DDR-Delegitimierung: Waisenhäuser unter Beschuss

Die Kinder müssen dran glauben

Von Nina Hager

Es ist eine Geschichte ohne Ende. Während zum Beispiel die während der Adenauer-Zeit politisch Verfolgten bis heute nicht rehabilitiert sind, der Bundestag bisher in diesem Zusammenhang jede Initiative der PDS bzw. der Linkspartei zurückwies, sollen die „Opfer des SED-Unrechts“ im 30. Jahr der Grenzöffnung, 29 Jahre nach dem Anschluss der DDR an die Bundesrepublik, mehr Rechte und wahrscheinlich auch ein wenig mehr Geld erhalten.

Am 28. Juni hatte es eine erste Lesung im Bundestag zum Entwurf eines „Sechsten Gesetzes zur Verbesserung rehabilitierungsrechtlicher Vorschriften für Opfer der politischen Verfolgung in der ehemaligen DDR“ gegeben. Eingangs stellt der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesjustizministerium Christian Lange (SPD) klar, dass man den vielen Betroffenen, die erst spät den Mut fänden, über das Durchlebte zu reden, nicht die Möglichkeit genommen werden dürfe, ihr Recht durchzusetzen. Das „diesjährige 30-jährige Jubiläum der friedlichen Revolution in der DDR“ sei Anlass, der „Opfer des SED-Unrechtsregimes“ zu gedenken. „Ihnen gebührt unser aller Anerkennung“, sagte Lange. Nun folgte in der vorigen Woche eine öffentliche Anhörung im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz des Bundestages. „Sachverständige“ sollten ihre Position zum Gesetzesentwurf darlegen. Die waren durchweg unzufrieden. Nicht etwa, weil mit dem Gesetz die bestehenden Rehabilitierungsgesetze endlich entfristet werden sollen. Das stieß durchweg auf Zustimmung. Sondern vor allem, weil man – wie auch schon zuvor im Bundestag – eine weitere Ausweitung des Kreises der Berechtigten auf „verfolgte Schülerinnen und Schüler“, „zwangsadoptierte Kinder“ sowie aus dem Grenzgebiet der DDR zur Bundesrepublik Anfang der 50er sowie 60er Jahre „zwangsausgesiedelte“ Menschen fordert.

Vor allem aber ging es um Kinder, die – so die „Beauftragten des Landes Brandenburg zur Aufarbeitung der Folgen der kommunistischen Diktatur“, Maria Nooke, „rechtsstaatswidrig“ von ihren Eltern getrennt – in Heimen untergebracht worden waren, weil die Eltern in der DDR beispielsweise wegen Republikflucht zu Haftstrafen verurteilt worden waren. Nooke beklagte, dass die „Eltern, die politische Haft erlitten“, strafrechtlich rehabilitiert und alle gesetzlich zustehenden Leistungen erhalten würden. „Die Kinder, die während der politischen Haftzeit und oft auch darüber hinaus mit weitreichenden Folgen für ihre Entwicklung von ihren fürsorgenden Eltern getrennt wurden und in Heimen leben mussten, erhalten aufgrund fehlender gesetzlicher Regelungen zurzeit selten eine Rehabilitierung.“ Der Bundesgerichtshof hatte 2015 – obgleich Politik und Generalstaatsanwaltschaft etwas anderes gefordert hatten – festgestellt, dass eine Heimunterbringung nicht automatisch auch eine politische Verfolgung der Betroffenen bedeutet habe. Diese müsse im Einzelfall nachgewiesen werden. Die jetzt in diesem Zusammenhang im Entwurf vorgesehenen Änderungen im Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz nannten die „Sachverständigen“ unzureichend; Dieter Dombrowski, Bundesvorsitzender der sogenannten Union der Opferverbände Kommunistischer Gewaltherrschaft e. V., unter anderem mit der Begründung, dass es im DDR-System der Heimunterbringung „ständig systematische Menschenrechtsverletzungen“ gegeben habe. Und auch Nooke behauptete, „Einweisungen in Spezial- und Durchgangsheime hatten in der Regel keinen pädagogischen Zweck, sondern dienten der Disziplinierung und Umerziehung unter Verletzung grundlegendster Menschenrechte. (…) Die Menschenrechtsverletzungen in den genannten Heimformen entsprachen staatlichen Vorgaben.“

Hier wird etwas einfach nur behauptet. Noch im Neunten Bericht der Bundesregierung, der 1994 erschien, wurde dagegen zum Heimsystem im Zusammenhang mit der DDR festgestellt, es wäre nötig, sich „dort abzugrenzen, wo Abgrenzung nötig ist, aber auch dort anzuknüpfen, wo Traditionen dies zumindest erlauben würden“. Doch schon bald wurde die Eignung auch dieses Themas zur Delegitimierung der DDR erkannt. Auch unter völliger Ausklammerung der gewaltigen Defizite der Heimerziehung im eigenen Land. Nicht alles war hier etwa „überholten Erziehungsauffassungen“ zuzuschreiben. Eine Differenzierung im Hinblick auf die DDR ist auch heute nicht gewünscht: Das Thema lässt sich ja so schön missbrauchen.

Über die Autorin

Nina Hager (Jahrgang 1950), Prof. Dr., ist Wissenschaftsphilosophin und Journalistin

Hager studierte von 1969 bis 1973 Physik an der Humboldt-Universität in Berlin. Nach dem Abschluss als Diplom-Physikerin wechselte sie in das Zentralinstitut für Philosophie der Akademie der Wissenschaften der DDR und arbeite bis zur Schließung des Institutes Ende 1991 im Bereich philosophische Fragen der Wissenschaftsentwicklung. Sie promovierte 1976 und verteidigte ihre Habilitationsschrift im Jahr 1987. 1989 wurde sie zur Professorin ernannt. Von 1996 bis 2006 arbeitete sie in der Erwachsenenbildung, von 2006 bis 2016 im Parteivorstand der DKP sowie für die UZ, deren Chefredakteurin Hager von 2012 bis 2016 war.

Nina Hager trat 1968 in die SED, 1992 in die DKP ein, war seit 1996 Mitglied des Parteivorstandes und von 2000 bis 2015 stellvertretende Vorsitzende der DKP.

Hager ist Mitherausgeberin, Redaktionsmitglied und Autorin der Marxistischen Blätter, Mitglied der Marx-Engels-Stiftung und Mitglied der Leibniz-Sozietät der Wissenschaften zu Berlin.

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"Die Kinder müssen dran glauben", UZ vom 27. September 2019



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