„1984“ wurde neu übersetzt und wer, wenn nicht Robert Habeck, hat dazu das Vorwort geliefert

Die Freieste aller Freien

Wir erinnern uns: Seit 2018 sieht das Vorsitzenden-Duo der Partei „Die Grünen“ aus wie ein SAT.1-Kommissare-Duo. Die Hälfte davon stellt der nunmehr 51-jährige Robert Habeck. Der gilt hierzulande manchen als schlau, fürs Prüfungsamt der Uni Hamburg als einer, der in Philosophie mit seiner Arbeit „Die Natur der Literatur: zur gattungstheoretischen Begründung literarischer Ästhetizität“ promovierte.

Einer also, der es wissen muss, wenn es um politische Literatur geht. Einer, der von der Welt wie gebacken wurde, um das Vorwort der Neuübersetzung von George Orwells 1949 veröffentlichtem Buch „1984“ zu liefern.

„George Orwell ist der Analytiker des Totalitarismus“, stellt Habeck seiner Einleitung voran, das „der“ kursiv gesetzt, damit auch ja keine Missverständnisse entstehen. Denn der Analytiker des Analytikers will auch im Fortgang nichts missverstanden wissen: „Wir leben in der besten Demokratie, die es in Deutschland je gab, wir leben in der freiesten Gesellschaft, die wir je hatten“, schreibt er. Hier in Deutschland haben wir niemanden als Staatsrepräsentanten wie Trump, der sich beim Lügen allzu plump anstellt. Und überhaupt ist hier der Totalitarismus so abwesend wie noch nie – wir sind ja keine Chinesen! Gerade was die Volksrepublik angeht, orientiert sich Habeck ordentlich an dem von ihm gelobten Schreiber Orwell. Hieß es bei Letzterem in der Fabel „Animal Farm“ noch „Vier Beine gut, zwei Beine schlecht“, schlägt Habeck die überbeanspruchte Trommel „Weiße Haut gut, gelbe Haut schlecht“.

Nun ist George Orwells „1984“ ja der Versuch, dafür gelobt zu werden, dass man etwas schreibt, das konsequent nicht gelobt werden kann. Wie wenig dessen, was einen Science-Fiction-Roman zu eben so einem macht, „1984“ ableistet, hat bereits Isaac Asimov aufgeführt. Wenn aber Orwells Opus Magnum schon nicht zum Kunstwerk taugt, dann noch weniger, um sich daraus ein Weltbild zu bauen. Robert Habeck ist entschlossen, es trotzdem zu versuchen.

Was er mit seinem Vorwort liefert, steht dementsprechend Orwell in nichts nach, wenn es um Arroganz, Ignoranz und handwerkliche Fehlerkettenfädelung geht. Arrogant wie Habeck ist, alle Bewegungen gegen Demokratieabbau und Schleifen von Grundrechten als „an den Haaren herbeigezogen“ zu werten, als wären alle Polizeigesetze hierzulande nur ein ein bisschen schlimmer Traum, aus dem alle nur aufzuwachen haben, um sich wieder im Besten aller Deutschlands zu befinden. Schon Orwell zeichnete die Dystopie in „1984“ so dunkel, dass jede noch so dreckige Ausbeutung und demokratiezersetzende Unterdrückung ausschaut, als wäre sie in strahlendstes Weiß getaucht – solange sie aus dem Westen kommt und das Label „bürgerlich“ führt. Ignorant ist Habecks Totalitarismus-Mantra, das keine Nazis kennt und keine Antifaschisten, sondern nur „autoritäre Herrschaft“ von beiden. Diese kann auch nicht innovieren – etwas, das Orwell beim Schreiben auch nicht konnte, so blieben die Überwachungsmethoden des von der „Sozialistischen Partei Englands“ diktierten Ozeanien auf dem technischen Stand durchschnittlicher Helikoptereltern.

Handwerklich defizitär, dadurch aber auch spannend, wird es, wenn Habeck in seiner Gedankenjonglage von den eigenen Worten auf den Kopf gehauen wird: „China beispielsweise mit seinen großen, zentral gesammelten Daten über Verhaltensweisen, Krankheitsbilder, persönliche Vorlieben weiß viel mehr über die Gesellschaft als die europäischen Staaten“, schreibt er, und würde Habeck seinen Hass auf China nicht zeilenweise mitliefern, man könnte hier fast ein Lob lesen.

Ende Januar geriet Robert bei einem Interview mit „Jung & Naiv“ ins Drucksen, als er nicht so recht sagen wollte, dass die Grünen nicht nur für Nawalny – bei dem man keinen Doktortitel braucht, um einen Faschisten zu erkennen –, sondern auch für Julian Assange die Freilassung fordern.

Übersetzer Lutz-W. Wolff bemüht in seinem Nachwort den Vergleich von „1984“ mit Hamlet, Faust und anderen die Spielregeln der Welt tangierenden Literaturwerken. Dabei verdeckt die Dunkelzeichnung des totalitären London der Zukunft eigentlich nur, dass Orwell in seinem Werk nicht tiefer geht als eine brackige Pfütze.

Für Flachgang, den die Welt nicht nur in Buch-, sondern auch in Menschenform gießt, braucht es keine Umschreibungen, die die Plattitüde unverdientermaßen aufbläht. Man braucht keine Kunstworte wie „Doppeldenk“ oder „Neusprech“ aus „1984“ zu bemühen, Doppelmoral und Dilettantismus sind gängige, die auf Robert Habeck voll zutreffen. Ein Land, in dem „1984“ als Roman durchgeht, hat auch Habecks, die Kanzleraspirant werden. Buch und Vorwortschreiber verdienen einander. Beide sind so banal, wie sie viral sind.


George Orwell: 1984 (Übersetzung: Lutz-W. Wolf), mit einem Vorwort von Robert Habeck, DTV 2021, 416 Seiten, 24 Euro (gebunden), 8,99 Euro (eBook).


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Über den Autor

Ken Merten (seit 1990) stammt aus Sachsen. Er hat in Dresden, Hildesheim und Havanna studiert. Seine Schwerpunkte sind die Literatur der Jetztzeit, Popkultur und Fragen von Klassenkampf und Ästhetik. 2024 erschien sein Debütroman „Ich glaube jetzt, dass das die Lösung ist“ im Berliner XS-Verlag.

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"Die Freieste aller Freien", UZ vom 26. März 2021



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