Der Kollektivvorwurf und die Deportation der Krimtataren waren Unrecht

Im Kampf gegen die Okkupanten

Von Willi Gerns

In dem Beitrag „Hilfstruppen gegen Moskau“ (UZ vom 20. Mai 2016) wird auf dem Hintergrund der antirussischen Politisierung des Eurovision Song Contest (ESC) auch kurz auf die Kollaboration von Krimtataren mit den faschistischen deutschen Besatzern der Halbinsel im zweiten Weltkrieg sowie die folgende Deportation der Krimtataren im Jahr 1944 eingegangen.

Es hat allerdings nicht nur krimtatarische Kollaboration, sondern zugleich krimtatarische Beteiligung am bewaffneten Kampf gegen die Okkupanten auf der Krim und an anderen Fronten gegeben. Der Verzicht auf die Darstellung dieser anderen Seite des Verhaltens von Krimtataren während des zweiten Weltkrieges könnte Leserinnen und Leser, die mit diesem Zeitabschnitt in der Geschichte der Krim wenig vertraut sind, zu dem Schluss führen, der von der sowjetischen Führung 1944 gegen die Krimtataren erhobene kollektive Kollaborations-Vorwurf sowie die nachfolgende Massendeportation seien berechtigt gewesen.

Darum einige Ergänzungen zu dem ansonsten informativen, auf www.german-foreign.policy.com gestützten Artikel: Wenn die im Beitrag dargestellten, von den ukrainischen Putschisten und aus EU- und NATO-Ländern unterstützten antirussischen Aktivitäten bestimmter krimtatarischer Führer bei einem Teil der Krimtataren auf einen günstigen Boden fallen, so spielen dabei sicher die noch immer nicht völlig vernarbten Wunden, die ihnen bzw. ihren Eltern und Großeltern durch den Kollektivvorwurf einer Kollaboration mit den faschistischen deutschen Besatzern während des zweiten Weltkrieges und die damit begründeten Vertreibung aus ihrer Heimat zugefügt wurden, keine geringe Rolle. 1944 wurden 180000 bis 190000 Krimtataren, d. h. faktisch die ganze krimtatarische Minderheit, von der Halbinsel deportiert, der größte Teil in die zen­tralasiatischen Sowjetrepubliken. Eine Massenrückkehr setzte erst Ende der 1980er/Anfang der 1990er Jahre ein. Dabei war der kollektive Vorwurf der Kollaboration unbegründet.

Über die krimtatarischen Einheiten im Dienst der Besatzer gibt es unterschiedliche Angaben. Auf Wikipedia ist unter Berufung auf Isabelle Kreindler von etwa 15 000 – 20 000 Mann in den sogenannten teilweise bewaffneten Einheiten des „Selbstschutzes“ die Rede, Karl Heinz Roth und Jan-Peter Abraham nennen die Zahl von 7 900 direkten militärischen tatarischen Kollaborateuren, die an der Partisanenbekämpfung bzw. am Kampf gegen die Rote Armee mit deutschen Waffen gemeinsam mit deutschen Einheiten und in deutschen Uniformen ohne Rangabzeichen beteiligt waren. Wahrscheinlich muss davon ausgegangen werden, dass diese Zahl in der von Wikipedia enthalten ist.

Zur gleichen Zeit kämpften jedoch rund 1 000 Krimtataren in den Reihen der etwa 10 000 sowjetischen Partisanen auf der Krim und 20 000 in der Roten Armee. Acht Krimtataren wurden mit dem Titel Held der Sowjetunion ausgezeichnet, einem krimtatarischen Piloten – Amet-Chan-Sultan – wurde diese Auszeichnung sogar zweimal verliehen.(Siehe Wikipedia. Quelle: Isabelle Kreindler: The Soviet Deportated Nationalites, Soviet Studies. Vol 38, 3. July 1986, S. 391 sowie Karl Heinz Roth/Jan-Peter Abraham: Reemtsma auf der Krim, Edition Nautilus Verlag Lutz Schulenburg, 2011, S. 214–236)

Die Rehabilitierung der Deportierten, die leider erst in der Endphase des Bestehens der Sowjetunion erfolgte, war darum überfällig. Eine wichtige Rolle spielte dabei die Deklaration des Obersten Sowjets der UdSSR aus dem Jahr 1989: „Über die Anerkennung der Repressionsakte gegen die Völker, die ausgesiedelt wurden, als rechtswidrig und verbrecherisch“. 1991 folgten die Gesetze „Über die Rehabilitierung von Opfern politischer Repressionen“ und „Über die Rehabilitierung der unterdrückten Völker“. Unmittelbar nach der Wiedervereinigung der Krim mit Russland hat Präsident Putin ein Dekret zur vollständigen Rehabilitierung der Krimtataren unterzeichnet, dem inzwischen eine ganze Reihe konkreter Maßnahmen zur Umsetzung folgten: Rehabilitiert wurden auch die auf der Krim lebenden Armenier, Deutsche und Griechen sowie die anderen Opfer der Deportationen.

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"Im Kampf gegen die Okkupanten", UZ vom 24. Juni 2016



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