Internationale statt Bewegung

Arnold Schölzel darüber, was wir im „Herbst des Kapitalismus“ brauchen

Arnold Schölzel ist stellvertretender Chefredakteur der Tageszeitung „junge welt“.

Arnold Schölzel ist stellvertretender Chefredakteur der Tageszeitung „junge welt“.

Linke Sammlungsbewegungen haben Konjunktur: Syriza, Podemos, La France insoumise, Jeremy Corbyns Labour, linke Kandidaten für den US-Kongress. Nun meldet sich der ägyptisch-französische Wirtschaftswissenschaftler Samir Amin (geb. 1931) mit einem Text zu Wort, in dem er dazu aufruft, eine Organisation, eine „Internationale der Arbeiter und der Völker“ und „nicht einfach eine ‚Bewegung’“ zu schaffen. Es sei nötig, über „das Konzept eines Diskussionsforums“ hinauszugehen.

Sein Beitrag erschien am 7. August auf der Internetseite der in Frankreich erscheinenden Zeitschrift „Afrique-Asie“. Auf den Versuch, in Deutschland eine Sammlungsbewegung ins Leben zu rufen, geht er nicht ein, seine Argumente erscheinen aber in diesem Kontext wichtig.

Im Vordergrund steht für Amin die Dialektik von internationalen und von „nationalen populären und demokratischen Projekten“. Das ist seine Antwort auf die Weltlage. Bei deren Analyse betont er die „extreme Zentralisation von Macht“ auf allen Ebenen, die „absolute politische Macht“ der Oligarchen, spricht von „Totalitarismus“. Es seien die historischen imperialistischen Mächte (USA, die Länder West- und Zentraleuropas sowie Japan), die nach wie vor das Ziel verfolgten, die Naturressourcen des Südens und dessen Arbeitskräfte auszubeuten. Dafür hätten sie ein von den USA bestimmtes „System kollektiver militärischer Kontrolle des Planeten“ geschaffen.

Angesichts dessen sei die Gegenwehr schwach. Amin nennt als Gründe dafür: Zerfaserung der Kämpfe und Spaltung trotz beschleunigter weltweiter Proletarisierung; die Ersetzung von antiimperialistischer Solidarität in den Ländern der „Triade“ durch „humanitäre“ Kampagnen und „Hilfs“programme, die vom Monopolkapital kontrolliert werden, sowie der Aufstieg neuer rechter Ideologien.

Vor diesem Hintergrund zeige sich das Dilemma des Systems. Seine Macht erscheine „unzerstörbar“, es selbst aber als „nicht lebensfähig“. Es präsentiere sich als „offen“, garantiere aber allein das Wachstum von Reichtum auch bei wirtschaftlicher Stagnation. Die EU sei „in reaktionärem, antisozialistischem, proimperialistischem Geist“ konstruiert und „der militärischen Führung durch die USA unterworfen“. Deutschland sei insbesondere in der Euro-Zone und in Osteuropa, das ihm angeschlossen sei „wie Lateinamerika an die USA“, hegemonial. Die Stagnation des Wachstums in den imperialistischen Ländern kontrastiere mit der Beschleunigung in den Ländern des Südens. Amin warnt aber davor, daraus zu schließen, dass sich das Gravitationszentrum des Kapitalismus dorthin und speziell nach Asien verlagere. Die Hindernisse dafür werden aus seiner Sicht höher. In einem dem Text beigefügten offenen Brief, in dem er zu einem ersten Treffen aufruft, heißt es: „Die Spannung zwischen dem Westen und Russland, China, dem Iran ist kein vorübergehendes Phänomen, sondern das Epizentrum einer neuen gewaltsamen Umgestaltung der Welt zugunsten der westlichen Bourgeoisien.“ Die imperialistischen Mächte gestatteten es keinem Land – ob groß oder klein – sich von ihrer Vorherrschaft zu befreien. Hinzu kämen ökologische Verwüstungen.

In diesem „Herbst des Kapitalismus“ sei die wahrscheinlichste Hypothese, dass wie im 20. Jahrhundert Fortschritte zunächst in Ländern der Peripherie möglich seien. Das habe aber zu permanenten imperialistischen Kriegen geführt. Eine Internationale öffne dagegen den Weg zu anderen Entwicklungen.

Amin bezeichnet die Adressaten seines Appells nicht näher und veranschlagt Jahre für die Realisierung. Zweierlei erscheint aber bemerkenswert: Sein Aufruf ist ein Indiz dafür, dass das Bedürfnis nach einer sozialistischen Antwort auf Kapitalismus, auf Krise und die Gefahr eines großen Krieges stärker wird. Amins Analyse des globalen Imperialismus führt zweitens zu einem internationalistischen Ansatz für den Wiederaufbau einer starken Linken. Das erscheint zwingend.

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"Internationale statt Bewegung", UZ vom 17. August 2018



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