Im Wahlkampf getrennt: Koalition streitet über Feldzug gegen Russland

Im Kriegswillen geeint

Im NATO-Krieg gegen Russland zeichnet sich ein Scheitern des Militärpakts und damit seiner Vormacht, der USA, ab. Die Folgen wären weiterreichend als beim Desaster des 20-jährigen Feldzugs in Afghanistan – der Niedergang ist offensichtlich. Das erhöht in den Hauptstädten der Allianz die Neigung zu unverantwortlicher Rhetorik, offenbar auch die zu abenteuerlichen, einen Weltkrieg riskierenden Handlungen. Starke politische Kräfte, die der Kriegstreiberei in den Arm fallen könnten, sind in den Parlamenten nicht sichtbar. Hier und da gibt es verhaltene Bemühungen, dem Kriegsrausch etwas Nüchternheit entgegenzusetzen, zumal bei den Wahlen zum EU-Parlament mit Friedensparolen Stimmen gesammelt werden können.

Das gilt auch für die Bundesrepublik, wo nach Umfragen an die 60 Prozent der Bevölkerung gegen die Lieferung weitreichender Waffen an Kiew sind (Mehrheiten dafür finden sich nur bei den Wählern von Grünen und FDP). Am 14. März hatte der SPD-Fraktionsvorsitzende Rolf Mützenich in der Bundestagsdebatte über eine Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern gefragt: „Ist es nicht an der Zeit, dass wir nicht nur darüber reden, wie man einen Krieg führt, sondern auch darüber nachdenken, wie man einen Krieg einfrieren und später auch beenden kann?“ Das Wort „einfrieren“ reichte, um einen Wutschrei bei allen auszulösen, denen die gigantische deutsche Militär- und Finanzhilfe, die Mützenich ausdrücklich unterstützt, nicht reicht. In SPD, FDP, Bündnis 90/Die Grünen, in CDU und CSU gibt es genügend lautstarke Rufer nach Waffen, die Ziele im russischen Hinterland oder sogar in Moskau erreichen können.

Am Dienstag hatten sich die Gemüter immer noch nicht beruhigt, so dass Kanzler Olaf Scholz (SPD) sich zu Wort meldete. Auf einer Diskussionsveranstaltung der Zeitungen des Dieter-von-Holtzbrinck-Konzerns „Zeit“, „Handelsblatt“, „Tagesspiegel“ und „Wirtschaftswoche“ in Berlin behauptete er: „Die Debatte in Deutschland ist an Lächerlichkeit nicht zu überbieten.“ Er wünsche sich eine Diskussion, „die Besonnenheit nicht diskreditiert als etwas, das zögerlich sei“. Scholz wiederholte rituell seine Formel: Deutschland sei einer der größten Unterstützer der Ukraine und er der „Besonnene“. Letzteres liefert die „Grundlage dafür, dass es die notwendige Unterstützung in der Bevölkerung für diese Dinge gibt“. Dem entsprach seine Äußerung zu Mützenich: Das Wort „einfrieren“ nicht in den Mund nehmen, aber sich der Kritik nicht anschließen. Mützenich sei „einer der hervorragenden Unterstützer“ seiner Ukraine-Politik. Er sei sich mit Mützenich und vielen anderen einig, „dass wir ein klares Signal an den russischen Präsidenten senden“ – das Signal, dass die Ukraine so lange unterstützt werde wie nötig.

Anders „Kriegstüchtigkeits“-Minister Boris Pistorius (SPD) am selben Tag im „Deutschlandfunk“: „Ich hätte mir jetzt das Wort ‚Einfrieren‘ nicht zu eigen gemacht, weil das Wort ‚Einfrieren‘ signalisiert, man könne einen solchen Krieg einfach so einfrieren und dann hoffen, dass es besser wird.“ Und weiter: „Wir wissen aus der Geschichte und der Erfahrung mit Putin, dass das niemals so sein wird.“ Während die SPD es so mit einer Doppelstrategie versucht, setzen die Kriegshetzer weiter auf Zustimmung für einen Siegfrieden. Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) schrieb zum Beispiel auf X: „Heute vor zehn Jahren hat Wladimir Putin die Krim annektiert. Wer glaubt, seinen Krieg gegen die Ukraine einfrieren zu können, der sollte in die Geschichte schauen.“

Der Gemeinte nahm am Dienstag im Interview mit der „Neuen Westfälischen“ nichts zurück. Nach Mützenichs Ansicht müsse China, das mit seiner „Seidenstraßeninitiative“ wirtschaftliche Interessen in der Ukraine habe, zu einer aktiveren Rolle bewegt werden: „Diese Debatten muss Politik doch führen, anstatt nur darüber zu reden, wo die Schrauben beim Taurus sitzen.“

Im Wahlkampf wird getrennt marschiert, der Russe aber soll gemeinsam geschlagen werden – bedingungslos.

✘ Leserbrief schreiben

An die UZ-Redaktion (leserbriefe (at) unsere-zeit.de)

"Im Kriegswillen geeint", UZ vom 22. März 2024



    Bitte beweise, dass du kein Spambot bist und wähle das Symbol Flugzeug.



    UZ Probe-Abo [6 Wochen Gratis]
    Unsere Zeit