Türkei startet „Mutter der Operationen gegen die PKK“ – NATO-Partner leisten Beihilfe. Kurden stören offensichtlich bei „Straße der Entwicklung“ mit dem Irak und den Golfemiraten

Gemeinsamer Krieg gegen die Kurden

Das NATO-Mitglied Türkei greift erneut Stellungen der PKK im Norden des Irak an. Die Vorbereitungen für die neue Militäroffensive gegen die in der Türkei und bei deren NATO-Verbündeten verbotene Arbeiterpartei Kurdistans laufen seit Monaten. In der regierungsnahen Zeitung „Hürriyet“ ist von der „Mutter der Operationen gegen die PKK“ die Rede. Überschwänglich wird von einer gemeinsamen Front aus türkischer Armee, irakischer Zentralregierung, kurdischen Kräften um den Barsani-Clan im Nordirak sowie der Schiitenmiliz Hashd Al-Shaabi geschwärmt.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan war im April eigens in die irakische Hauptstadt Bagdad und die Kurdenmetropole Erbil geflogen, um die irakische Regierung wie auch die Führung der autonomen kurdischen Region in den Coup einzubinden. Es war der erste Staatsbesuch des Autokraten im Nachbarland seit 2011. Die Türkei wünscht sich eine „gemeinsame Einsatzzentrale“, verlautet aus dem türkischen Verteidigungsministerium – dass die von Ankara geführt wird, kann stillschweigend vorausgesetzt werden. Mittlerweile wird die PKK auch von Bagdad als Terrororganisation eingestuft, wie Erdogan bei der Pressekonferenz dort zufrieden vermerkte.

Bei Erdogans Staatsbesuch im Irak ging es neben dem „Kampf gegen die Terrororganisation PKK“ auch um die Verteilung von Wasserressourcen, Wirtschaftskooperationen und ein strategisches Rahmenabkommen. Damit wollten beide Länder „eine dauerhafte Kooperation in allen Bereichen aufbauen“, erklärte Iraks Ministerpräsident Mohamed Schia Al-Sudani, der Erdogan am Flughafen persönlich empfing und mit 21 Salutschüssen begrüßen ließ. Zu den unterzeichneten Abkommen gehört eine zehnseitige Rahmenvereinbarung mit zehnjähriger Geltungsdauer über die Wassernutzung, die gemeinsame Projekte beim Wassermanagement vorsieht. Von der Türkei errichtete Staudämme an den Flüssen Tigris und Euphrat haben zu Wasserknappheiten im Irak geführt. Er hoffe nun auf eine „gemeinsame und gerechte Verwaltung der Wasserressourcen“, erklärte Al-Sudani. Die Türkei wolle sich „bemühen“, den „Forderungen“ des Iraks nachzukommen, so Erdogan.

Darüber hinaus wurde ein rund 20 Milliarden US-Dollar teures Straßen- und Eisenbahnprojekt von der Türkei bis tief in den Süden des Irak vereinbart. Der neue Wirtschaftskorridor soll den gemeinsamen Handel voranbringen und die Türkei enger mit der Golfregion verbinden. Minister aus Katar und den Vereinigten Arabischen Emiraten unterzeichneten entsprechende Erklärungen mit Erdogan und Iraks Premier.

Das Infrastrukturprojekt wird als „Straße der Entwicklung“ oder auch „Trockener Kanal“ bezeichnet. Bei seiner geplanten Fertigstellung im Jahr 2038 soll ein Netz aus Straßen und Schienen einen neuen Hafen im südirakischen Basra mit der Türkei verbinden. Von dort soll der Korridor sich weiter erstrecken über den türkischen Hafen Mersin am Mittelmeer und über Istanbul bis nach Europa. Erdogan schwärmt von einer „neuen Seidenstraße“. Der Irak seinerseits hofft, Basra zum größten Hafen im Nahen Osten auszubauen und zu einem Drehkreuz zwischen Asien und Europa machen zu können – im Zweifel auch auf Kosten der Kurden.

Rückendeckung bekommt Erdogan einmal mehr von den anderen NATO-Staaten. In Belgien verwüstete die Polizei bei Razzien zwei kurdische Nachrichtenzentren. Die beiden Satellitensender „Sterk TV“ und „Medya Haber“ strahlen in türkischer sowie kurdischer Sprache Nachrichten und Kulturprogramme für ein Millionenpublikum in Europa und im Nahen Osten aus und wurden just zum Schweigen gebracht, als die türkische Armee ihre Angriffe im Norden des Irak startete und Erdogan in Bagdad reüssierte.

Und Deutschland? Beim Türkeibesuch von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD) just nach Erdogans Bagdad-Deal spielte die Kurdenhatz keine Rolle. Im Zentrum der medialen Berichterstattung stand die Frage, ob der aus Berlin mitgebrachte 60 Kilogramm schwere Dönerspieß nun das richtige Gastgeschenk oder altbackenes Klischee war. Kein Wort zum Militäreinsatz des NATO-Mitglieds Türkei im Norden des Irak wie auch keines zu vorausgegangenen völkerrechtswidrigen Angriffen auf die Nachbarn, kein Wort zu den unzähligen politischen Gefangenen in Erdogans Kerkern, darunter die einstigen Vorsitzenden der pro-kurdischen HDP, Selahattin Demirtas und Figen Yüksekdag.

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"Gemeinsamer Krieg gegen die Kurden", UZ vom 3. Mai 2024



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