Der Streit zwischen CSU und CDU spitzt sich weiter zu

Kein Ende in Sicht

Von Nina Hager

Im Streit mit der CSU über die Asylpolitik braucht Kanzlerin Merkel, will sie den Bruch zwischen den Unionsparteien und ein Ende der Großen Koalition – und möglicherweise auch das Ende ihrer Kanzlerschaft – vielleicht noch vermeiden, einen „Erfolg“.

Doch der ist nicht absehbar. Weder beim Treffen mit Italiens neuem Ministerpräsidenten Conte noch auf dem EU-Minigipfel in Brüssel am vorigen Wochenende erreichte sie „zählbare Ergebnisse“ für eine „europäische Lösung“. In Brüssel war man sich aber weitgehend darin einig, ganz im Sinne der CSU wie auch der AfD die Asylpolitik weiter zu verschärfen. Die EU-Außengrenzen sollen noch stärker geschützt, Frontex ausgebaut, mehr „Auffanglager“ außerhalb der EU errichtet und „weitere Abkommen mit Herkunftsstaaten“ nach dem Vorbild des EU-Türkei-Deals geschlossen werden. Bilaterale Abkommen in der EU sind jedoch nicht in Sicht. Italien lehnt diese ab. Die Visegrad-Staaten, die nicht in Brüssel waren, vor allem Ungarn und Polen, wollen gar keine Flüchtlinge aufnehmen. Dass das alles nach dem EU-Gipfel am kommenden Wochenende anders aussehen wird, ist unwahrscheinlich.

Und wenn doch? Ob das dann die CSU akzeptiert? Es sieht nicht danach aus. Schon gar nicht danach, dass die CSU-Männerriege von ihrer Position abrücken wird. Es geht dabei um mehr als die Flüchtlingsfrage. Der frühere SPD-Vorsitzende Gabriel warnte in einem Interview mit dem „Neuen Deutschland“ davor, dass die CSU mit ihrem Handeln, die „Bundesregierung zerstört und Deutschland und Europa ins Chaos stürzt“. Die CSU will nicht nur im bayerischen Landtagswahlkampf punkten, sondern auch – davon ist der Co-Vorsitzende der Linkspartei Riexinger überzeugt – Merkel stürzen, eine Rechtswende in der CDU sowie eine noch autoritärere, nationalistische Politik durchsetzen. Zuvor hatte er bereits von einem „Putsch von rechts“ gesprochen.

Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder warb am Sonntag in einer Rede in Vilsbiburg im niederbayerischen Landkreis Landshut noch einmal für einen nationalen Alleingang: „Deutsches Recht, nationales Recht muss gelten, und ich bin froh, dass die Entscheidung schon getroffen wird.“ Heißt das, dass Seehofer ab 1. Juli „handeln“ wird?. Unabhängig davon, ob und was Angela Merkel bis dahin in der EU erreicht, unabhängig vom Koalitionsvertrag? Am kommenden Sonntag, nach dem regulären EU-Gipfel, wollen die Führungsgremien der CSU endgültig entscheiden. Wohl wissend, dass das zu einer Regierungskrise und zum Bruch der Koalition führen kann. Am vorigen Samstag erklärte Seehofer gegenüber der „Süddeutschen Zeitung“ jedenfalls, er werde sich auch durch die Richtlinienkompetenz der Kanzlerin nicht davon abbringen lassen, mehr Flüchtlinge als bisher an der Grenze abzuweisen. Doch wenn er, mit Billigung der CSU-Führung, im Alleingang handelt, könnte es zum großen Knall kommen. Denn, so Bundestagspräsident Schäuble (CDU): Ein solches Vorgehen Seehofers würde Merkels Handlungsspielraum auf Null reduzieren. Sie muss dann auf ihre Richtlinienkompetenz pochen. Eine Entlassung Seehofers wäre die Folge.

Das wäre dann wohl auch das Ende der Großen Koalition, hätte für das Land, aber auch für die EU Folgen. Unter anderem könnte zudem die nationalistische und offen faschistische Rechte dann, wie hier schon die AfD, überall weiter gestärkt werden.Die AfD profitiert derzeit vom Streit in der Union und verweist mit Erfolg immer wieder darauf, dass diese mit Blick auf die bayerischen Landtagswahlen versuche, AfD-Forderungen zu übernehmen. EU-Europa würde noch schneller weiter nach rechts rücken.

Am Dienstag wollte die Unionsfraktion zunächst von Merkel weitere Erklärungen, wie die „europäische Lösung“ zur Beilegung des unionsinternen Flüchtlingsstreits aussehen könnte. Am Dienstagabend (nach Redaktionsschluss dieser Ausgabe der UZ) tagte auf Wunsch der SPD der Koalitionsausschuss. Die SPD-Vorsitzende Andrea Nahles kritisierte zuvor: „Seit Wochen legen sich CDU und CSU gegenseitig, Deutschland und halb Europa lahm.“ Sie wandte sich gegen ein mögliches Abdriften der CSU auf einen anti-europäischen Kurs. „Seehofer ist eine Gefahr für Europa.“ Am Montag verwies sie in einer Pressekonferenz darauf, dass die geplanten Zurückweisungen an der Grenze mit EU-Recht nicht vereinbar seien. Ihr Stellvertreter Ralf Stegner schloss Zugeständnisse beim Treffen des Koalitionsausschusses in mehreren Punkten aus: „Unser Nein gilt für direkte Zurückweisungen an der Grenze, aber auch für die von Innenminister Seehofer offenbar geplante Absenkung von Sozialleistungen für Migranten, die Einführung einer Residenzpflicht sowie die Zahlung von Sachleistungen statt von Geld.“ Zwar folgte Stegner damit Mindestforderungen der Jusos. Zu mehr konnten sich beide wieder nicht durchringen. Man sei doch nicht im Kindergarten, konnte man dazu auf der Pressekonferenz am Montag von Nahles hören. Die SPD drückt sich. Wohl auch, weil man bei Neuwahlen derzeit einen noch tieferen Absturz fürchtet. Dabei wäre derzeit auch eine Regierungskoalition ohne CSU möglich. Wenn die Grünen mitmachen.

Über die Autorin

Nina Hager (Jahrgang 1950), Prof. Dr., ist Wissenschaftsphilosophin und Journalistin

Hager studierte von 1969 bis 1973 Physik an der Humboldt-Universität in Berlin. Nach dem Abschluss als Diplom-Physikerin wechselte sie in das Zentralinstitut für Philosophie der Akademie der Wissenschaften der DDR und arbeite bis zur Schließung des Institutes Ende 1991 im Bereich philosophische Fragen der Wissenschaftsentwicklung. Sie promovierte 1976 und verteidigte ihre Habilitationsschrift im Jahr 1987. 1989 wurde sie zur Professorin ernannt. Von 1996 bis 2006 arbeitete sie in der Erwachsenenbildung, von 2006 bis 2016 im Parteivorstand der DKP sowie für die UZ, deren Chefredakteurin Hager von 2012 bis 2016 war.

Nina Hager trat 1968 in die SED, 1992 in die DKP ein, war seit 1996 Mitglied des Parteivorstandes und von 2000 bis 2015 stellvertretende Vorsitzende der DKP.

Hager ist Mitherausgeberin, Redaktionsmitglied und Autorin der Marxistischen Blätter, Mitglied der Marx-Engels-Stiftung und Mitglied der Leibniz-Sozietät der Wissenschaften zu Berlin.

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"Kein Ende in Sicht", UZ vom 29. Juni 2018



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