Handelskrieger

Lars Mörking über die Proteste in Hongkong

Die Regierungschefin Hongkongs, Carrie Lam, stellte vor einer Woche nüchtern fest, dass der durch die Proteste verursachte wirtschaftliche Schaden für ihre Stadt nun so langsam den durch die Weltwirtschaftskrise vor gut zehn Jahren übersteige. Damit ist ein wesentliches Ziel der Proteste bereits gut beschrieben. Sie sind die Fortsetzung des Handelskrieges zwischen China und den USA mit anderen Mitteln.

Die Massenproteste richteten sich zunächst gegen ein inzwischen zurückgezogenes Auslieferungsgesetz. Dieses hätte es ermöglicht, mutmaßliche Straftäter dorthin zurückzuschicken, wo sie ihre Verbrechen begangen haben sollen, und das hätte auch die VR China mit eingeschlossen. Doch die Massenproteste gegen dieses Abkommen sind inzwischen Geschichte. Die deutlich kleineren und radikaleren Aktionen der letzten Wochen richteten sich grundsätzlich gegen den Status Hongkongs als Teil der VR China – sie sind „Anti-Peking-Proteste“. Um dies möglichst deutlich zum Ausdruck zu bringen, schwenken die Freiheitsliebenden gerne mal britische oder US-Fahnen. Damit machen sie jeweils deutlich, wer die jeweilige Wunsch-Interventionsmacht ist. Denn denjenigen, die eine Abspaltung von China fordern, ist durchaus klar, dass sie sich für diesen Fall einer imperialistischen Macht unterwerfen müssten.

Bereits Ende Juni waren Demonstranten zum US-Konsulat Hongkongs marschiert, um zu fordern: „Präsident Trump: Bitte befreie Hongkong“. Als am 1. Juli, dem Jahrestag der Rückkehr Hongkongs unter die Staatshoheit Chinas, maskierte Randalierer das Gebäude des Legislativrates stürmten, hissten sie die Flagge ihrer ehemaligen Kolonialherren und zerstörten, was ihnen in die Finger kam (siehe UZ vom 12. Juli).

Anfang der Woche blockierten Demonstranten den Flughafen in Hongkong. Der größte Frachtflughafen der Welt habe für ein paar Stunden stillgestanden, hieß es in der „Süddeutschen Zeitung“. Zuvor waren Händler das Ziel, die mit dem Festland Geschäfte machen. Straßen wurden blockiert, ein Streik ausgerufen.

Und sie drehen an der Spirale der Gewalt. Die „FAZ“ berichtete, dass Demonstranten am letzten Wochenende im Distrikt Wan Chai mit Brandbomben und Pflastersteinen auf Polizisten warfen. Die Demonstranten werfen ihrerseits der Polizei vor, mit Gewalt gegen Demonstranten vorzugehen, wobei auf den Bildern und Videos der Auseinandersetzungen nicht immer zu erkennen ist, wer denn Polizist und wer protestierender Student ist. Die Demonstranten sind derart ausgerüstet – Schutzwesten, Helme, Gasmasken –, dass sie in ihrer Montur von den Einsatzkräften kaum noch zu unterscheiden sind.

Die chinesische Regierung spricht inzwischen zu Recht von Protesten nach dem Muster einer „bunten“ Revolution. Die funktioniert nun mal nicht ohne Intervention von außen – und Peking macht sehr deutlich, dass es sich eine solche nicht gefallen lassen wird.

Das Verhalten der Studierenden, die diese Proteste maßgeblich organisieren, hat objektive Ursachen. Hongkong verändert sich – nicht zuletzt aufgrund des von der US-Regierung geführten Handelskrieges, aber auch aufgrund der Reformen in der VR China.

Hongkong genießt einen Sonderstatus als Handelsplatz für Asien und vor allem als Kanal für Investoren, die durch Investitionen am Wirtschaftswachstum der VR China teilhaben wollen. Dieser Sonderstatus ist nicht ewig aufrechtzuerhalten. Das wirkt sich auf die Perspektiven derjenigen aus, die bisher in einem Elitestudium eine Garantie für einen gutbezahlten Job sahen. Sie sind der Auffassung, sie hätten durch eine „bunte“ Revolution in Hongkong etwas zu gewinnen. Die wahrscheinlichere Perspektive ist, dass sie sich in naher Zukunft als Vorzeige-Dissidenten im Westen ihr Geld verdienen müssen.

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Über den Autor

Lars Mörking (Jahrgang 1977) ist Politikwissenschaftler. Er arbeitete nach seinem Studium in Peking und war dort Mitarbeiter der Zeitschrift „China heute“.

Mörking arbeitet seit 2011 bei der UZ, zunächst als Redakteur für „Wirtschaft & Soziales“, anschließend als Verantwortlicher für „Internationale Politik“ und zuletzt – bis Anfang 2020 – als Chefredakteur.

 

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"Handelskrieger", UZ vom 16. August 2019



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