Türkei weitet Angriffe auf Kurden aus – Bundesregierung genehmigt weitere Waffenlieferungen

EU-Millionen für Erdogans Krieg

Von Rüdiger Göbel

Die Weltgesundheitsorganisation WHO schlägt Alarm: Infolge der türkischen „Offensive Olivenzweig“ sind in der Region Afrin im Norden Syriens fast 170 000 Menschen vertrieben worden. Junge und Alte, Kinder, Frauen und Männer brauchen nach ihrer Flucht dringend medizinische Hilfe. In der Stadt Afrin selbst, die von der türkischen Armee und verbündeten islamistischen Milizen besetzt gehalten und terrorisiert wird, halten sich laut WHO noch zehntausende Zivilisten auf, die ebenfalls Unterstützung brauchen. Von insgesamt vier Krankenhäusern in Afrin ist nur noch eines in Betrieb.

Nach dem Fall von Afrin wendet sich die türkische Führung den nächsten Zielen zu. Präsident Erdogan hatte bereits frühzeitig angekündigt, dass er syrisches Territorium bis zum Euphrat und auf der gesamten Länge bis zum Irak besetzen will, darunter die Städte Kamischli, Kobane und Manbidsch. Das Vorgehen in Afrin zeigt, dass es dabei nicht um die Vertreibung der kurdischen Volksverteidigungseinheiten YPG geht, die von der Führung in Ankara als „Terroristen“ und Verbündete der Arbeiterpartei Kurdistans PKK bezeichnet werden, während sie von anderen NATO-Staaten, allen voran den USA, als alliierte Bodentruppen im Kampf gegen den „Islamischen Staat“ genutzt werden. Die islamistische AKP-Regierung zielt offensichtlich darauf, alle Kurden aus dem Gebiet zu vertreiben, und Jesiden wie Christen mit dazu. Beobachter fürchten, Erdogan könne in den „gesäuberten Gebieten“ gezielt Mitglieder islamistischer Kampfgruppen wie der Ahrar Al-Sham und deren Familien ansiedeln, die angesichts militärischer Erfolge der syrischen und russischen Armee die Region Ost-Ghouta bei Damaskus verlassen.

Offen ist derzeit, wie sich die USA entscheiden, die in der Region in Absprache mit den Kurden, aber völkerrechtswidrig, zahlreiche Militärbasen errichtet haben und mit eigenen Truppen präsent sind. In Afrin haben sie ihre Verbündeten der YPG im Stich gelassen und Erdogans neo-osmanischen Großmachtplänen geopfert. Dass die auch vor anderen Grenzen nicht Halt machen, haben Erdogan und türkische Regierungsmitglieder wiederholt betont. Eindrücklich hat dies gerade noch einmal Necati Sentürk, der von der Führung in Ankara eingesetzte Gouverneur der türkischen Provinz Kirsehir, unterstrichen. Mit dem Säbel in der Hand kündigte er auf dem Balkon seines Amtssitzes neue Feldzüge an: „Wenn Gott will, werden wir Afrin und Manbidsch erobern! Und wir werden auch nach Mossul ziehen und nach Jerusalem!“ Wenige Tage später erklärte er seinen sofortigen Wechsel in den Ruhestand, standhaft bei seiner Position bleibend.

Längst hat Erdogan seinen Krieg gegen die Kurden im Norden des Irak ausgeweitet. Die türkische Luftwaffe bombardiert dort Stellungen der PKK. Nach der Androhung einer großangelegten Militäroffensive haben die Kurden einen Rückzug aus der Region Sindschar angekündigt. Die Kämpfer würden abgezogen, da sie ihre „Ziele erreicht“ hätten, erklärte die Union der Gemeinschaften Kurdistans (KCK) als politische Vertretung der PKK. Mit dem Sieg über die Mörderbanden des IS sei die Region für die Jesiden gesichert. IS-Kämpfer hatten im Sommer 2014 Sindschar überrannt und Tausende Jesiden vertrieben oder ermordet. Tausende Frauen wurden zu Sexsklavinnen gemacht. Erst die Kämpfer der PKK haben die Mordbrenner des IS gestoppt.

Erdogan hatte immer wieder gedroht, türkische Truppen könnten „eines Nachts plötzlich in Sindschar eindringen, um es von der PKK zu säubern“. Wenn Bagdad die Sache nicht bald angehe, werde es eine weitere „Operation Olivenzweig“ geben. Offensichtlich haben die Kurden mit der irakischen Regierung in Bagdad eine Vereinbarung über den Abzug und den weiteren Schutz der jesidischen Bevölkerung erzielt.

Konsequenzen muss Erdogan für den anhaltenden Völkerrechtsbruch, den seine Angriffe auf Afrin und die Besetzung der Stadt darstellen, nicht fürchten. Im Gegenteil: Der Despot schafft immer neue Flüchtlinge und bekommt von der EU auch noch Geld dafür, die Türkei bleibt Beitrittskandidat der EU, wie beim gemeinsamen Gipfel im bulgarischen Warna gerade bekräftigt, und der NATO treues Mitglied. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat nach 60 Tagen Vertreibungskrieg erstmals scharfe Kritik am türkischen Vorgehen geäußert. Folgen hat das aber nicht, ihr Kabinett genehmigt sogar immer neue Waffenlieferungen. Ausdrücklich hält sie am Flüchtlingspakt mit Erdogan fest und verteidigt die Auszahlung weiterer drei Milliarden Euro. Laut aktuellem Spiegel fließen EU-Gelder direkt in die Anschaffung von gepanzerten Militärfahrzeugen.

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"EU-Millionen für Erdogans Krieg", UZ vom 29. März 2018



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