„Dieser Film hat mich gefunden“

Das Gespräch führte Hans-Günther Dicks

Christian Weisenborn, Jahrgang 1947, ist der Sohn des Schriftstellers und Widerstandskämpfers Günther Weisenborn. Über seinen neuen Film „Mein Vater, die Rote Kapelle und ich“ sprach mit ihm für die UZ Hans-Günther Dicks. Eine Rezension des Films erschien in der vorherigen Ausgabe.

UZ: Beginnen wir mit der Produktionsgeschichte. Ihr Projekt hat ja eine Zeit gedauert?

Christian Weisenborn: In der Tat, denn das erste Exposé habe ich schon vor 15 Jahren Sendern angeboten, aber dafür gab es damals kein Interesse. So trug ich es mit mir herum, und da wird man natürlich müde, das anzubieten. Aber dann kamen die Leute von Kick-Film auf mich zu und haben gleich begeistert die Förderungsanträge auf den Weg gebracht. So kam es vor zwei Jahren zum ersten Film, „Verräterkinder“. Dann stellte die ARD plötzlich fest, dass sie zum 70. Jahrestag des 20. Juli 1944 nichts hatte, und sie haben mich gebeten, dass ich den 20. Juli mit hineinnehme, und das hieß dann natürlich, dass ich davon 22 Minuten abgeben muss, und damit war der Film, also der richtige über meinen Vater, wieder nicht ausreichend erzählt. Deshalb ging es weiter. Durch die Filmförderung haben wir das dann vorangetrieben, die ARD war trotzdem nicht in der Lage, die Finanzierung auf die Beine zu stellen. Also sind wir zum ZDF gegangen und die haben sofort zugegriffen, damit war Arte auch dabei, und so ist der Film entstanden.

UZ: Gab es dann noch Änderungswünsche vom ZDF, Einflussnahmen oder so etwas?

Christian Weisenborn: Nein. Die haben das so akzeptiert, bis auf ein paar Kleinigkeiten, die es immer so gibt, aber nichts Wesentliches.

UZ: Manchen stören vielleicht diese Re-enactments, also nachgestellte Aufnahmen wie die quietschenden Türriegel in Nahaufnahme.

Christian Weisenborn: Na klar, aber wir haben keine Bilder. Es gibt von damals einfach keine Bilder und da braucht man das. Es gibt auch keine Fotos von den Gefangennahmen oder den Zellen. Vom Zuchthaus Luckau gibt es ein einziges Foto, und das ist ja auch drin im Film.

UZ: Ein richtiger Hauptgewinn sind natürlich Ihre Familienfilme.

Christian Weisenborn: Ja, und in diesem Sinne war ich ja – ich sage das mal so arrogant – ich war der einzige auf der Welt, der diesen Film machen konnte. Man kann wirklich sagen, der Film hat mich gefunden. Er hat wirklich auf mich gewartet.

UZ: In den meisten Familien wurde ja nach  1945 wenig über die Nazizeit gesprochen. War es bei Ihnen ähnlich?

Christian Weisenborn: Nein. Wir haben sehr wohl darüber gesprochen. Mein Vater starb ja früh, da war ich 20. Mit meiner Mutter haben wir sehr viel darüber gesprochen. Das ist ja für sie die intensivste Zeit gewesen und deshalb hat sie gerne über die alten Zeiten geredet, wie man im Film ja auch sieht. Allerdings ohne Kamera! Eigentlich ist es nicht ganz gerecht, dass sie nicht mit im Titel ist, aber dann würde der Titel ja noch länger.

UZ: Zum Bild der Roten Kapelle in der DDR stützen Sie sich auf zwei US-Historiker. Hätte man dafür nicht auch DDR-Experten befragen können?

Christian Weisenborn: Ja, es gab diese Möglichkeit. Wir hatten auch mit einem DDR-Historiker ein Interview gemacht, das wir dann aber nicht verwendet haben. Man muss ja die Anzahl der Personen begrenzen, und ich fand den Außenblick von diesen Amerikanern besonders gewichtig, und einen deutschen Experten noch da hineinzunehmen war nicht nötig.

UZ: Die Nazis haben diese Widerständler ja pauschal als „Moskaus fünfte Kolonne“ und als Kommunisten angesehen. Gibt es eigentlich verlässliche Zahlen, wie viele oder wie wenige von ihnen wirklich Kommunisten waren?

Christian Weisenborn: Es gibt einige darunter. Coppi natürlich und Harnack, auch die Kuckhoffs wohl. Bei den Küchenmeisters bin ich nicht ganz sicher. Aber es waren eben genügend, die nicht Kommunisten waren. Mein Vater war keiner, aber er war Sympathisant. Er war nie in der Partei, er hat aber für die DDR immer große Sympathie gehabt. Doch er war nie Kommunist, er hat sich nie an eine Partei gebunden. Und so gibt es viele, die keine Kommunisten waren.

UZ: Mir ist eigentlich erst durch Ihren Film klar geworden, welche fatale Rolle Manfred Roeder dabei hatte, zuerst als Oberstkriegsgerichtsrat und „Hitlers Bluthund“ und nach 1945 als Zuträger des US-Militärgeheimdienstes CIC.

Christian Weisenborn: Das stimmt, und es gibt ja jetzt auch eine ganze Reihe Bücher über ihn, auch sehr gute. Anne Nelson hat ein sehr gutes geschrieben, auch Silke Kettelhake, auch wenn die jetzt z.T. angegriffen wird, weil sie Dialoge erfunden hat, und das mögen die Historiker nicht. Aber sie hat sich sehr in die Materie eingearbeitet und viele Fakten aufgetan. Auch das Buch von Roloff, „Die Rote Kapelle“, und dann die ganzen Fachbücher, die die Gedenkstätte Deutscher Widerstand herausgegeben hat. Also, die Fakten liegen auf dem Tisch.

UZ: Auch zu Roeder?

Christian Weisenborn: Zu Roeder ist natürlich vieles verbrannt worden noch von der Gestapo selbst. Aber die Protokolle sind zum Teil noch da, auch dass er eben beim CIC war, ist belegt. Ich habe mal in München eine junge Studentin getroffen, die eine Doktorarbeit machen wollte über die Rote Kapelle und die meinen Vater auch besucht hat. Aus der Doktorarbeit ist dann nichts geworden, aber sie hatte sogar ein Gespräch mit Roeder Anfang der 1970er Jahre. Da war er noch immer so richtig zynisch, und sie konnte ihn so richtig nachmachen, wie er verächtlich über die Frauen der Roten Kapelle herzog und sie nachträglich noch denunziert und verleumdet hat. Ich habe überlegt, ob ich sie in den Film hineinnehme, aber das wäre dann zu lang geworden. Meine beste Fassung ist ja die 126-Minuten-Fassung, aber dann mussten wir ja runterschneiden auf unter 90, weil das ZDF ja diese Auflage gemacht hat. In der Langfassung, die ich auch als „directors cut“ noch auf DVD herausbringen will, ist auch mehr von meinem Vater drin, zum Beispiel wie er Bert Brecht seine Zelle gezeigt hat und das Gespräch, das dabei entstanden ist.

UZ: Etwas überrascht hat mich die Musik in Ihrem Film, vor allem die Schifferklavier-Lieder, die Ihre Mutter spielt und singt.

Christian Weisenborn: Es gibt zwei Filme über meinen Vater, „Mein Name ist Weisenborn“ und „Der Überlebende“. Für den ersten, der stammt von 1966, hat das Team meine Eltern in der Schweiz besucht und dabei sind die Musikaufnahmen entstanden und auch die Bilder am Schluss, wo mein Vater durch das alte Gestapo-Gelände läuft.

UZ: Sie erwähnten schon Silke Kettelhake und den Streit um ihr Buch über Libertas Schulze-Boysen, das ihr ja die Schuld gibt am Auffliegen der Roten Kapelle.

Christian Weisenborn: Ja, die ist für mich so etwas wie mein Moritatensänger, sie trägt etwas vor und leitet das nächste Kapitel ein. Sie war ja völlig drin in der Materie und hat sich unermüdlich eingearbeitet. Dass Libertas ihre Hoffnungen auf ihre Kontakte zu Göring setzte und so die ganze Gruppe verraten hat, das ist ja verbürgt. Sie hoffte, dadurch zu überleben, aber sie hat eben alle verraten. Am Schluss hat sie geschrieben: „Ich werde jetzt sterben, aber es ist schön, denn alle haben mir verziehen.“ Das stimmte natürlich nicht. Das hat sie sich nur eingeredet, denn sie hat viele an den Galgen gebracht.

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Über den Autor

Hans-Günther Dicks (Jahrgang 1941), Mathematiklehrer mit Berufsverbot, arbeitet seit 1968 als freier Film- und Medienkritiker für Zeitungen und Fachzeitschriften, für die UZ seit Jahrzehnten.

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"„Dieser Film hat mich gefunden“", UZ vom 11. August 2017



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