Kanibalen am Werk

Vincent Cziesla • Kommunale Steueroasen betreiben Steuer-Dumping

Daniel Zimmermann ist ein kommunalpolitisches Phänomen. Unterstützt durch seine Lokalpartei „PETO“ wurde er 2009 im Alter von 27 Jahren zum Bürgermeister von Monheim gewählt. Seitdem galt er als Musterbeispiel des jungen und dynamischen Lokalpolitikers, trat in Talkshows und TV-Reportagen auf. Bürgermeisterkandidaten aus anderen Städten besuchten ihn öffentlichkeitswirksam, um für einen Moment im Lichte des neuen Hoffnungsträgers zu glänzen. Dabei lieferten PETO und Zimmermann keine nachahmenswerte Politik: Ab dem Jahr 2012 begann der konsequente Umbau von Monheim zur kommunalen Steueroase. Der Gewerbesteuerhebesatz wurde schrittweise von 435 Prozentpunkten (2011) auf heute 250 Prozent gesenkt. Diese Entwicklung machte die Stadt wohlhabend und lockte Briefkastenfirmen und halbseidene Firmensitz-Vermittler, aber auch große Konzerne und tatsächlich produzierende Unternehmen aus anderen Gemeinden in die Stadt.

In Monheim findet man also Unternehmen wie „Monsanto“ neben Vermittlungsportalen wie „Monheim 285“. Letzteres bietet Firmensitze in der Stadt ohne „großen Umzug“ an. Ab 249 Euro im Monat kann der eigenen Firma dort eine ladungsfähige Geschäftsadresse in Monheim gebucht werden. Im Preis enthalten sind Serviceleistungen wie „Annahme Ihrer Post“ und „Weiterleitung der Post“. Für 699 Euro im Monat gibt es sogar noch einen festen Arbeitsplatz vor Ort dazu; für den Fall, dass sich das Finanzamt mal auf die Suche nach einem Schreibtisch hinter dem Briefkasten machen sollte.

Das Steuergeld, das auf verschlungenen und offenen Pfaden nach Monheim strömt, fehlt in anderen Gemeinden. Durch das aggressive Steuerdumping sinken die Gemeindeeinnahmen insgesamt. Der Wettbewerb um möglichst niedrige Hebesätze verschärft sich. Zimmermann sieht das regelmäßig gelassen. So erklärte er dem „Deutschlandfunk Kultur“: Die Lehre aus der Monheimer Steuerpolitik sei, dass „andere Städte aus NRW aufpassen müssen, dass sie den Anschluss nicht noch weiter verlieren“.

Aber wie soll dieser Anschluss aussehen? Wenn andere Städte und Gemeinden ihre Hebesätze ebenfalls drastisch senken, werden noch weniger Steuern eingenommen. Und für diesen kollektiven Verlust von Steuereinnahmen gibt es keinen Ersatz. Nach dem Monheimer Vorbild zu wirtschaften, bedeutet für jede Kommune, noch weiter am dünnen Ast der Gemeindefinanzierung zu sägen. Das unsolidarische Modell „Steueroase“ funktioniert eben nur für einzelne Standorte, oder anders formuliert: Der interkommunale Kannibalismus macht nur satt, solange es noch etwas zu fressen gibt.

Dabei wird auch gerne einmal in strukturschwachen Regionen gewildert. Zum Beispiel im Ruhrgebiet, wo Städte wie Gelsenkirchen auf jedes Unternehmen und jeden Cent aus der Gewerbesteuer angewiesen sind. Just dorthin sandte die Langenfelder (Hebesatz 330 Prozent, Senkung auf 299 beschlossen) Wirtschaftsförderung vor zwei Monaten mehrere Briefe. Sie waren zielgerichtet an bestimmte Unternehmen adressiert und warben für einen „Firmensitz mit Steuervorteil“, für den man „nicht ins Ausland abwandern“ müsse. Langenfeld gilt ebenfalls als Steuerparadies und hatte bereits in der Vergangenheit mit dem Versand von Miniatur-Umzugskartons um Unternehmen geworben

Monheim und Langenfeld sind nicht die einzigen kommunalen Steueroasen und bald soll noch eine weitere hinzukommen. Leverkusen, Bayer-Standort und Sitz der Europazentrale von „Mazda“, will die Gewerbesteuer von 475 Prozentpunkten auf 250 absenken. Darauf haben sich CDU, SPD, FDP und einige lokale Bündnisse im Stadtrat geeinigt. Das Vorhaben ist eine Kampfansage.

Es sind die Strukturen der Gemeindefinanzierung, die unsolidarisches und kannibalistisches Verhalten fördern. Die Abhängigkeit von der Gewerbesteuer führt zuverlässig dazu, dass dort, wo Armut und Arbeitslosigkeit herrschen, das wenigste Geld für soziale und kulturelle Leistungen vorhanden sind. Der Hebesatz erscheint innerhalb des allgegenwärtigen Konkurrenzdenkens als legitime Stellschraube, um anderen Kommunen die Einnahmen abzujagen. Dass dies letztlich nur den privaten Unternehmen nützt, während die Gesamtheit der Kommunen kollektiv verliert, wird dabei schlichtweg ignoriert.

Über den Autor

Vincent Cziesla, Jahrgang 1988, ist seit dem Jahr 2023 Redakteur für das Ressort „Politik“. Der UZ ist er schon seit Jahren als Autor und Verfasser der „Kommunalpolitischen Kolumne“ verbunden. Während eines Praktikums lernte er die Arbeit in der Redaktion kennen und schätzen.

Cziesla ist Mitglied des Neusser Stadtrates und war von 2014 bis 2022 als hauptamtlicher Fraktionsgeschäftsführer der Linksfraktion in Neuss beschäftigt. Nebenberuflich arbeitet er in der Pflege und Betreuung von Menschen mit Behinderung.

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"Kanibalen am Werk", UZ vom 5. Juli 2019



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