Zum Manifest der SPD-Friedenskreise

Erste Meutereien

Mit Schaum vor dem Mund reagierte die deutsche Kriegs-Einheitsfront auf das Papier der in den „SPD-Friedenskreisen“ zusammengeschlossenen Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten. Ihr Manifest trägt die Unterzeile „Friedenssicherung in Europa durch Verteidigungsfähigkeit, Rüstungskontrolle und Verständigung“. Das, tönte ihnen aus allen Leitmedien der Republik entgegen, verstoße gegen den Koalitionsvertrag, den die SPD doch mit 80-prozentiger Mehrheit abgesegnet hätte und in dem statt des Kommas nach „Verteidigungsfähigkeit“ ein Ausrufezeichen stehe. Rüstungskontrolle und Verständigung gehöre da nicht hin – das sei das Schüren von Illusionen und die Beschwörung eines Geistes der Vergangenheit der 1970er und 80er Jahre, der nie wieder aus der Flasche kommen dürfe.

Eine ganze Seite ließe sich füllen mit der breiten Front, die, angefangen von den Olivgrünen bis hin zur Barbarossa-Fraktion der CDU, gegen dieses Papier in Stellung gebracht wurde. Schon am Tag der Veröffentlichung des Manifestes selbst sah die FAZ „Die Tauben am Tor zu Hölle“, öffnete ihre Leserbriefspalten an den Folgetagen weit für ein Scherbengericht über die „verquere Weltsicht des Manifests“ und ätzte mit einer Karikatur gegen dieses Bröckeln der Kriegsfront, in der sie ankündigte, nun werde bald der „naturwissenschaftliche Flügel“ der SPD „die Abschaffung der Schwerkraft“ fordern.

Von dem Papier ist nicht die Klarheit von Aussagen des „Bundesausschusses Friedensratschlag“ oder anderer Kräfte zu erwarten, die seit 2022 Ostermärsche und andere Aktionen gegen den drohenden dritten Feldzug gegen Russland organisiert haben. Es versucht, wie in der SPD selbst vor der „Zeitenwende“ üblich, den Spagat zwischen Auf- und Abrüstung zugleich. Auf diese Widersprüchlichkeit hinzuweisen ist weder ein Kunststück noch ein Ausweis tiefgehender politischer Weisheit. Möglicherweise versammeln die SPD-Friedenskreise auf dem bevorstehenden Parteitag mehr als nur eine Handvoll Delegierter hinter sich. Dann wäre aber auch klar, dass darunter einige wären, die nach dem Vorbild der 1950er, 60er und 80er Jahre unter taktischen Gesichtspunkten der Meinung sind, die SPD gehöre an die Spitze jeder deutschen Friedensbewegung, um sie von vorne zu bremsen oder abzubiegen, bevor sie geschichtsmächtige Wirkung entfaltet oder gar zum Einfallstor der Einsicht würde, Frieden bedürfe zu dauerhaften Sicherung des Sozialismus.

Alles geschenkt – es übersähe aber das Wesentliche, was gerade passiert und was auch deutlich wird an dem, was in der Öffentlichkeit bislang nicht hörbar ist: Es gibt gegenüber dem Mani­fest bisher ein dröhnendes Schweigen aus dem Gewerkschaftslager. Das liegt nicht an Desinteresse, sondern im Gegenteil daran, dass es zu einem erheblichen Teil eine Reaktion auf das ist, was in den Gewerkschaften passiert. In der letzten Zeit häufen sich – noch nicht als Strom, aber schon mehr als ein Rinnsal, schon einem Bach vergleichbar – aus der GEW, ver.di und sogar der IG Metall in den Untergliederungen und aus einzelnen Betrieben die Stimmen, die einen Schluss mit dem Wahnsinn der Aufrüstung und dem Kriegskurs gegen Russland fordern. Vor allem darauf reagieren diese für das Entstehen von Massenstimmungen noch empfänglichen Teile des SPD-Funktionärskörpers. Darin liegen die Bedeutung und auch die Chancen dieses Manifestes. Es ist weder von oben herab als „typisch SPD“ zu geißeln noch zu überhöhen. Es ist als das zu nehmen, was es bei klugem Herangehen werden könnte: Der Beginn der Meutereien im Regierungslager gegen den Kurs auf einen dritten Weltkrieg.

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"Erste Meutereien", UZ vom 20. Juni 2025



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