Interne Kämpfe über Neuausrichtung der Linkspartei – Teil 1

Zwischen Putsch und Beitragsstreik

Mit dem Aufruf des Karl-Liebknecht-Kreises zum Beitragsstreik wird eine rote Linie überschritten“, erklärte Stefan Wollenberg, Landesgeschäftsführer der Brandenburger Linkspartei, gegenüber der früheren Parteizeitung „Neues Deutschland“ (nd). Seit Juli bezahlen die Anhänger des parteiinternen Zusammenschlusses nur noch drei Euro Beitrag pro Monat. Der individuelle Differenzbetrag zum bisherigen Beitrag wird als sachbezogene Spende an die jeweilige Ortsgliederung gegeben. Damit sollen die Anteile für den Vorstand gedrückt werden. Der Brandenburger Karl-Liebknecht-Kreis möchte mit dieser Aktion „der Unzufriedenheit großer Teile der Parteibasis Sichtbarkeit“ verleihen und „den Parteivorstand effektiv unter Druck“ setzen. Sein Aufruf vom 25. Juni ist eine Reaktion auf die vorherige Aufforderung des Parteivorstands an die ehemalige Spitzenkandidatin Sahra Wagenknecht, ihr Bundestagsmandat abzugeben und die Partei zu verlassen.

Die widerspenstigen Mitglieder aus Brandenburg sind zwar in der Partei längst keine Mehrheit mehr, doch stehen sie nicht alleine da. So unterstreicht zum Beispiel das „Was tun?! Netzwerk“ – ein im Mai von gut 250 Mitgliedern gegründeter loser parteiinterner Zusammenschluss verschiedener Arbeitskreise, darunter die bundesweite Strömung „Sozialistische Linke“ (SL), der auch Fraktionssprecher Dietmar Bartsch angehört – „sein Verständnis für den Beitragsstreik und solidarisiert sich mit dem KLK-Kreis gegen die Anfeindungen seitens des Landesvorstandes“.

Der Vorstandsbeschluss gegen Wagenknecht führte in verschiedenen Teilen der Partei zu Unmut. Doch bevor eine Debatte darüber in Fahrt kommen konnte, überraschten die Parteivorsitzenden Martin Schirdewan und Janine Wissler mit dem nächsten Coup: Der Vorstellung ihrer Top-Kandidaten für die EU-Parlamentswahl, darunter Carola Rackete. Das „Was Tun?!“ -Netzwerk, dem neben der reformorientierten SL und den KL-Kreisen noch weitere Antimilitaristen angehören, bezeichnete die Nominierung durch die Vorsitzenden als „Putsch“. Denn für die Kandidatenaufstellung seien der Bundesausschuss und der Parteitag zuständig. Nach dem Vorpreschen der Vorsitzenden könne der Ausschuss, welcher nach Satzung eine Kontrollfunktion gegenüber dem Vorstand ausübt, den bereits in den Medien vorgestellten Vorschlag nur noch gutheißen oder würde sonst einen öffentlichen Eklat riskieren. Das Netzwerk, welches sich auf das noch gültige Erfurter Parteiprogramm von 2011 beruft, schreibt in seinem Newsletter: „Es handelt sich um einen ‚Putsch von oben‘. Mit der eigenmächtigen und satzungswidrigen ‚Installierung‘ des ‚Spitzenteams‘ wird bewusst und absichtlich der Konflikt bis zur endgültigen Bruchlinie hin verschärft – die drohende Spaltung der Partei wird faktisch von der Parteiführung vollzogen.“

Eine Spaltung sei gefährlich, ließ einer der Vordenker der Europäischen Linken, Mario Candeias, wissen. Mit seinen Thesen (zum Ende der von ihm bislang ausgemachten „offenen Situation“) propagiert auch er einen Neustart der Linkspartei und liefert passende theoretische Fragmente für die machttaktischen Entscheidungen der Parteiführung. In diesen führt er unter anderem aus: „Nach innen braucht es eine programmatische Erneuerung und ein Signal des Aufbruchs (…) Dabei muss auf das im engeren Sinne linkskonservative Spektrum um Sahra Wagenknecht keine Rücksicht mehr genommen werden.“

Auch Carola Rackete möchte ihre Kandidatur als Teil des vom Parteivorstand mit dem Anti-Wagenknecht-Beschluss verkündeten „Neuaufbruchs“ verstanden wissen. Dafür „muss sie (die Partei) sich personell, inhaltlich und strukturell verändern“. Ihre Kandidatur sei ihr Beitrag für „eine klare Richtung und eine neue Erzählung“, sagte die „Extinction Rebellion“-Aktivistin bei der Vorstellung ihrer Kandidatur für die Linkspartei. Der Bundesvorsitzende Schirdewan wies Kritik daran, dass die Kandidatur von Rackete mitsamt der erwünschten Neuaufstellung einer,Vergrünisierung‘ gleichkomme, im Sommerinterview des ZDF zurück.

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"Zwischen Putsch und Beitragsstreik", UZ vom 4. August 2023



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