängigkeit Vietnams.

Ergänzt wird das Buch durch 50 Seiten mit Anmerkungen, Quellen, Literaturhinweisen und Karten.

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"Das Werk Zehntausender", UZ vom 24. Mai 2019



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