Bundesinnenminister blockiert Hilfe für Geflüchtete aus griechischen Flüchtlings-lagern. Dabei würden selbst 170 deutsche Kommunen gern umgehend helfen

„Europäische“ Lösung

Nachdem das Flüchtlingslager Moria auf der griechischen Insel Lesbos, in dem rund 13.000 Menschen eingesperrt waren, bereits am 9. September abgebrannt ist, sind die Betroffenen noch immer weitestgehend auf sich selbst gestellt. Obwohl eine Reihe an Menschenrechts- und Flüchtlingsorganisationen, Vertreter von Linkspartei, Bündnis 90/Die Grünen, SPD und selbst 16 Bundestagsabgeordnete aus der CDU/CSU-Fraktion Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) aufforderten, zumindest einen Teil der Geflüchteten nach Deutschland zu bringen, bleibt dieser hart. Dabei meldeten sich in den vergangenen Tagen über 170 Kommunen und Städte und erklärten sich bereit, Flüchtlinge aufzunehmen. Seehofer beharrt jedoch auf einer „europäischen Lösung“ der Flüchtlingsfrage, gleichwohl auch er weiß, dass diese als ausgesprochen unrealistisch gilt. So verweigern sich mittlerweile keineswegs nur die üblichen reaktionär regierten Länder wie Ungarn oder Polen einer humanitären Lösung. Auch das von den Konservativen und Grünen regierte Österreich und selbst die als liberal geltenden Niederlande wollen keine Geflüchteten aufnehmen.

Für die Betroffenen, deren Situation auch schon vor dem Brand äußerst katastrophal war, stellt diese Ignoranz, zu Ende gedacht, nicht weniger als eine lebensbedrohliche Situation dar. So berichteten Flüchtlinge, bereits seit Tagen nichts mehr gegessen zu haben. Auch an Getränken, sicheren Schlafmöglichkeiten mangelt es. Eine bedarfsgerechte Gesundheitsversorgung findet nirgendwo mehr statt und ein Schutz vor einen Ausbruch mit weiteren Covid-19-Infektionen ist ebenfalls nicht gewährleistet. Zu dieser humanitären Katastrophe hätte es jedoch niemals kommen müssen. Das Lager auf Lesbos existiert bereits seit Jahren. Ebenfalls seit Jahren wäre es möglich gewesen, die dort gestrandeten Menschen in den verschiedenen EU-Ländern zu verteilen und ihnen einen Perspektive zu bieten. Rund 13.000 Menschen sind, im Verhältnis zur EU mit ihren knapp 448 Millionen Einwohnern betrachtet, keine große Menschenmenge.

„Die aktuelle Notlage zeigt das totale Scheitern der EU-Politik im Umgang mit den Geflüchteten, wofür die deutsche Regierung zur Zeit besondere Verantwortung trägt“, kritisierte die „Internationale Liga für Menschenrechte“.

Die Bundesregierung selbst will jedoch offenbar auch weiterhin an ihrer Position festhalten, nur 100 bis 150 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge aus Moria aufnehmen. Eben dies hatte Seehofer als „Beispiel praktizierter Nächstenliebe“ bezeichnet.
„Diese Zurückhaltung ist widerlich, denn damit verweigert die Bundesregierung Menschen, um deren Leben es geht, die wirklich notwendige Hilfe“, kritisierte Ulla Jelpke, innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion.

„Wir erwarten die gleichen Maßnahmen, wie wenn sich über 10.000 europäische Touristinnen und Touristen in akuter Gefahr befänden: Temporäre Unterbringungen müssen geschaffen, die Essens- und Wasserversorgung sofort sichergestellt, medizinisches Personal muss eingeflogen werden. Nicht irgendwann, sondern sofort! Zeitgleich ist eine Luftbrücke zu organisieren, um die Schutzsuchende möglichst schnell nach Deutschland und in andere europäische Länder auszufliegen“, forderten auch zwölf zivilgesellschaftliche Organisationen – darunter Pro Asyl – in einem Brief an Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU).

Auch Patrik Köbele, Vorsitzender der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP), forderte die Bundesregierung auf, den Geflüchteten umgehend zu helfen. „Was hier von den politisch Verantwortlichen aufgeführt wird, ist absolut menschenunwürdig“, sagte er auf UZ-Anfrage. Der EU stehe es aufgrund der von ihr zu verantwortenden und auch maßgeblich verursachten Katastrophe gut zu Gesicht, Begrifflichkeiten wie Menschenrechte, Humanismus und Solidarität künftig besser aus ihrem Wortschatz zu streichen“, so der DKP-Vorsitzende.

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"„Europäische“ Lösung", UZ vom 18. September 2020



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