Die kapitalistische Energiewende – teuer, ineffektiv und schmutzig

E-Hype: Gut fürs Geschäft, schlecht für die Umwelt

Walter Reber

Mehr als 100 Kilowattstunden für die Produktion von Gütern, Heizung, Transport, Beleuchtung, Information und anderes beträgt der durchschnittliche Energieverbrauch pro Person in Deutschland – jeden Tag. Das ist doppelt so viel wie im weltweiten Durchschnitt. So unverzichtbar die Abkehr von den fossilen Brennstoffen ist: Diese Energiemengen gibt es nicht zum (ökologischen) Nulltarif.

Solar- und Windenergie, E-Mobilität und die Heizung mit elektrisch betriebenen Wärmepumpen sind in aller Munde. Der Umstieg auf Strom soll die hierzulande nicht nur als technisch überholt, sondern schon als „böse“ betrachteten Kohlenwasserstoffe ersetzen. Während bisher beispielsweise die Förderung von Ölschiefer in Kanada oder Braunkohle in Deutschland weite Flächen unbewohnbar gemacht hat, werden in Zukunft neue Gebiete weltweit durch die Förderung der Rohstoffe für die „Energiewende“ in Mitleidenschaft gezogen werden.

Hunger nach neuen Ressourcen

Neodym, Dysprosium und Terbium konnten in der Vergangenheit als „Seltene Erden“ weitgehend missachtet werden. Heute sind sie die Stoffe, mit denen die Energiewende gemacht wird. Zusammen mit Kobalt, Grafit, Lithium und anderen sorgen sie dafür, dass E-Autos und Windräder funktionieren und Strom in Akkus gespeichert werden kann.

Für die Länder der G7 hat das einen bitteren Beigeschmack. Anders als Kohle und Eisen im Zuge der Industriellen Revolution können diese Mineralien häufiger in den Ländern des Globalen Südens oder den BRICS-Staaten wirtschaftlich abgebaut werden.

Offshore-Windkraftanlagen und E-Mobilität sind es, die die Nachfrage nach den „neuen“ Mineralien treiben und weit mehr von diesen Ressourcen benötigen als Verbrenner-Autos oder die konventionelle Energieerzeugung. Abgesehen von den baugleichen Komponenten wie Karosserie, Bremsen und so weiter benötigen E-Autos für Batterien und Elektronik fünfmal soviel der oben genannten Mineralien wie konventionelle Autos. Und Windkraftanlagen benötigen pro installierter Leistung ein Vielfaches an diesen Materialien im Vergleich etwa zu Gasturbinen.

Lithium-Bedarf explodiert

Eine Studie der Internationalen Energieagentur ergab: Wollte man die Ziele des Pariser Klimaabkommens einhalten, also den Temperaturanstieg auf deutlich unter 2 Grad Celsius begrenzen, würde es im Durchschnitt eine Vervierfachung des Bedarfs an den genannten Rohstoffen bedeuten. Der Bedarf an Lithium würde – beim heutigen und absehbaren Stand der Technik – auf das sogar mehr als 40-Fache ansteigen. Dies wäre schwer zu erreichen: In den letzten 25 Jahren verzehnfachte sich die Lithium-Produktion – nur ein Bruchteil der benötigten Steigerung. Die Preise werden also steigen. Sicher ist: Der nötige Umbau der Infrastruktur und die Ausweitung des Mineralienabbaus werden Milliarden-umsätze und -gewinne erbringen. Der Preis für Neodym zum Beispiel stieg in den letzten 20 Jahren von unter 10.000 Euro pro Tonne auf etwa 200.000 Euro pro Tonne.

Ein gutes Geschäft für den Bergbau. Lange Zeit genossen Bergbauunternehmen nicht den besten Ruf. „Verantwortungslose Abbaupraktiken im Bergbau sind zu einer der größten Umweltbedrohungen unserer Zeit geworden“, schrieb etwa der WWF 2019.

Neue Profite für den Bergbau

Ein Beispiel bietet der Abbau von Lithium in Salzwüsten im Hochgebirge im Dreiländereck von Bolivien, Chile und Argentinien. Er war schon vor Jahren ein profitables Geschäft mit guten Aussichten für die Aktionäre – für die indigenen Bewohner dieser Gebiete ist er eine Katastrophe. Schwere Maschinen graben die Landschaft um und zerstören Wasserstellen. Natriumhydroxid, das zur chemischen Behandlung des Lithiums benötigt wird, belastet die Umwelt. Für die Förderung der Salzmasse aus dem Untergrund benötigt ein Bergbauunternehmen in Argentinien nach eigenen Angaben bis zu 80.000 Liter Frischwasser pro Stunde. Anschließend wird die Salzlake in fußballfeldgroße Becken gepumpt, wo sie verdunstet – „energiesparend“, wie es im Umweltfolgebericht des Unternehmens heißt, weil nur unter Nutzung der Sonneneinstrahlung. Das Wasser aber ist für die Region verloren.

Die Kollas, die indigenen Einwohner der Region, haben keine Lobby, die eine umweltverträgliche Lithiumproduktion einfordern könnte. Mit der Energiewende geht die „saubere“ Energie in den Metropolen zulasten der Regionen, die sich nicht gegen den Raubbau wehren können.

Clemente Flores, der Wortführer von damals insgesamt 33 Gemeinden in den betroffenen Gebieten, erklärte schon vor einigen Jahren: „Ihr glaubt, (mit den Elektroautos) könnt ihr die Menschheit retten, aber ihr werdet uns alle umbringen.“

Höher, schneller, weiter

In den Metropolen geht der Irrsinn weiter. Bei der Produktion und auch beim Betrieb von Elektroautos wird – wird je nach Energiemix – CO2 freigesetzt. Zu Beginn der Lebensdauer eines Elektroautos weist es – nicht zuletzt wegen des Abbaus der Mineralien – einen höheren CO2-Abdruck auf als ein Auto mit Verbrennungsmotor. Mit einer gewissen Laufleistung holt das Elektroauto auf, da im Betrieb weniger CO2 als bei einem Verbrenner entsteht. Wann das Elektroauto in die „Gewinnzone“ kommt, also insgesamt weniger CO2 erzeugt als der Verbrenner, hängt vom jeweiligen Strommix ab. In den USA liegt dieser „Break-Even-Point“ nach Schätzungen bei ungefähr 30.000 Kilometern. In Ländern mit einem hohen Anteil an Kohle oder auch verflüssigtem Erdgas (LNG) liegt dieser Punkt sehr viel höher – in Polen zum Beispiel bei fast 130.000 Kilometern. Aber das gilt nur, wenn man gleich große Fahrzeuge miteinander vergleicht. Je nach Energiemix ist es möglich, dass ein Kleinwagen mit Verbrennungsmotor während seiner gesamten Lebensdauer weniger CO2-Ausstoß verursacht als ein großes E-Auto. Aber im Kapitalismus gilt: mehr Masse, mehr Ressourcenverbrauch, mehr Umsatz – und mehr Möglichkeiten, Gewinn zu erzielen.

Stromnetze am Limit

2023 06 14 rwe to install recyclable rotor blades at thor offshore wind farm - E-Hype: Gut fürs Geschäft, schlecht für die Umwelt - E-Mobilität, Energieversorgung, Klimakatastrophe, Wärmepumpe - Hintergrund
Montage eines Windrads in einem Offshore-Windpark von RWE. (Foto: RWE AG)

Die „Elektrifizierung“ der entwickelten Staaten hat eine weitere Folge: Das bestehende Stromnetz – die Leitungen, Schaltanlagen und Transformatoren – reicht nicht mehr aus, um den Mehrbedarf für Mobilität und Heizung zu decken. Würden all die Blütenträume der Lobbyisten für E-Mobilität und E-Heizung wahr werden, kämen enorme Kosten auf uns zu. Im Frühjahr stellten die Übertragungsnetzbetreiber ihre Planungen bis 2045 vor. Sie gehen davon aus, dass sich der Stromverbrauch in Deutschland bis dahin verdoppeln wird. Über 14.000 Kilometer neue Stromtrassen müssten gebaut werden, damit der Strom aus den erneuerbaren Energiequellen zu den Verbrauchern kommt. Knapp 130 Milliarden Euro soll der Ausbau kosten – das alles in guten 20 Jahren in einem Land, das inzwischen Schwierigkeiten hat, Flughäfen oder Bahnhöfe termingerecht und zu den geplanten Kosten zu bauen.

Neuer Sprit

So weit wird es wohl nicht kommen. Weniger Wirtschaftsleistung – wie in Deutschland – bedeutet in der Regel auch weniger Energiebedarf. Der neue VW-Konzernchef Oliver Blume will die Produktion von Verbrennern weiterführen – als „E-Auto light“ oder E-Auto für Arme: Verbrenner, die mit „E-Fuels“ fahren. „E-Fuels“ sind synthetische Kraftstoffe, die mittels elektrischer Energie aus Wasser und Kohlenstoffdioxid hergestellt werden. Auch hier gilt: Auf den Energiemix kommt es an. Bereits geringe Anteile fossilen Stroms bei der Herstellung der „E-Fuels“ verschlechtern die Klimabilanz erheblich, bei größeren Anteilen übersteigen die Emissionen von „E-Fuels“ diejenigen von fossilen Brennstoffen um ein Mehrfaches.

Wärmepumpen-Narrativ

Der Energiemix beeinflusst auch die Wirksamkeit von Wärmepumpen. Im Jahresdurchschnitt kann eine Wärmepumpe nach Herstellerangaben aus einer Kilowattstunde elektrischer Energie drei bis vier Kilowattstunden Wärme erzeugen – das ist die sogenannte Jahresarbeitszahl (JAZ). Typischerweise liegt die JAZ für Luftwärmepumpen nach Herstellerangaben bei etwa vier. Hersteller neigen allerdings dazu, ihre Produkte positiver darzustellen, als sie sich in der Realität erweisen. Unter realen Betriebsbedingungen liegt die JAZ niedriger als in den Herstellerangaben. Insbesondere an kalten Wintertagen sinkt die Leistung der Geräte deutlich ab – sie werden dann zu reinen Elektroheizungen. In der Praxis bieten Luftwärmepumpen beim aktuellen deutschen Strommix keine großen Vorteile hinsichtlich CO2-Ausstoß gegenüber einem Erdgas-Brennwertkessel. Zudem benötigen sie – je nach Bauart – eine Fußbodenheizung oder können als „Luft-Luft“-Anlagen vorrangig einzelne Räume beheizen.

Aber der Hype der Elektrifizierung macht die Wärmepumpenherstellung zum Markt der Zukunft. US-amerikanische und asiatische Hersteller von Klimaanlagen können aufgrund ihrer hohen Stückzahlen einen Preisdruck ausüben. Viele kleinere Produzenten von Wärmepumpen schließen sich daher mit größeren Herstellern zusammen – oder werden von diesen übernommen. Der Konzentrationsprozess war in den letzten Jahren deutlich zu erkennen. Die Carrier Global Corporation zum Beispiel, die den größten Teil der deutschen Viessmann Group übernehmen wird, ist einer der weltweit größten Hersteller der Branche und hat über 53.000 Beschäftigte in mehr als 160 Ländern.

Klimakiller Profitsystem

Viele der genannten Probleme entstehen während des Übergangs von der Energieerzeugung mittels Kohlenwasserstoffen zur Nutzung regenerativer Energien. Ist erst einmal der Markt an Elektroautos gesättigt und sind erst einmal die Windkraftanlagen ausgebaut, kann der Bedarf an Rohstoffen zum Teil durch Recycling gedeckt werden. Aber in dieser Übergangszeit herrscht Goldgräberstimmung – die kapitalistische Energiewende folgt nicht dem Pfad der Effizienz und des rationalen und minimalen Einsatzes von Ressourcen, sondern der Logik des Profits.

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"E-Hype: Gut fürs Geschäft, schlecht für die Umwelt", UZ vom 11. August 2023



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