Zum 75. Jahrestag der Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki

Feinde des Lebens

Vor 75 Jahren warfen Bomber der US-Luftwaffe über Hiroshima und Nagasaki Atombomben ab. Hunderttausende starben, die einen verglühten im Augenblick der Explosion, andere starben nach Stunden oder Tagen unter unsagbaren Qualen. Wieder andere schleppten sich noch durch Jahre und Jahrzehnte mit der Radioaktivität, die ihren Leib auffraß.

Dem nuklearen Inferno war der massive Angriff der US-Luftwaffe auf Tokio im März 1945, noch mit konventionellen Brandbomben, vorausgegangen. Mit fürchterlicher Wirkung. Schätzungen der Opfer liegen zwischen 80.000 und 100.000. Mag dieser Massenmord noch für militärische Hirne einen militärischen Sinn gehabt haben, nämlich den aggressiven japanischen Militarismus zur Kapitulation zu zwingen – dem Feuersturm über Hiroshima und Nagasaki lässt sich dieser Sinn nicht mehr andichten. Japans Führung war schon vor dem 6. August 1945 bereit, die Waffen zu strecken.

Terror ist willkürliche Gewalt. Die beiden Atombombenabwürfe waren ein Terrorakt. Sein Ziel war die Einschüchterung des Verbündeten der USA, der UdSSR. Also eine reine Machtdemonstration. Der heiße Krieg war noch nicht zu Ende, doch die Toten von Hiroshima zählen nicht zu den letzten Toten des Zweiten Weltkriegs. Sie waren die ersten Toten des beginnenden Kalten Kriegs.

Millionen sollten ihnen in den nächsten Jahrzehnten in die Auslöschung folgen in den großen und kleinen Kriegen, Interventionen, Massakern, Putschen und verdeckten Operationen, die die Supermacht USA auslöste und führte. Alle mit dem Ziel, ihre Macht zu bewahren und auszuweiten – die Macht, eine parasitäre Art zu wirtschaften dem gesamten Globus aufzuzwingen. Und dabei wurde immer wieder erwogen, die Massenvernichtungswaffe erneut einzusetzen – in den 50er Jahren gegen die Sowjetunion und im Koreakrieg, in den späten 60ern gegen Vietnam. Inzwischen haben die Strategen des Imperialismus noch eine andere Form des ungezielten Krieges gegen zivile Ziele gefunden: Ganze Völker durch Sanktionen als Geiseln zu nehmen, um sie gegen ihre Regierungen aufzubringen oder diesen Regierungen Zugeständnisse abzupressen. In Kuba leiden die Menschen seit 60 Jahren unter den Folgen dieses Terrors, im Irak starben in den 90ern Hunderttausende durch die Sanktionen. Das jüngste Ziel dieser Ausrottungspolitik ist Syrien.

Auch nach dem Zusammenbruch der europäischen sozialistischen Staaten und dem darauf folgenden großen Raubzug weigern sich die USA als einziges nuklearwaffenbesitzendes Land, auf einen Erstschlag mit dieser Waffe zu verzichten – also darauf, bei selbstbestimmter Gelegenheit die menschliche Zivilisation auszulöschen.

Im Januar 1941 benannte US-Präsident Franklin D. Roosevelt vier Freiheiten, die alle Menschen auf der Erde genießen sollten: Redefreiheit, Freiheit der Religion und Weltanschauung, Freiheit von Not und Freiheit von Furcht. Alle seine Nachfolger enthalten der Menschheit die vierte dieser Freiheiten vor. Seit Hiroshima und Nagasaki ist die Furcht vor der Auslöschung der Menschheit in der Welt. Sie wird noch besonders genährt dadurch, dass in Washington ein moralisch und intellektuell verkommener, kriegsgeiler, waffenverliebter, rassistischer, sexistischer Haufen alter Männer über den Einsatz der finalen Waffe verfügen kann, dem ein Heer von Hand- und Kopflangern in Militär, Politik und Medien in die Hände spielt. Sie sind Feinde des Lebens, Kämpfer für das System, das Menschen frisst und Profit scheißt. Der Einsatz der Atombombe war, ist und wird sein ein Verbrechen gegen die Menschheit – nicht gegen die Menschlichkeit, wie uns eine bewusst verniedlichende Übersetzung des Begriffs „Crime against Humanity“ aus den Nürnberger Prozessen weismachen will.

Solange wir unter der Furcht leben müssen, dass dieses Verbrechen wieder begangen wird, sind wir Überlebende jedes Tages, an dem die Bombe nicht fällt.

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"Feinde des Lebens", UZ vom 31. Juli 2020



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