Die KPD im antifaschistischen Widerstandskampf – Teil 6

Der Terror setzt ein

Dem Ehepaar Mörschel gehörte das Sporthaus Ziegenhals. Wie viele Mitglieder der KPD hatten sie sich seit Sommer 1932 auf die Illegalität vorbereitet. Ihr Sporthaus diente bereits zuvor der Partei und anderen Organisationen der Arbeiterbewegung als Tagungsort. Nun bekamen sie Besuch. Hermann Dünow und Otto Franke, zwei hauptamtliche Funktionäre der KPD, die den Auftrag hatten, nahe an Berlin, zentral, aber versteckt, eine Tagung des Zentralkomitees zu ermöglichen. Das Sporthaus Ziegenhals bei Niederlehne, nahe Königs Wusterhausen in Brandenburg, bot sich dafür an.

Ziegenhalser Tagung

Neben den Mitgliedern des Zentralkomitees waren weitere führende Genossen der KPD anwesend. Mit Bernhard Bästlein nahm der Kopf der späteren Bästlein-Jacob-Abshagen-Widerstandsgruppe an der Tagung teil. Die Orientierung Ernst Thälmanns, später von Georgi Dimitroff auf dem VII. Weltkongress der Kommunistischen Internationale bekräftigt, dass die Arbeiterklasse die zentrale Rolle im antifaschistischen Kampf spielen müsse, setzte diese Gruppe durch die Bildung eines weitverzweigten Netzes antifaschistischer Betriebsgruppen aus allen Teilen der Arbeiterbewegung um. Rüstungsprojekte konnten durch die Tätigkeit dieser Gruppe verzögert werden, vor allem die Gruppe Werften war hoch organisiert.

0810MarinusvanderLubbe1 - Der Terror setzt ein - Antifaschismus, KPD, Reichstagsbrand - Theorie & Geschichte
Als Täter präsentierten die Nazis den niederländischen Arbeiter Marinus van der Lubbe, der im brennenden Reichstagsgebäude verhaftet wurde. Er wurde im Januar 1934 hingerichtet. (Foto: gemeinfrei)

Thälmanns Referat auf der Tagung war davon geprägt, dass die Tiefe der Niederlage noch nicht begriffen worden war. Erst im Verlauf des Jahres 1933 und final mit den Erkenntnissen des VII. Weltkongresses 1935 konnte das komplexe Verhältnis eines „brutalen, aber nicht festen“ Systems erfasst werden. Bereits in Ziegenhals betonte Thälmann aber, dass es einen qualitativen Unterschied zwischen der bürgerlich-demokratischen und der faschistischen Form der Herrschaft des Monopolkapitals gebe. Existiere dieser qualitative Unterschied – so tastete sich Thälmann an die Konsequenz heran –, so müsse die Zerschlagung der faschistischen Herrschaft nicht gleichbedeutend sein mit der sozialistischen Revolution. Da Letztere unverändert aber das Ziel der Kommunisten bleibe, müsse der antifaschistische Widerstandskampf so geführt werden, dass er möglichst große Teile dieser Kräfte an die sozialistische Revolution heranführe. Da einige der Teilnehmer der Ziegenhalser Tagung auch am VII. Weltkongress und dessen Vorbereitung beteiligt waren, liegt es nahe, dessen Thesen in einem Erb- und Fortsetzungsverhältnis zu Thälmanns Referat zu lesen.

„Legalistische Illusionen“

Die KPD hatte relativ früh Teile ihres Apparates auf die Illegalität vorbereitet. Praktisch baute sie fast überall einen parallel arbeitenden, eine Art „zweite Linie“ bildenden Apparat auf. Sie wollte so lange es irgend ging legal auftreten und verteidigte damit entschieden die demokratischen Rechte der Arbeiter. Da aber gleichzeitig der qualitativ veränderte Charakter der Herrschaft des Monopolkapitals nur unzureichend begriffen war, setzten sich auch legalistische Illusionen fest. Vor allem dort, wo die Anbindung an die Parteiführung unzureichend war. Thälmann beharrte deswegen darauf: „Schon die ersten Taten der Hitlerregierung beweisen den ganzen tiefen Ernst der Situation. Es wäre ein Verbrechen, irgendwelche legalistischen Illusionen in unseren Reihen zu dulden. Wir müssen in der ganzen Arbeiterklasse darüber Klarheit schaffen, dass es wahrscheinlich keine andere Ablösung dieser Regierung geben kann als ihren revolutionären Sturz.“

Diese Orientierung enthielt immer noch den oben benannten Widerspruch: In die Illegalität gezwungen, die Arbeiterklasse unter der ideologischen Beeinflussung der Sozialdemokratie und der rechten Gewerkschaftsführer weitgehend passiv, auch wenn sich die Schießereien selbst des SPD-Reichsbanners mit der SA häuften, sah die KPD gleichzeitig die Notwendigkeit des offensiveren Kampfes gegen die sich stabilisierende faschistische Diktatur. Die Gegenposition, Hitler sich „abwirtschaften“ zu lassen, abwartend zu reagieren, war die Losung der SPD- und Gewerkschaftsführung. Nach nur wenigen Tagen wurde der Terror auch gegen sie entfacht.

Kampf gegen die Stabilisierung der faschistischen Diktatur

Durch die Zerschlagung der Arbeiterbewegung, auch und vor allem ihres reformistischen Teils, und durch die fortwährende Zerschlagung der bürgerlichen Parteien, die „Gleichschaltung“ der Verbände wurde dem bürgerlich-demokratischen Regime des Monopolkapitals weitgehend der Boden entzogen. Gleichzeitig waren die neuen Integrationsmechanismen des deutschen Faschismus mit seiner braun uniformierten Massenbasis noch nicht aufgebaut. Entlang dieses Widerspruchs entwickelte sich der deutsche Faschismus in der Phase seines Aufbaus und der Stabilisierung von 1933 bis 1935, wie die DDR-Forschung erarbeitete. So ergaben sich massenhafte Widersprüche zwischen den Volksmassen und den Monopolen.

Die KPD konnte zum Zeitpunkt der Ziegenhalser Tagung das noch nicht mit dieser Klarheit analysieren, dennoch wies Thälmann auf diesen Widerspruch hin: der Grundwiderspruch des Imperialismus zwischen den Monopolen und den Volksmassen hatte sich verschärft. Er fand seinen politischen Ausdruck im Widerspruch zwischen den Volksmassen, die ihrer Rechte beraubt wurden, und dem faschistischen Regime. Entsprechend weitgehend war auch seine Orientierung auf die Gewinnung aller nichtmonopolistischen Schichten zum Kampf gegen die sich stabilisierende faschistische Diktatur.
Die Umsetzung dieser Orientierung durch die in die Illegalität gedrängte KPD gab herausragende Beispiele antifaschistischer Schöpferkraft: In Kassel – so berichtet der Kommunist Willi Belz in seinem Buch über den antifaschistischen Widerstand in Kassel und Umgebung – gelang es kommunistischen und sozialdemokratischen Zwangsarbeitern, die zusammen mit SA-Einheiten und Arbeitsdienstleistenden zum Straßenbau eingesetzt waren, alle gemeinsam zum Streik gegen schlechte Arbeitsbedingungen, dann zur Arbeitsverweigerung und schließlich zum gemeinsamen Rückmarsch nach Kassel zu bewegen.

In Schleswig-Holstein wurde die SA-Reiterstaffel von kommunistischen Bauern agitiert. Diese sollten doch nun, nach der „nationalen Revolution“, die ihnen versprochene „sozialistische“ nachholen, sich mit den Bauern gegen die immer drückenderen Steuern wehren oder zum Hof des Großgrundbesitzers reiten und seine Enteignung im Namen des Volkes durchführen. Die SA-Leitung musste die Reiterstaffel auflösen, die dort zusammengefundenen Bauernsöhne waren aus der Heimatfront des deutschen Faschismus herausgebrochen.

0810Reichstagsbrand - Der Terror setzt ein - Antifaschismus, KPD, Reichstagsbrand - Theorie & Geschichte
Der brennende Reichstag in der Nacht des 27. Februar 1933 (Foto: gemeinfrei)

Stabilisierungsversuch: Reichstagsbrand

Am 27. Februar, kurz nach 21 Uhr, brannte der Reichstag. Wie zufällig waren die Naziführer schnell vor Ort. Den ebenso schnell erschienenen Journalisten erklärten Joseph Goebbels und Hermann Göring, die Brandstiftung könne nur das Werk der Kommunisten sein. Adolf Hitler bezeichnete den Brand als ein Zeichen Gottes, ein Signal dafür, dass der Kommunismus in Deutschland vernichtet werden müsse. „Das deutsche Volk wird für Milde kein Verständnis haben. Jeder kommunistische Funktionär wird erschossen, wo er angetroffen wird. Die kommunistischen Abgeordneten müssen noch in dieser Nacht aufgehängt werden. Alles ist festzusetzen, was mit den Kommunisten im Bunde steht. Auch gegen Sozialdemokraten und Reichsbanner gibt es jetzt keine Schonung mehr.“

Noch in der Nacht begann die Razzia des faschistischen Staates. Auf Grundlage von bereits unter der sozialdemokratisch regierten preußischen Polizei angelegten Listen wurden Kommunisten, Sozialdemokraten, Gewerkschafter und bürgerliche Antifaschisten in großer Zahl verhaftet. Ernst Schneller, einer der Teilnehmer der Ziegenhalser Tagung, der sozialdemokratische Reichstagsabgeordnete Carlo Mierendorff und die Schriftsteller Egon Erwin Kisch, Erich Mühsam und Carl von Ossietzky waren darunter. Die Nazis setzten vorbereitete Presseverbote um: die gesamte sozialdemokratische und kommunistische Presse wurde verboten.

Am Tag darauf wurde auf der Grundlage des Artikels 48 der Weimarer Reichsverfassung die „Notverordnung zum Schutz von Volk und Staat“ in Kraft gesetzt (zum Artikel 48 siehe Teil 3 unserer Reihe). Diese Notverordnung ist das Kernstück von über 460 Sondergesetzen und Verordnungen, die diese Phase des Aufbaus und der Stabilisierung der faschistischen Diktatur rechtlich absichern.

Die bisher nicht festgenommenen Funktionäre der KPD wurden nun per Haftbefehl gesucht, darunter Mitglieder des Zentralkomitees, Bezirkssekretäre und (von den Gesetzen der Weimarer Republik angeblich geschützte) Mitglieder des Reichstages und der Landtage. Die Haftbefehle wurden per Funk an die Polizeidienststellen des ganzen Landes durchgegeben. Bei Festnahmen sollte sofort das Polizeipräsidium Berlin, Abteilung I (Politische Polizei) benachrichtigt werden. Gesucht wurden unter anderem die Teilnehmer der Ziegenhalser Tagung Wilhelm Pieck, Johnny Schehr, Ernst Thälmann und Walter Ulbricht.

Aufruf zum Kampf

Das Zentralkomitee reagierte in zwei Aufrufen auf diese Eskalation. Zerstreut und unter dem Druck der faschistischen Verfolgung war es zu dieser taktischen Leistung fähig, weil die Analyse der Kommunistischen Internationale, des Zentralkomitees und besonders Thälmanns so genau gewesen war, diese Eskalation vorauszusehen – die Phase der Halblegalität und die folgende Phase der Illegalität wurden bereits früh vorbereitet. Ausgehend von der Analyse, dass der gegenwärtig auch den Arbeitern bewusste Hauptwiderspruch die Verschärfung der politischen Lage war, formulierte das Zentralkomitee den Aufruf an den Parteivorstand der SPD und den Bundesvorstand des ADGB zu Kampfaktionen und zum politischen Generalstreik. Die Forderungen waren: Aufhebung sämtlicher Presse- und Versammlungsverbote, Aufhebung des Schießerlasses Görings für die Polizei sowie der Schutzhaftverfügungen, die die Einkerkerung von Antifaschisten auf fast unbestimmte Zeit ermöglichten. Die geeinte Kraft der Arbeiter sollte sich gegen den faschistischen Terror richten. Sie sollte damit die Bedingungen für den Abwehrkampf gegen die von der Hitler-Regierung beabsichtigten Angriffe auf die materielle Lage der Arbeiter verbessern und so – wie bereits von Thälmann in Ziegenhals ausargumentiert – den Sturz des faschistischen Hitler-Regimes ermöglichen.

Der Parteivorstand der SPD sowie der Bundesvorstand des ADGB standen jedoch voll im Zeichen der legalistischen Illusion. Hitler werde abwirtschaften, erklärte man, er würde sich an die Verfassung halten müssen.

Das zeigt, wie gering der Einfluss der KPD auf die Arbeiterbewegung insgesamt war, trotz – oder gerade wegen der richtigen Einschätzungen des Zentralkomitees und Thälmanns – springt dieser Widerspruch einer richtigen Politik, die nicht zum Kampfplan der Arbeiterklasse und des Volkes gemacht werden konnte, ins Auge. Diesen Widerspruch aufzulösen wurde zur zentralen theoretischen Aufgabe kommunistischer Entwicklung von Strategie und Taktik seit diesem Zeitpunkt.

✘ Leserbrief schreiben

An die UZ-Redaktion (leserbriefe (at) unsere-zeit.de)

"Der Terror setzt ein", UZ vom 24. Februar 2023



    Bitte beweise, dass du kein Spambot bist und wähle das Symbol LKW.



    UZ Probe-Abo [6 Wochen Gratis]
    Unsere Zeit