Erwin Seeler und der SC Lorbeer 06

Held des Arbeitersports

Friedhelm Vermeulen

Im Arbeiterfußball gab es keinen Personenkult – außer natürlich jemand war wirklich verdammt gut und schoss sehr viele Tore. Zu diesen Spielern gehörte Erwin Seeler.

Die Arbeitersportvereine versuchten bewusst, Einzelkämpfertum und Konkurrenzdenken zu unterbinden. Zu Anfang verzichteten sie deshalb auf Wettbewerbe und Siegerehrungen. Zudem berichteten zahlreiche Zeitungen zwar über die Spielergebnisse im Arbeiterfußball, die proletarischen unter ihnen erwähnten jedoch die Namen der Torschützen bewusst nicht. Aber sich messen und sich beweisen können, das gehörte auch für Proletarier zum Sport dazu – zumal individuelle Fähigkeiten bei der Arbeit kaum eine Rolle spielten.

Und so wurde der 1910 geborene Erwin Seeler trotz seiner Zugehörigkeit zum Arbeitersportverein „SC Lorbeer 06“ zu einem der bekanntesten Fußballer in Deutschland. Lorbeer, ein Verein im Hamburger Stadtteil Rothenburgsort, war Mitglied im Arbeiter-Turn- und Sportbund (ATSB) und wurde mit Seeler 1929 und 1931 Meister.

Seeler war Vorarbeiter und Schiffer im Hamburger Hafen. Nach seiner Arbeit wurde er zum Stürmer – klein, stämmig und vor allem ein „Kämpfer“ vor dem Tor. Er wurde auch als Spieler in die „andere Fußball-Nationalmannschaft“ berufen, wie Rolf Frommhagen die Bundesauswahl des ATSB in seinem gleichnamigen Buch nennt. Seeler erzielte in neun Länderspielen elf Tore. „Fünf davon – in späteren Quellen ist von sieben die Rede – allein im Viertelfinale gegen Ungarn bei der Arbeiterolympiade 1931 in Wien“, heißt es in einem Artikel des österreichischen Magazins „ballesterer“. „Das Spiel endete 9:0, anschließend wurde Seeler auf Schultern vom Platz getragen, was ihm daheim jedoch einigen Ärger einbrachte.“ Denn, wie bereits erwähnt, die Hervorhebung der Leistung des Einzelnen war nicht gern gesehen. Und auch „Old“ Erwin Seeler soll das Betatschen und ständige Angequatsche, das mit seiner Bekanntheit einherging, so gar nicht gemocht haben.

Was er allerdings mochte, das war die Vorstellung, mit Fußball Geld zu verdienen. Auch dies widersprach natürlich den Prinzipien des Arbeitersports, sogar die Fahrt zum Meisterschaftsfinale 1931 mussten die Lorbeer-Spieler damals selber zahlen. Doch Seeler wurde von mehreren DFB-Klubs jahrelang intensiv umgarnt, bis er schließlich 1932 zum bürgerlichen SC Victoria Hamburg wechselte. Das „Hamburger Echo“ bezeichnete ihn daraufhin als „verirrten Proletarier“, der einen „Hochmutsfimmel“ habe. „Es muss doch ein peinliches Gefühl sein, im Arbeiterviertel zu wohnen, täglich seinen ehemaligen Genossen begegnen zu müssen und dann verachtet zu werden.“ Nicht weit vom Wohnhaus der Seelers entfernt, in der Tarpenbekstraße 66, wohnte Ernst Thälmann. Dort befindet sich heute die Thälmann-Gedenkstätte.

Zwar waren auch beim DFB Gehaltszahlungen untersagt, doch man fand andere Wege. Nach dem Vereinswechsel zog Seeler mit seiner Familie in den Schnelsener Weg, die Wohnung soll er vom SC Victoria bekommen haben. 1936 wurde hier sein Sohn Uwe geboren. Zwei Jahre später wechselte Erwin Seeler zum HSV, zu dessen Ikone Uwe später werden sollte.

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"Held des Arbeitersports", UZ vom 4. Juni 2021



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