Behörden entziehen kritischen Organisationen die Gemeinnützigkeit

Finanziell aushungern

Von Nina Hager

Das Finanzamt Frankfurt entzog im Jahr 2014 „Attac“ die Gemeinnützigkeit. „Attac“ wehrte sich und das Hessische Finanzgericht widersprach der Entscheidung des Finanzamtes. In der vorigen Woche revidierte der fünfte Senat des Bundesfinanzhofs (BFH) die Entscheidung. Im Urteil heißt es: „Wer politische Zwecke durch Einflussnahme auf politische Willensbildung und Gestaltung der öffentlichen Meinung verfolgt, erfüllt keinen gemeinnützigen Zweck.“ Die Aktionen von „Attac“ – Bezug wird vor allem auf die in den Jahren 2010 bis 2012 genommen – und das damit verbundene politische Engagement gingen über die Förderung einzelner Zwecke hinaus und seien zu nah an tagespolitischen Debatten. Das Hessische Finanzgericht soll nun nach den Vorgaben des BFH ein anderes Urteil sprechen.

BFH-Präsident Rudolf Mellinghoff erklärte, das Urteil bedeute nicht, dass gemeinnützige Organisationen überhaupt nicht politisch aktiv sein dürfen. Im Vordergrund müsse aber der gemeinnützige Zweck stehen, nicht politische Kampagnen. Heribert Prantl schrieb am 1. März in der „Süddeutschen Zeitung“: „Das Urteil lässt befürchten, dass nun kritische Vereine finanziell ausgehungert werden.“

Nicht nur Attac droht der Verlust der Gemeinnützigkeit, der zur Folge hätte, keine Steuerbegünstigung nach § 52 Abgabenordnung zu erhalten. Auch gegen andere unliebsame Organisationen und Vereine wird dieses Druckmittel benutzt. Der CDU-Bundestagsabgeordnete Olav Gutting twitterte, das Urteil könne eine Ermunterung für Finanzämter sein, auch bei vielen anderen Organisationen genauer hinzuschauen. Die Unionsparteien fordern, der „Deutschen Umwelthilfe“ die Gemeinnützigkeit zu entziehen. Die FDP will das bei Tierrechtsvereinen wie „PETA“ erreichen.

Anfang des Jahres drohten nordrhein-westfälische Finanzämter in einer konzertierten Aktion und in gleichlautenden Schreiben damit, dem Landesverband NRW der „Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antfaschisten“ (VVN-BdA) sowie mehreren selbstständigen Kreisvereinigungen die Gemeinnützigkeit zu entziehen. Die Begründung seitens der Ämter ist die Erwähnung der VVN-BdA im bayerischen Verfassungsschutzbericht für das Jahr 2017.

Über die Autorin

Nina Hager (Jahrgang 1950), Prof. Dr., ist Wissenschaftsphilosophin und Journalistin

Hager studierte von 1969 bis 1973 Physik an der Humboldt-Universität in Berlin. Nach dem Abschluss als Diplom-Physikerin wechselte sie in das Zentralinstitut für Philosophie der Akademie der Wissenschaften der DDR und arbeite bis zur Schließung des Institutes Ende 1991 im Bereich philosophische Fragen der Wissenschaftsentwicklung. Sie promovierte 1976 und verteidigte ihre Habilitationsschrift im Jahr 1987. 1989 wurde sie zur Professorin ernannt. Von 1996 bis 2006 arbeitete sie in der Erwachsenenbildung, von 2006 bis 2016 im Parteivorstand der DKP sowie für die UZ, deren Chefredakteurin Hager von 2012 bis 2016 war.

Nina Hager trat 1968 in die SED, 1992 in die DKP ein, war seit 1996 Mitglied des Parteivorstandes und von 2000 bis 2015 stellvertretende Vorsitzende der DKP.

Hager ist Mitherausgeberin, Redaktionsmitglied und Autorin der Marxistischen Blätter, Mitglied der Marx-Engels-Stiftung und Mitglied der Leibniz-Sozietät der Wissenschaften zu Berlin.

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"Finanziell aushungern", UZ vom 8. März 2019



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