Streit zwischen CSU und CDU: Merkel pocht auf Richtlinienkompetenz

Entscheidung vertagt

Von Nina Hager

Die Führung der CSU drängt. Man will nicht nur die eigenen Vorstellungen in der Asylpolitik – möglichst im gesamten Bundesgebiet – durchsetzen, sondern nun auch Asylbewerber an den Grenzen abweisen, wenn diese bereits in anderen EU-Staaten registriert sind. Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) drohte Kanzlerin Merkel in der vorigen Woche in diesem Zusammenhang gar mit einem Alleingang. Sicher, das geschieht auch mit Blick auf die bayerischen Landtagswahlen.

CSU und CDU sind sich eigentlich einig: Man will weniger Flüchtlinge aufnehmen. Nicht einig ist man sich über das Vorgehen. Die CSU setzt in diesem Zusammenhang auf die nationalistische und rechtspopulistische Karte. Was deutsches und europäisches Recht dazu sagen, interessiert nicht. Die Bundeskanzlerin lehnt dagegen einen nationalen Alleingang ab, beharrt auf einer Lösung auf EU-Ebene. Bestehende EU-Regelungen dürften nicht verletzt werden. Sie braucht für eine Dublin-Reform und ein einheitliches EU-Asylsystem nicht nur eine Übereinkunft mit den osteuropäischen Staaten, die keine Flüchtlinge aufnehmen wollen. Auch mit Ländern mit EU-Außengrenzen wie Italien und Griechenland müssen Gespräche geführt und Abkommen geschlossen werden. Dafür erhält sie Rückenwind von der Europäischen Kommission.

Es geht also um mehr. Um die Ausrichtung der Regierungspolitik und damit auch um Merkel. Darauf verweisen auch die Äußerungen Seehofers über die Kanzlerin. Der Bundesinnenminister beeilte sich am 17. Juni in einem Interview mit „Bild am Sonntag“ zu dementieren, dass er mit Merkel nicht mehr zusammenarbeiten könne. Zudem habe niemand in der CSU Interesse „die Kanzlerin zu stürzen, die CDU/CSU-Fraktionsgemeinschaft aufzulösen oder die Koalition zu sprengen“. Glaubwürdig ist das nicht.

Am Montag dieser Woche tagte in München der CSU-Vorstand, in Berlin der der CDU. Man beriet über den Konflikt, beschloss eine vorläufige Übereinkunft. In den kommenden 14 Tagen sollen vorerst nur jene Menschen an der Grenze abgewiesen werden, gegen die nach deutschem Recht ein Wiedereinreiseverbot oder ein Aufenthaltsverbot verhängt wurde. Merkel erhält in diesen 14 Tagen Zeit, nach einer Lösung im Rahmen der EU zu suchen. Sie machte aber gleich klar, dass sie auch ab dem 1. Juli „keinen Automatismus“ zulassen werde. Auch dann nicht, wenn es bis dahin zu keiner Einigung auf EU-Ebene kommt. Absprachen mit betroffenen EU-Partnern blieben nötig. Während Merkel auf ihrer Pressekonferenz in Berlin zudem auf ihre „Richtlinienkompetenz“ – d. h. darauf verwies, dass sie laut Artikel 65 Grundgesetz die letzte Entscheidung zu fällen habe, wenn man sich im Kabinett über eine wichtige politische Frage nicht einigen kann – kündigte Seehofer in München vorsorglich an, Zurückweisungen von Asylbewerbern, die bereits in anderen EU-Staaten registriert sind, an den Grenzen vorzubereiten sowie eine noch härtere Linie in der Flüchtlingspolitik. Der Krach könnte nach dem 1. Juli erst so richtig eskalieren.

Söder hatte am Morgen vor der Zusammenkunft des CSU-Vorstands übrigens auch erklärt: „Wir als CSU stehen, wir sind geschlossen, wir sind entschlossen. Wir sind überzeugt davon, dass es eine wichtige Aufgabe ist, eine Asylwende in Deutschland einzuleiten.“ Söder agiere, so ein CDU-Vorständler laut „süddeutsche.de“, inzwischen strammer als die AfD.

Vom Koalitionspartner SPD hörte man in den letzten Tagen dagegen wenig. Andrea Nahles appellierte am Montag vorsichtig an die Unionsparteien, gemeinsam in der Großen Koalition zu beraten, zu entscheiden und Beschlüsse zu fassen, die sachlich begründet, verhältnismäßig und zweckdienlich seien. Sie forderte die Einberufung eines Koalitionsgipfels und betonte, eine Kompromisslösung im Unionsstreit oder ein Durchsetzen Seehofers könne von der SPD blockiert werden.

Deutliche Kritik an der CSU kam dagegen von den Grünen und der Linkspartei.

Über die Autorin

Nina Hager (Jahrgang 1950), Prof. Dr., ist Wissenschaftsphilosophin und Journalistin

Hager studierte von 1969 bis 1973 Physik an der Humboldt-Universität in Berlin. Nach dem Abschluss als Diplom-Physikerin wechselte sie in das Zentralinstitut für Philosophie der Akademie der Wissenschaften der DDR und arbeite bis zur Schließung des Institutes Ende 1991 im Bereich philosophische Fragen der Wissenschaftsentwicklung. Sie promovierte 1976 und verteidigte ihre Habilitationsschrift im Jahr 1987. 1989 wurde sie zur Professorin ernannt. Von 1996 bis 2006 arbeitete sie in der Erwachsenenbildung, von 2006 bis 2016 im Parteivorstand der DKP sowie für die UZ, deren Chefredakteurin Hager von 2012 bis 2016 war.

Nina Hager trat 1968 in die SED, 1992 in die DKP ein, war seit 1996 Mitglied des Parteivorstandes und von 2000 bis 2015 stellvertretende Vorsitzende der DKP.

Hager ist Mitherausgeberin, Redaktionsmitglied und Autorin der Marxistischen Blätter, Mitglied der Marx-Engels-Stiftung und Mitglied der Leibniz-Sozietät der Wissenschaften zu Berlin.

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"Entscheidung vertagt", UZ vom 22. Juni 2018



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