Gegenleistung für Abschottung: Merkel unterstützt türkische Pläne für „Schutzzone“ in Syrien

Krieg gefällig?

Von www.german-foreign-policy.com

Seit Jahren fordert das türkische AKP-Regime, auf syrischem Territorium eine so genannte Schutzzone einzurichten. Nun hat die EU – auf Initiative der Bundesregierung – diese Forderung übernommen. Schon in der vergangenen Woche hatte die Bundeskanzlerin Angela Merkel in klarer Abkehr von der bisherigen Berliner Politik für diese Maßnahme plädiert. Am vergangenen Freitag, im Anschluss an den EU-Gipfel, sagte sie: Man habe sich nun auch gemeinsam „dafür ausgesprochen, dass auf dem Verhandlungsweg Zonen definiert werden, in denen die Zivilbevölkerung davon ausgehen kann, dass sie sicher ist“. Tatsächlich geht es bei dieser Schutzzone nicht darum, die Zivilbevölkerung vor dem angeblichen Terror russischer Bomber und syrischer Regierungstruppen zu schützen. Es geht darum, salafistischen, teilweise sogar dschihadistischen Rebellenmilizen in Nordsyrien einen Zufluchtsort vor dem Zugriff der syrischen Streitkräfte zu sichern. Merkel nannte ausdrücklich die Stadt Azaz, eine Hochburg der Dschihadisten. Dieses Zugeständnis ist offenbar eine Gegenleistung dafür, dass Ankara bei der Abschottung der EU gegen Flüchtlinge zur Zusammenarbeit bereit ist.

Die Türkei hat in den vergangenen Tagen den syrischen Krieg weiter angeheizt. Die AKP-Regierung ließ – völkerrechtswidrig – kurdische Stellungen in Nordsyrien beschießen, sie schleuste hunderte islamistische Milizionäre direkt in das Kampfgebiet, sie droht damit, auch ihre eigenen Truppen in Syrien einmarschieren zu lassen. Aber Berlin und Brüssel stellen sich demonstrativ an die Seite Ankaras.

Ein Einmarsch türkischer Truppen in Syrien könnte einen direkten Zusammenstoß mit russischen Einheiten bedeuten. Schon im Herbst hatte Ankara einen russischen Kampfjet abschießen lassen, im Falle eines Einmarsches wäre sogar ein offener russisch-türkischer Krieg nicht mehr auszuschließen. Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn hat vorsorglich darauf hingewiesen, dass die NATO-Beistandsgarantie nur dann gilt, „wenn ein Mitgliedstaat in eindeutiger Weise angegriffen wird“. Ankara könnte demnach, sollte es seinerseits Syrien attackieren und erst infolgedessen in einen Krieg verwickelt werden, nicht automatisch auf Beistand der NATO hoffen. Trotzdem stiege die Kriegsgefahr zwischen den großen Mächten dramatisch an.

Auch der zweite wichtige Verbündete Deutschlands im Mittleren Osten, Saudi-Arabien, hat Ende vergangener Woche angekündigt, die Rebellenmilizen in Syrien noch stärker zu unterstützen als bisher. Riad, so der saudische Außenminister Adel al Jubeir, wolle den Milizen Boden-Luft-Raketen zur Verfügung stellen. Damit will Saudi-Arabien ihnen ermöglichen, „Hubschrauber und Flugzeuge des Regimes auszuschalten“. Unklar ist, ob dazu auch aus Deutschland importierte Waffen verwendet werden sollen. Noch Anfang 2015 hatte die Bundesregierung genehmigt, Boden-Luft-Raketen für die saudischen Streitkräfte zu exportieren. Ohnehin wird Saudi-Arabien weiterhin reichlich mit deutschem Kriegsgerät ausgestattet: Wie Ende vergangener Woche bekannt wurde, hat die Bundesregierung 2015 den Export von Militärgerät im Wert von 270 Millionen Euro nach Saudi-Arabien genehmigt. Die Feudaldiktatur nimmt damit unter den größten Empfängern deutscher Rüstungsgüter Rang fünf ein.

Mit diesen Boden-Luft-Raketen könnten die in Syrien kämpfenden Milizen auch russische Flugzeuge abschießen und damit eine weitere Eskalation des Krieges provozieren. Riad hat solche Szenarien durchaus im Blick – das zeigen die Erläuterungen des Ministers Al Jubeir: Die Boden-Luft-Rakete sollten die Machtverhältnisse in Syrien „so verändern, wie sie sie seinerzeit in Afghanistan verändert haben“. Dort fügten die Mudschahedin Anfang der 1980er Jahre den sowjetischen Truppen mit Hilfe von US-Stinger-Raketen, die den Abschuss von Hubschraubern erlaubten, schwere Verluste zu, die maßgeblich zum sowjetischen Rückzug vom Hindukusch beitrugen. Im weiteren Verlauf wurde Afghanistan von den Mudschahedin weitestgehend zerstört; es hat sich bis heute nicht wieder davon erholt.

Mittlerweile kritisieren auch Teile des westlichen Establishments die Syrien-Politik der NATO-Staaten. Kürzlich hat der ehemalige Generalinspekteur der Bundeswehr Harald Kujat erklärt, ohne Moskaus Eingreifen „wäre Syrien kollabiert und der IS hätte das Land übernommen“; man verdanke „den Friedensprozess“ tatsächlich der russischen Intervention. Ähnlich hat sich jetzt auch der US-Journalist Stephen Kinzer, der an der renommierten Brown University lehrt, im „Boston Globe“ geäußert, einer auflagenstarken Zeitung, die mehrfach mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet wurde. Kinzer urteilt: „Russlands Strategie, den IS und Al Qaida zu bekämpfen“ und die Regierung Assad dabei zumindest vorläufig zu verteidigen, sei „die am wenigsten schlechte Option“. Dass der Westen von Beginn an kompromisslos auf Assads Sturz gesetzt habe, habe großen Teilen der syrischen Opposition „jeden Anreiz“ genommen, „über einen friedlichen Wandel zu verhandeln“. Das sei ein schwerer Fehler gewesen. Die Alternative zu Assad könne „ein IS-,Kalifat‘ sein, das sich vom Mittelmeer bis zum Tigris erstreckt“; das sei keinesfalls anzustreben. Kinzer fordert, der Westen müsse seine Umsturzpolitik endlich beenden, bevor es zum Schlimmsten komme.

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"Krieg gefällig?", UZ vom 26. Februar 2016



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