Warum das das herrschende ökonomische Dogma vor der Klimakatastrophe versagt

Der Preis der toten Fische

Von Vincent Cziesla

Die Neoklassische Theorie

Die Neoklassik ist das dominierende ökonomische Theoriegebäude unserer Zeit. Sie beherrscht die Universitäten und auch die sogenannte „Klimaökonomie“. Im Zentrum der neoklassischen Ökonomie steht der Glaube an das spontane Gleichgewicht des Marktes. Kapitalistische Systeme gelten als grundsätzlich stabil und funktionsfähig, weil freie Märkte einen dauerhaften Ausgleich zwischen Angebot und Nachfrage erzeugen und somit gleichzeitig auch noch für das gesellschaftliche und volkswirtschaftliche Optimum sorgen. Überproduktion oder Unterversorgung können nicht entstehen. Dabei stützen sich die Neoklassiker auf sonderbare Grundannahmen: Dazu gehört, neben der „Vollkommenheit der Märkte“, auch die Überzeugung, dass der Mensch ein über alle Marktvorgänge informierter „homo oeconomicus“, also ein stets rational handelnder Maximierer des eigenen Nutzens, ist.

Die Realität sieht natürlich anders aus. Die Märkte versagen regelmäßig bei der Vermeidung von Überproduktionen und erst recht bei der Herstellung der bestmöglichen Wohlfahrt. Dass dem so ist, erklärt die neoklassische Ökonomie durch schädliche Einflüsse auf das Marktgeschehen. Diese „Unvollkommenheiten“ müssten, so die Annahme, beseitigt werden. Mit der Befreiung der Märkte würde sich dann das für den universalen Ausgleich sorgende Gleichgewicht einstellen.

Die CO2-Steuer ist unsozial. Sie wird Menschen mit niedrigem Einkommen treffen, weil diese sich kein neues Auto, keine neue Heizung und keine nachhaltig produzierten Lebensmittel leisten können. Sie wird das gesamte Leben verteuern, nicht etwa deswegen, weil die Menschen aus moralischer Niedertracht zum Konsum von weltzerstörenden Produkten neigen, sondern weil schlicht kaum etwas emissionsfrei produziert, transportiert oder mit Energie versorgt wird. Die Schuld an der Klimakrise wird den Konsumenten aufgebürdet, die es als letztes Glied in der Kette „ja nicht anders gewollt haben“ und durch eine Verbrauchssteuer zur „Vernunft“ gebracht werden sollen. Das ist sachlich falsch und irreführend moralisierend.

So, oder so ähnlich wird die CO2-Steuer häufig von links kritisiert. Daran ist wenig auszusetzen. Doch bleibt die Kritik an diesem Punkt stehen, dann wird sie sich über kurz oder lang selbst isolieren. Denn was bedeuten schon soziale Verwerfungen und ein paar kleinere Ungerechtigkeiten, wenn dadurch der Weltuntergang verhindert werden kann? Muss man nicht genau jetzt auf Klassenpolitik und „sozialistische Träumereien“ verzichten und der Klimakatastrophe geschlossen entgegentreten?

Zunächst ist festzustellen, dass die menschengemachte globale Erwärmung nicht mit dem unmittelbar bevorstehenden „Weltuntergang“ gleichzusetzen ist. Insbesondere die Hauptverursacher der Klimakrise in den westlichen industrialisierten Staaten könnten noch viele Jahre so weitermachen wie bisher, ohne an eine „natürliche Grenze“ zu stoßen. Die gewaltigen Schäden treten zunächst in den ärmeren Ländern des globalen Südens auf. Nach Einschätzung des UN-Flüchtlingshilfswerkes werden in den nächsten 50 Jahren zwischen 250 Millionen und einer Milliarde Menschen zu Klimaflüchtlingen. Diese Ausführungen sind keine Beschwichtigungen, im Gegenteil: Es ist das Gebot der Stunde, die globale Erwärmung aufzuhalten. Es ist eine Frage der internationalen Solidarität, dies so früh und so umfassend wie nur möglich zu tun.

Für die bürgerliche Klimaschutzpolitik spielt die Frage nach dem Grad der eigenen Betroffenheit jedoch durchaus eine Rolle. Solange die Welt nicht tatsächlich untergeht, wird nicht nach den besten und schnellsten Maßnahmen zur tatsächlichen Bekämpfung der Klimakrise, sondern nach einem markt­orientierten und „kosteneffizienten“ Umgang mit dem Problem gesucht. Diesen glaubt man mit der Bepreisung von Treibhausgasemissionen gefunden zu haben. Denn dadurch, so die Grundüberzeugung, werden Emissionen verringert. Sollte diese Verringerung nicht „wirtschaftlich“ sein, so wird zumindest genug Geld erwirtschaftet, um die entstehenden Schäden auszugleichen. Dieser Ansatz muss offengelegt werden.

Was muss Klimaschutzpolitik leisten?

Es ist wichtig, den aktuellen Forschungsstand zur Globalen Erwärmung und die daraus hervorgehenden Zielsetzungen in das Zentrum der Debatte zu rücken. Schreitet die Emission von Treibhausgasen ungebremst voran, steht der Welt eine Katastrophe von unvorstellbarem Ausmaß bevor. Mit jedem verstrichenen Jahr steigt die Treibhausgaskonzentration in der Atmosphäre an. Dadurch wird der Treibhauseffekt verstärkt und die globale Erwärmung vorangetrieben. Aufhalten lässt sich dieser Prozess nur durch das Erreichen der Netto-Null-Emission. Nur dann, wenn nicht mehr Treibhausgase freigesetzt, als durch die natürlichen (oder technischen) Prozesse auf der Erde wieder gebunden werden, wird der Abbau der Konzentration ermöglicht.

Eine wirksame Klimapolitik muss also eine Bedingung erfüllen: Sie muss festlegen, wann die notwendige Emissionsneutralität erreicht wird. Dabei ist Eile geboten. Bereits um das Jahr 2040 wird die globale Temperatur um 1,5 Grad Celsius im Vergleich zum vorindustriellen Stand gestiegen sein, wenn die Treibhausgasemissionen nicht in kürzester Zeit signifikant sinken. Damit würde das international angestrebte 1,5-Grad-Ziel gerissen.

Bei einem Temperaturanstieg von mehr als 1,5 Grad steigt die Wahrscheinlichkeit für die Auslösung der sogenannten „Kippelemente“ im Erdsystem drastisch an. Dabei handelt es sich um Prozesse, die, wenn sie einmal ausgelöst sind, unaufhaltsam voranschreiten und ihrerseits Auswirkungen auf die klimatischen Veränderungen entfalten. Als Beispiel sei die drohende Gefahr durch das Auftauen der Permafrostböden genannt. In diesen eigentlich ganzjährig gefrorenen Böden lagern gewaltige Kohlenstoffmengen, die bei einem Auftauprozess als Kohlendioxid freigesetzt würden.

Nach Einschätzung des Weltklimarates müssen die Kohlendioxid-Emissionen zwischen den Jahren 2010 und 2030 um mindestens 45 Prozent sinken, um das 1,5-Grad-Ziel einzuhalten. Die weltweite Emissionsneutralität muss bis zum Jahr 2050 erreicht werden. Die westlichen Industriestaaten stehen dabei in der Pflicht, ihre Emissionen schon deutlich vor diesem Zeitpunkt zu neutralisieren. In Deutschland, so fordern unter anderem die Wissenschaftler von „Scientists for Future“, ist die Emissionsneutralität deutlich vor 2040, am besten bis 2035 anzustreben.

Wie soll die CO2-Steuer funktionieren?

Nach der gängigen Auffassung der neoklassischen Ökonomen (siehe Kasten) handelt es sich bei der Klimakrise um eine Art „Betriebsunfall“. Die Tatsache, dass viel mehr Treibhausgase produziert werden, als der Planet verträgt, wird durch ein Marktversagen erklärt. Folglich besteht der politische Handlungsbedarf lediglich darin, den Markt zu „reparieren“ und dann auf seine heilsamen Kräfte zu vertrauen.

Diese „Marktreparaturen“ folgen zwei Grundansätzen: Privatisieren und Internalisieren. Die Privatisierung der Atmosphäre steht im Mittelpunkt von Emissionshandelskonzepten. Durch die Vergabe von „Verschmutzungsrechten“ soll ein Markt geschaffen werden, dessen Mechanismen dann den „optimalen“ Preis für den Ausstoß von CO2 ermitteln. Das Recht, die Welt zu verpesten, wird als Ware gehandelt. Mit dem notwendigen Ziel der Netto-Null-Emission ist dieser Ansatz nicht zu vereinbaren. Bei der CO2-Steuer verhält es sich ähnlich: Nur wird hier ein Preis vorgegeben. Der Marktprozess soll dann ausgleichend für die „optimale“ Menge an CO2-Emissionen sorgen. Doch woher kommt dieser Preis?

Es handelt sich um den Versuch der Internalisierung von sogenannten externen Effekten. Mit diesem Begriff werden Auswirkungen von wirtschaftlichen Tätigkeiten auf unbeteiligte Dritte beschrieben. Dadurch auftretende Schäden werden nicht durch Marktprozesse reguliert, weil sie eben extern sind, also im wirtschaftlichen Handeln des Verursachers unberücksichtigt bleiben. Nehmen wir das Beispiel einer Fabrik, die Abwässer in einen Fluss ableitet. Durch das damit einhergehende Fischsterben entstehen Verluste bei den ansässigen Fischern. Nach der gängigen Markttheorie bestünde die Lösung nun darin, die den Fischern entstehenden Kosten zu ermitteln und sie dem Fabrikbesitzer aufzuerlegen. Der Fabrikant hat nun die freie Entscheidung: Er kann die Fischereischäden ausgleichen oder seine Produktionsweise ändern. Dafür wird er abwägen, ob die Kosten der Schadensvermeidung höher sind, als die durch die Schäden entstehenden Ausgleichszahlungen.

Dieses Grundschema wird nun auf die Klimakatastrophe angewendet. Die Kosten der globalen Erwärmung werden ermittelt und dann in Form einer Steuer internalisiert. Allein schon die Kostenermittlung ist ein schwieriges und absurdes Unterfangen. Wie hoch ist der Schaden, wenn eine Milliarde Menschen aus ihrer Heimat vertrieben werden? Was kostet der Verlust der Biodiversität? Welchen Geldbetrag sieht man vor für ein von Unwettern getötetes Kind? Zahlreiche Studien haben genau diese Fragen untersucht. Das DIW beziffert die Kosten des Klimawandels auf 200 000 Milliarden US-Dollar. Es bedarf keiner weiteren Erklärung, dass sich das ungeheure Leid, das der Klimawandel verursachen wird, nicht auf diese Weise erfassen lässt.

Nach neoklassischem Denkmuster wäre es nun sinnvoll, diese Kosten als Steuer auf die CO2-Produktion aufzuschlagen. Die Produzenten gäben die Kosten an die Verbraucher weiter und die Preise würden endlich die „ökologische Wahrheit“ sagen. Dann beginnt der oben skizzierte Abwägungsprozess. Die CO2-Steuer führt nicht zur Emissionsneutralität. Selbst wenn der Marktprozess so funktioniert, wie angenommen, werden nur Schäden vermieden, deren Vermeidungskosten niedriger sind als die „eingepreisten“ Kosten, die sie verursachen. Welcher Grad der Klimazerstörung ist wirtschaftlich in Kauf zu nehmen? Eine groteske Frage. Abschließend ist es notwendig zu erwähnen, dass kein bisher diskutiertes Steuerkonzept davon ausgeht, dass die Steuereinnahmen tatsächlich an die vom Klimawandel Geschädigten gehen. Stattdessen soll es Rückzahlungen oder Investitionen in die Konkurrenzfähigkeit der hiesigen Industrie geben.

Und was ist mit Schweden?

Bleibt noch der Einwand, dass eine CO2-Steuer jenseits aller markttheoretischen Klimmzüge für einen sinkenden Verbrauch von klimaschädlichen Gütern und damit für zumindest deutlich sinkende Emissionen sorgen wird. Als Paradebeispiel wird stets Schweden genannt. Dort gilt mit 120 Euro je Tonne die höchste CO2-Steuer weltweit. Sie wurde 1991 mit einem Preis von 27 Euro je Tonne eingeführt. Stets wird darauf verwiesen, dass die Treibhaus­gasemissionen in Schweden zwischen 1990 und 2016 um sagenhafte 26 Prozent sanken. Was dabei nicht erwähnt wird, ist, dass dieser Wert lediglich im europäischen Mittelfeld liegt. In Deutschland und Dänemark sanken die Emissionen im gleichen Zeitraum beispielsweise um 27 Prozent. In Schweden sanken die Emissionen in den ersten 17 Jahren nach Einführung der Steuer um 12 Prozent. Untersuchungen zufolge wurden von diesem Rückgang gerade einmal 0,2 bis 3,5 Prozent durch die Besteuerung verursacht. Zur Erinnerung: In 17 Jahren sollte Deutschland die Emissionsneutralität bereits erreicht haben!

Es fällt schwer zu glauben, dass die Besteuerung signifikante Auswirkungen auf konsumbedingte CO2-Emissionen haben wird. So ist nicht anzunehmen, dass der motorisierte Verkehr durch die Einführung stark sinken wird. Was tatsächlich helfen könnte: ein kostenloser, gut ausgebauter ÖPNV, die radikale Verlagerung des Güterverkehrs auf die Schiene und sichere Radwege. Eine Verteuerung des Konsums ohne die Schaffung von bezahlbaren Alternativen hat keinen positiven Klimaeffekt. Übrig bleibt eben nur die Verteuerung des Lebens.

Nein, die CO2-Steuer ist nicht das „Mittel der Wahl“ (Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung, DIW) im Kampf gegen die Klimakrise, weil sie überhaupt nicht das Ziel verfolgt, die globale Erwärmung aufzuhalten. Sie ist vielmehr Ausfluss einer Politik, die die kapitalistische Wirtschaftsweise zu stabilisieren versucht. Gelingt dies am günstigsten durch das Ende der Treibhausgas-Emissionen, gut! Ist es kosteneffizienter, die Zerstörung der halben Welt in Kauf zu nehmen, auch gut! Sie wird nicht zu der großen Transformation führen, die notwendig ist, um die gesamte Produktion in der verbleibenden Zeit klimaneutral zu gestalten. Dafür braucht es politische Eingriffe in die Produktion selbst. Marktmechanismen werden erst an dem Tag zur benötigten Null-Emission führen, an dem es kostengünstiger geworden ist, den Klimawandel zu stoppen, anstatt ihn einfach geschehen zu lassen. Dann aber wird es zu spät sein.

Über den Autor

Vincent Cziesla, Jahrgang 1988, ist seit dem Jahr 2023 Redakteur für das Ressort „Politik“. Der UZ ist er schon seit Jahren als Autor und Verfasser der „Kommunalpolitischen Kolumne“ verbunden. Während eines Praktikums lernte er die Arbeit in der Redaktion kennen und schätzen.

Cziesla ist Mitglied des Neusser Stadtrates und war von 2014 bis 2022 als hauptamtlicher Fraktionsgeschäftsführer der Linksfraktion in Neuss beschäftigt. Nebenberuflich arbeitet er in der Pflege und Betreuung von Menschen mit Behinderung.

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"Der Preis der toten Fische", UZ vom 23. August 2019



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