Vorgezogene Wahlen weder frei noch fair – HDP bleibt kämpferisch

Deutsche Wahlhilfe für Erdogan

Von Rüdiger Göbel

Im Windschatten seiner im nordsyrischen Afrin eingerückten Leopard-II-Panzer aus deutscher Produktion will sich Recep Tayyip Erdogan in diesem Sommer einen Sieg bei den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen in der Türkei sichern. Das völkerrechtswidrige Bombardement und die auf Dauer angelegte Besatzung der syrischen Grenzregion werden von der islamistischen AKP-Regierung und dem faschistischen Koalitionspartner MHP, aber auch der sozialdemokratischen Oppositionspartei CHP unterstützt. Weder NATO noch Europäische Union haben Erdogans Vorgehen an der Seite islamistischer Terrorgruppen verurteilt und damit dem Kriegschauvinismus in der Türkei zusätzliche Nahrung gegeben. Der Staatschef weiß die Stimmung für sich zu nutzen. Regulär hätten die Wahlen im November 2019 stattfinden sollen. In der vergangenen Woche hat der starke Mann am Bosporus bekannt geben lassen, es solle schon in zwei Monaten, am 24. Juni 2018, abgestimmt werden.

Zu den ersten Amtshandlungen nach der Vorverlegung der Wahlen gehörte am 19. April die Aberkennung der Mandate von zwei weiteren Abgeordneten der prokurdischen Demokratischen Partei der Völker (HDP) im türkischen Parlament. Der frühere Parteisprecher Osman Baydemir und die Abgeordnete Selma Irmak verloren dank AKP und MHP ihren Parlamentssitz. Sie waren von der Erdogan-Justiz wegen Beleidigung der Polizei beziehungsweise Terrorpropaganda verurteilt worden. Damit haben mittlerweile elf der ursprünglich 59 HDP-Abgeordneten ihr Mandat verloren. Neun HDP-Parlamentarier sitzen im Gefängnis, darunter Irmak sowie die beiden früheren Parteivorsitzenden Selahattin Demirtas und Figen Yüksekdag. Im Rahmen des von Staatschef Erdogan nach dem Putschversuch vom Juli 2016 immer wieder verlängerten Ausnahmezustands sind tausende weitere HDP-Mitglieder festgenommen worden.

Ungeachtet dessen gibt sich die HDP zuversichtlich. „Osman Baydemir und Selma Irmak werden weiter den Willen des Volkes repräsentierten, während diejenigen, die den Willen des Volkes usurpiert haben, auf dem Müllhaufen der Geschichte landen“, schrieb die von Erdogan und der AKP-MHP-Allianz verfolgte Oppositionspartei auf ihrem Twitter-Kanal.

Die erst im Februar neu gewählten Vorsitzenden der HDP bleiben kämpferisch. „Wir sind bereit für die Wahlen seit den Tagen, an denen unsere geliebten Kinder in Suruc, Ankara und Cizre ermordet wurden“, erklärte Sezai Temelli am 19. April in Mersin. Die Verantwortlichen für die Massaker in den kurdischen Städten im Südosten der Türkei während der Belagerung im Winter 2015/2016 müssten endlich zur Rechenschaft gezogen werden. „Der 24. Juni wird der Tag der Abrechnung sein“, so Temelli weiter.

Ko-Chefin Pervin Buldan rief die Parlamentswahlen 2015 in Erinnerung: „Wir lieben den Monat Juni. Denkt an den 7. Juni!“ Die Abstimmung an jenem Tag endete mit massiven Stimmenverlusten der Erdogan-Partei. Nachdem die AKP seit 2002 unter Erdogan ununterbrochen mit absoluter Mehrheit regiert hatte, verlor die islamistische Regierungspartei die Mehrheit der Mandate – die linke prokurdische HDP überwand die 10-Prozent-Sperrklausel und zog in die große türkische Nationalversammlung ein. Ungeachtet der anhaltenden Massenverhaftungen und der Verfolgung kritischer Journalisten ist Buldan sicher: „Am Morgen des 25. Juni werden Erdogan, die AKP und (der MHP-Vorsitzende) Bahceli nicht länger Teil unseres Lebens sein.“

Sicher ist allerdings auch, die Bedingungen für die linke Opposition haben sich dramatisch verschlechtert: Die vorgezogenen Wahlen unter den Bedingungen des Ausnahmezustands werden weder frei noch fair sein. Presse- und Meinungsfreiheit in dem NATO-Mitgliedsland und EU-Beitrittskandidaten Türkei gibt es nicht mehr. Von einer unabhängigen Justiz kann nach der Entlassung Tausender Richter und Staatsanwälte und der Besetzung der Posten mit Erdogan-loyalen Juristen keine Rede sein.

Die Bundesregierung unterstützt das Erdogan-Regime nicht nur mit immer neuen Waffenlieferungen, sondern leistet auch aktive Wahlhilfe. Wirtschaftsminister Peter Altmaier hat gerade eine „Vertiefung“ der deutsch-türkischen Wirtschaftsbeziehungen angekündigt.

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"Deutsche Wahlhilfe für Erdogan", UZ vom 27. April 2018



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