Die neuen Marxistischen Blätter 2_2016 sind ausgeliefert

Der nützliche Feind: IS & Co.

Von LoG

der nuetzliche feind is co - Der nützliche Feind: IS & Co. - Marxistische Blätter - Theorie & Geschichte

Marxistische Blätter 2_2016, Der nützliche Feind: IS & Co, 152 Seiten, 9,50 Euro, erhältlich bei Neue Impulse Verlag, Hoffnungstraße 18, 45127 Essen; Tel. 0201–23 67 57; E-Mail: info@neue-impulse-verlag.de

Es ist unglaubliche elf Jahre her, dass die Marxistischen Blätter in einem Schwerpunkt über das „Feindbild Islam“ geschrieben haben. Liest man erneut Editorial und Beiträge dieser Ausgabe (4_2005), ist man vielleicht überrascht, aber auf jeden Fall erschrocken über Aktualität und Gültigkeit der Hintergrundbeiträge, Argumente, Einschätzungen der AutorInnen.

Erschreckend ist vor allem, dass seitdem alles noch viel schlimmer geworden ist. Der globale „Krieg gegen den Terror“, den G. W. Bush nach dem 11. September 2001 ausgerufen und mit einer „Koalition der Willigen“ geführt hat, löste keinen einzigen Interessenkonflikt, sondern hat viele neue Konfliktherde geschaffen. Die globale Kriegsgefahr ist dramatisch gewachsen. An der Eskalationsspirale von „Terror-Angriffen“ und „Anti-Terror-Maßnahmen“ wird ungebremst gedreht. Die Bundeswehr wird dabei mit neuem Milliarden-Etat aufgerüstet für den weltweiten Kriegseinsatz. Das nützliche Feindbild funktioniert also besser denn je. „Islam“ und „Terror“ sind als Begriffszwillinge heute fest etabliert. Standen anfangs nur El Kaida und Osama bin Laden im Fokus, ist die Gefahr heute metastasiert, nicht nur bezüglich neuer Akteure. Die Angst vor „islamistischer Bedrohung“ ist weit in bundesdeutsches Alltagsbewusstsein, in unser Leben vorgedrungen. Auch die Mobilisierungs- und Wahlerfolge von Pegida und ihrem parlamentarischen Arm AfD zeugen davon.

Wissend, dass der massenhaften Feindbildproduktion und -propaganda allein mit Aufklärung nicht beizukommen ist, wie wir bereits 2005 schrieben, bleibt uns trotzdem nichts anderes, als aufzuklären. Blicken wir also genauer auf den nützlichen Feind IS & Co., auf seine Konstruktion, seine Konstrukteure, seinen Nutzen, seine Nutznießer – mit dem Ziel, mehr Klarheit zu schaffen, was Terrorismus genau ist und wie man ihn wirkungsvoller als derzeit üblich bekämpfen kann.

Jens Wernicke sprach mit dem deutsch-palästinensischen Politologen Imad Mustafa über Hintergründe und Ursachen der Politisierung und teilweisen Radikalisierung im Islam und des wachsenden antimuslimischen Rassismus, aber auch über Chancen der Kooperation jenseits von Vorurteilen, Rassismus und Angst. „Ob es um die Kölner Silvesternacht geht, um die Flüchtlingsfrage, um Integrationsprobleme oder um Terrorgefahr durch Islamisten, immer wird in der politischen Diskussion und der medialen Berichterstattung Alterität konstruiert, d. h. die Matrix von Vorstellungen von uns und den Anderen, die nur allzu oft an weitverbreitete, tief in der europäischen Geschichte wurzelnde anti-islamische, anti-arabische, rassistische Ressentiments anschließt“, schreibt Salvador Oberhaus eingangs seines Beitrages. „Dieses binäre Denken privilegiert fast immer eine Seite, so dass ‚der Andere‘ als das Negative des Ersten erscheint.“ Am Beispiel des „Deutschen Djihad“ im Ersten Weltkrieg zeigt er u. a., welche fatalen realpolitischen Folgen ein völlig falsch konstruiertes Bild von Islam und Orient damals hatte. Joachim Guilliard analysiert in seinem Beitrag „Terror made bei NATO“ konkret an den Fallbeispielen Irak und Syrien nicht das Phänomen eines zunehmenden „islamistischen Terrorismus“, sondern wie verschiedenste bewaffnete Kampfgruppen mit islamistischer Ideologie derart wachsen und sich verbreiten konnten. Klaus von Raussendorff informiert, wie im heutigen internationalen Diskurs Islamgelehrte selber über den takfiristischen Terrorismus diskutieren. Klaus Wagener argumentiert in „High-Tech-Terroristen“, wie der Repressionsapparat des Imperialismus im „Global War on Terror“ seine ultimative Form gefunden hat: das anonyme, automatisierte, ferngesteuerte Mordprogramm. Der Politikwissenschaftler und Friedensaktivist Rudolph Bauer gibt Denkanstöße, wie der verrohenden und lähmenden Dominanz des Militärischen begegnet werden kann. Zu dem Zweck versucht er Ordnung in das begriffliche Chaos in der Debatte über Terrorismus zu bringen, wirbt für ein tieferes Verständnis seiner kolonialen/postkolonialen Vorgeschichte sowie seiner aktuellen Entstehungsbedingungen. Vor diesem Hintergrund sei erkennbar, dass der Terror in Ländern des Südens zur politischen Destabilisierung dient und ablenkt von den Aufgaben der politischen Umgestaltung. Sein Fazit: „Der Krieg gegen den Terror gebiert nur neuen Terror.“ Die Bekämpfung des Terrorismus mit militärischen Mitteln sei daher ein Fehler. Für die Friedensbewegung stellt er sechs Schlussfolgerungen zur Positionierung zur Diskussion. Im letzten Beitrag des Schwerpunktes macht Dirk De Block, Stadtrat der belgischen Partei der Arbeit in Brüssel, vor dem Hintergrund seiner Arbeitserfahrungen im Brüsseler Vorort Molenbeek Vorschläge zur Bekämpfung dschihadistischer Radikalisierung von Jugendlichen vor Ort.

Nicht direkt zum Schwerpunkt, aber in den höchst aktuellen Kontext nationaler Befreiung von imperialistischer Vorherrschaft gehören auch die sehr anregenden Beiträge von Priscilla Metscher über James Connolly, die erweiterte Klassenpolitik und den irischen Osteraufstand von 1916, der übrigens zeitgleich in der Zeitschrift der Londoner Marx-Memorial-Library „Theory & Struggle“ erscheint, sowie „Ein anderer Weg für Griechenland“ von Andreas Wehr.

Klärende Diskussionen anregen werden hoffentlich auch die erfrischend anderen Anmerkungen des linken Kriminologen Michael Stiels-Glenn zu den Vorgängen in der Kölner Silvesternacht 2015 und die grundsätzliche, methodische Kritik des US-amerikanischen Historikers und Kommunisten Roger Keeran an dem Ende 2014 auf den deutschen Büchermarkt geschmissenen Buch „Chruschtschows Lügen“. In ihm untersucht der US-amerikanische Literaturwissenschaftler Grover Furr die „wirkmächtigste Rede des 20. Jahrhunderts“, Chruschtschows Geheimrede im Rahmen des XX.Parteitages der KPdSU 1956.

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"Der nützliche Feind: IS & Co.", UZ vom 18. März 2016



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