Über die Hetze der Grünen gegen Nord Stream 2 und Russland

Der Russe war’s nicht

Rechtzeitig zu Beginn der Koalitionsverhandlungen meldete sich Annalena Baerbock zu Wort. Es ging um das Leib-und-Magen-Thema der Grünen: Nord Stream 2 müsse um jeden Preis verhindert werden: „Wir dürfen uns nicht erpressen lassen.“ Moskau setze Deutschland mit „gehörig nach unten gefahrenen Gaslieferungen“ unter Druck. Die selbsternannte „Völkerrechtlerin“ (ohne juristisches Staatsexamen) gibt zusätzlich zum Besten, dem russischen Betreiber von Nord Stream 2 könne die Betriebserlaubnis nicht erteilt werden. Glücklicherweise entscheidet nicht Baerbock über die Genehmigung, sondern die Bundesnetzagentur. Bundeskanzler in spe Olaf Scholz (mit zwei juristischen Staatsexamina) spricht von „ganz formalen Prozessen“, technisch ist die Pipeline ohnehin schon seit Monaten genehmigt.

Das Projekt Nord Stream 2 umfasst Bau und Betrieb einer 1.230 Kilometer langen Pipeline vom russischen Ust-Luga bis zur Anlandestation in Lubmin bei Greifswald. Vertraglich vereinbart ist eine Liefermenge von 55 Milliarden Kubikmeter Gas jährlich. Für die Baerbocksche Behauptung, Russland werde den Gashahn zudrehen, gibt es keine Anhaltspunkte. Im Gegenteil: Russland drängt auf die schnelle Inbetriebnahme. Auch von einer Verminderung der Gaslieferungen kann keine Rede sein. Der Vorsitzende des Ostausschusses der deutschen Wirtschaft, Oliver Hermes, lobt die Vertragstreue der russischen Seite: „Gazprom erfüllt seine Lieferverträge. Russisches Pipelinegas ist aktuell deutlich günstiger als Gas auf dem Spotmarkt. Dies schirmt Europa ein Stück weit gegen die hohen Weltmarktpreise ab.“ Selbst der ansonsten nicht für Russlandfreundlichkeit bekannte Hohe Vertreter der Europäischen Union, Josep Borrell, kam am 18. Oktober nicht daran vorbei, festzustellen: „Russland hat alle seine Verträge eingehalten.“ Auch Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) sieht „keine Abhängigkeit von Russland.“ Es spricht folglich alles dafür, dass die Analyse des russischen Botschafters in Deutschland, Sergei Netschajew, zutrifft, der in einem Interview mit der „Berliner Zeitung“ in der vergangenen Woche feststellte: „Das Projekt entspricht den Interessen der deutschen Wirtschaft und der Bevölkerung. Es garantiert die Energiesicherheit.“

Die russischen Erdgaslieferungen an Europa erreichten 2020 mit 167,7 Milliarden Kubikmeter ihren Höchststand, etwa ein Drittel davon entfiel auf deutsche Abnehmer. Weitere Hauptlieferanten für den deutschen Energiemarkt sind Norwegen mit 27 und die Niederlande mit 21 Prozent. Der Anstieg der Erdgaspreise auf dem internationalen Markt im letzten Jahr ist signifikant, aber nicht, weil „Putin den Gashahn zugedreht“ hätte, wie die Bildzeitung meint. Auf dem wichtigsten Gasterminmarkt, dem niederländischen „Title Transfer Facility“ (TTF), ging der Preis je Megawattstunde von knapp 17 Euro im Januar 2021 auf aktuell über 72 Euro durch die Decke. Die weltweite Nachfrage nach Energie ist nach dem Abflauen der Corona-Pandemie stark angestiegen, die Erdgasproduktion in Norwegen, den Niederlanden und Großbritannien fiel wegen zunehmend knapper Ressourcen und den damit einhergehenden Förderproblemen zurück und gleichzeitig verlangen die boomenden Märkte in Asien nach größeren Lieferkapazitäten.

Selbstverständlich ist Erdgas als Energieträger eine Ware, die den Gesetzen der kapitalistischen Preisbildung gehorcht. Von der international steigenden Nachfrage profitieren Energiemonopolisten wie Gazprom, aber auch deren Aktionäre wie die deutsche EON-Ruhrgas, die 6,43 Prozent an Gazprom hält. Oder die an Nord Stream 2 mit jeweils 15,5 Prozent beteiligten deutschen Energieunternehmen Wintershall Dea GmbH und PEGI/EON, die ein eigenes Interesse an der Inbetriebnahme haben. Gleichwohl wird Nord Stream 2 für eine Entspannung der europäischen Gaspreise sorgen: Wie das Energiewirtschaftliche Institut der Universität Köln (EWI) in einem Gutachten festgestellt hat, erhöht Nord Stream 2 das Gasangebot in Europa, was mittelfristig zu einem Sinken der Preise führen wird.

Über den Autor

Ralf Hohmann (Jahrgang 1959) ist Rechtswissenschaftler.

Nach seinen Promotionen im Bereich Jura und in Philosophie arbeitete er im Bereich der Strafverteidigung, Anwaltsfortbildung und nahm Lehraufträge an Universitäten wahr.

Er schreibt seit Mai 2019 regelmäßig für die UZ.

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"Der Russe war’s nicht", UZ vom 29. Oktober 2021



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