Gute Diskussionsgrundlage, aber verbesserungswürdig

Von Wolfgang Garbers

Der Entwurf ist eine gute Diskussionsgrundlage, bedarf aber einiger Präzisierungen. Ich beschränke mich auf vier aus meiner Sicht im Hinblick auf Wirtschafts- und Sozialpolitik und Strategiebildung wichtige Aussagen.

1. „Unter dem Vorwand des ‚Investitionsschutzes’ wollen sich multinationale Konzerne selbst den Ansätzen einer gesetzlichen Einflussnahme entziehen und die Deregulierung der Arbeitsbedingungen vorantreiben.“ (Zeilen 80–82). Hier sollten wir die beiden Haupthebel von TTIP/CETA benennen: zum einen die berüchtigten Schiedsgerichte, aber auch (und mindestens genauso wichtig!) die Gremien und Mechanismen der Deregulierung (im TTIP sog. „Regulatorischer Rat“), die diese umfassend, unbeschränkt und unumkehrbar machen sollen. Und es geht nicht „nur“ um die Arbeitsbedingungen, sondern auch um Finanzpolitik, öffentliche Daseinsvorsorge, Lebensmittel- und Umweltrecht, usw.

2. „Dem deutschen Imperialismus ist es gelungen, Deutschland bereits vor Ausbruch der Krise im Verhältnis zur hohen Produktivität zu einem Niedriglohnland zu machen … Das war die Voraussetzung, um mit der sogenannten Exportwalze und unter Nutzung von EU und Euro vor allem die Länder der südlichen Peripherie der EU auszupressen.“ (87–91). Der Mechanismus der Krise und der Krisenabwälzung des deutschen Imperialismus wird hier nicht erläutert. Das sollten wir aber tun, zumal reformistische Kräfte die Krise vom Finanzsektor, d. h. aus der Zirkulationssphäre heraus, erklären und damit letztlich eine erfolgversprechende Strategiebildung der Arbeiterbewegung verhindern. Das plakative Bild der „Exportwalze“ sollte erläutert und präzisiert werden: Profitstreben und Konkurrenzdruck erzeugen Druck in Richtung einer möglichst schrankenlosen Ausweitung der Produktion einerseits und einer möglichst weitgehenden Absenkung von Löhnen und Sozialleistungen andererseits. Resultat ist aufgrund der Beschränkung des inneren Marktes eine ausgeprägte Exportorientierung des deutschen Kapitals. Sie stützt sich auf eine günstige Produktpalette, einen hohen technologischen Standard, eine hohe Qualität von Produkten und Dienstleistungen, stabile Wirtschaftsbeziehungen sowie zu einem erheblichen Anteil auf eine restriktive Lohnentwicklung. Für die Abnehmerländer im Euro-Raum sind hingegen keine protektionistischen Maßnahmen und durch die Einheitswährung keine Abwertung mehr möglich. Ihr einziger ökonomischer Ausweg besteht in der „inneren Abwertung“, d. h. der Entwertung der Ware Arbeitskraft und Sozialraub.

3. „Vor allem bei den Teilen der Arbeiterklasse, die für die Meinungsbildung innerhalb der Arbeiterbewegung entscheidend sind, herrscht im Bewusstsein der weitgehende Glaube an die scheinbare Interessenidentität mit dem Monopolkapital v or… Auf der anderen Seite beteiligen sich große Teile der sozial Ausgegrenzten nicht mehr oder nur sporadisch am politischen Leben, den Bewegungen und Kämpfen … Standortlogik und Entsolidarisierung schwächen die Überreste des proletarischen Internationalismus. In Kombination mit stimuliertem Nationalismus und Militarisierung ist das der Nährboden für rassistische Tendenzen, die wiederum der Spaltung der Klasse, national und international, dienen.“ (115–128). Diese Darstellung ist m. E. zu stark auf die Exportbranchen fixiert. „Selektiver Solidarität“ in den Leitbranchen und „adressatenloser Unzufriedenheit“ und Kapitalismuskritik stehen jedoch dem auf zumindest begrenzte Zurückdrängung der Leiharbeit gerichteten Kurs der IGM, aber auch Kämpfen und z. T. neuen Kampfformen weniger kampferfahrener und/oder prekarisierter Teile der Klasse (z. B. im Handel oder in Teilen des öffentlichen Dienstes) gegenüber, die ausgewertet werden müssen. Diese widersprüchliche Realität sollte klarer herausgearbeitet werden.

4. „Die Erringung der politischen Macht durch die Arbeiterklasse und die Vergesellschaftung der wichtigen Produktionsmittel sind die Voraussetzung für den Aufbau des Sozialismus.“ (153–155). Vor dem Hintergrund, dass die Kapitalisten und ihr geschäftsführender Ausschuss Produktion und Reproduktion strikt nach Profitgesichtspunkten organisieren, durch ihre Krisenbewältigung jedes Mal die jeweils nächste Krise vorbereiten und uns und unseren Nachkommen sozial und ökologisch unsinnige Großprojekte und Irrwege der Produktivkraftentwicklung bescheren, gewinnt der Kampf um gesellschaftliche Planung eine immer größere Bedeutung. Dass diese plötzlich nicht mehr zu den Grundvoraussetzungen des Sozialismus zählen soll, ist nicht nachzuvollziehen.

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"Gute Diskussionsgrundlage, aber verbesserungswürdig", UZ vom 10. Juli 2015



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