Letzter Strohhalm

Während der Westen begeistert jubelt, weil der Internationale Strafgerichtshof Haftbefehle gegen den russischen Präsidenten Wladimir Putin und die russische Beauftragte für Kinderrechte, Maria Lwowa-Belowa, erlassen hat, hat die Volksrepublik China Den Haag aufgefordert, eine „unparteiische Haltung“ einzunehmen. Das Gericht solle „Politisierung und Doppelmoral“ vermeiden und „die Immunität von Staatsoberhäuptern von der Gerichtsbarkeit nach internationalem Recht respektieren“, so Wang Wenbin, Sprecher des chinesischen Außenministeriums. Um es vereinfacht auszudrücken: China hat den Strafgerichtshof aufgefordert, sich auch wie ein Gericht zu verhalten. Das kommt natürlich nicht gut an in der deutschen Qualitätspresse.

Der Haftbefehl an sich, über den sich die feministische Außenministerin und die anderen Kriegstreiberinnen und Kriegstreiber des Westens diebisch freuen, gleicht allerdings auf mehreren Ebenen einem letzten Strohhalm.

Er gründet sich unter anderem auf die „Deportation ukrainischer Kinder nach Russland“, darum ist Lwowa-Belowa mit im Visier. Dabei handelt es sich unter anderem um die Kinder des Schulkinderheims Nummer 1 in der Donezker Volksrepublik. Das wurde evakuiert, als vor dem 24. Februar letzten Jahres die Angriffe der Ukrainer immer schlimmer wurden. Die Kinder mussten in Sicherheit gebracht werden und kamen mit ihren Betreuern nach Russland, weg von ukrainischen Bomben und Granaten. Besonders haltbar scheint die Beschuldigung im Haftbefehl nicht. Und anscheinend fehlten selbst Den Haag Beweise für die Verstrickung Putins in wirkliche Kriegsverbrechen.

Am wahrscheinlichsten scheint der Versuch des Westens, nun mit Hilfe juristischer Mittel Friedensverhandlungen zu verhindern. Denn wie soll der russische Präsident über einen Frieden in der Ukraine verhandeln, wenn ihm in anderen Ländern die Verhaftung droht? Wladimir Selenski wird wohl kaum nach Moskau reisen. EU, USA, NATO und Deutschland werden doof gucken, wenn die Friedensverhandlungen – aus ihrer Einflusssphäre befreit – in China, einem afrikanischem Land oder Brasilien stattfinden werden.

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Über die Autorin

Melina Deymann, geboren 1979, studierte Theaterwissenschaft und Anglistik und machte im Anschluss eine Ausbildung als Buchhändlerin. Dem Traumberuf machte der Aufstieg eines Online-Monopolisten ein jähes Ende. Der UZ kam es zugute.

Melina Deymann ist seit 2017 bei der Zeitung der DKP tätig, zuerst als Volontärin, heute als Redakteurin für internationale Politik und als Chefin vom Dienst. Ihre Liebe zum Schreiben entdeckte sie bei der Arbeit für die „Position“, dem Magazin der Sozialistischen Deutschen Arbeiterjugend.

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"Letzter Strohhalm", UZ vom 24. März 2023



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