Finanzminister plant Steuergeschenke für die Reichen. Bezahlen sollen die Kommunen

Lindners Raubzug

„Wachstumschancengesetz“ ist der Name des steuerpolitischen Ungetüms, das Finanzminister Christian Lindner (FDP) in der vergangenen Woche aus dem Hut gezaubert hat. 279 Seiten ist der Referentenentwurf lang, knapp 50 Maßnahmen werden aufgelistet, mit denen jährlich 6,3 Milliarden Euro an Unternehmen und Konzerne verschenkt werden sollen. Die volle Entfaltung soll das Gesetz bis zum Jahr 2026 erreichen.

Die Hofberichterstattung lief sofort auf Hochtouren und die bürgerlichen Schreibstuben verfassten Jubeltexte im Gleichschritt. Kaum jemand kam auf die Idee, die milliardenschweren Steuergeschenke zu hinterfragen oder der eingestampften Kindergrundsicherung gegenüberzustellen. Stattdessen: Freude über „mehr Geld für Klimaschutz“. Tatsächlich sieht das Gesetz eine „Klimaschutz- und Investitionsprämie“ vor, die steuerliche Entlastungen verspricht. Darüber, wie es dem Klima hilft, wenn Konzerne höhere Gewinne einfahren, müssen wir uns nicht den Kopf zerbrechen. Denn die Prämie macht nur einen Bruchteil des Paketes aus: Gerade einmal 250 Millionen Euro, knapp 4 Prozent der Gesamtkosten, sollen im Jahr 2026 dafür ausgegeben werden.

Richtig ins Kontor schlagen dagegen Maßnahmen, die kaum öffentliches Interesse geweckt haben. Zwischen 2,6 und 2,8 Milliarden Euro pro Jahr sollen für die Aussetzung der sogenannten Mindestgewinnbesteuerung bis 2027 bereitgestellt werden. Die Regel besagt, dass Unternehmen ihre Verluste aus Vorjahren nicht unbegrenzt einbringen können, um ihre Steuerlast zu mindern. Die magische Grenze liegt bei einer Million Euro, darüber hinaus können „nur“ noch 60 Prozent des aktuellen Gewinnes mit vorangegangenen Verlusten verrechnet werden. Bei einem Gewinn von zwei Millionen Euro fängt der Verlustvortrag also höchstens 1,6 Millionen Euro auf, mindestens 400.000 Euro müssen versteuert werden.

Kleinen Handwerksbetrieben, die wohl eher selten mit millionenschweren Gewinn- und Verlustjahren jonglieren, nützt die Aussetzung dieser Regel nichts. Für das Geschenk an die Konzerne sollen sie – wie wir alle – trotzdem zahlen. Knapp die Hälfte dieser Steuersenkung muss von den Kommunen erbracht werden, weil mit der Gewerbesteuer eine der wichtigsten Einnahmequellen betroffen ist. Von einer „Hiobsbotschaft“ und einem „Bärendienst für die Wirtschaft“ sprach Verena Göppert, die stellvertretende Hauptgeschäftsführerin des Deutschen Städtetages, mit Blick auf das Gesetz. Schon heute leiden die Gemeinden unter einer deutlichen Unterfinanzierung. Das zeigt sich in den Schulen, bei den Straßen oder in der Wohnungspolitik. Eine entscheidende Rolle kommt den Kommunen auch in den Bereichen zu, für die sich die Ampel am meisten feiern möchte, zum Beispiel beim Klimaschutz.

Das „Wachstumschancengesetz“ hat mit Klima oder Wirtschaftsförderung nichts zu tun. Im Gegenteil: Es opfert öffentliche Infrastruktur dauerhaft, um den großen Konzernen kurzfristige Extraprofite zu ermöglichen. Welche „Chancen“ darin liegen, braucht der Finanzminister nicht zu erläutern, weil niemand ihn danach fragt. Das ist das Elend des bürgerlichen Journalismus, der den Regierungswortschatz übernimmt und „Klimaschutz“ schreit, wo „Raubzug“ die treffendere Beschreibung wäre.

Über den Autor

Vincent Cziesla, Jahrgang 1988, ist seit dem Jahr 2023 Redakteur für das Ressort „Politik“. Der UZ ist er schon seit Jahren als Autor und Verfasser der „Kommunalpolitischen Kolumne“ verbunden. Während eines Praktikums lernte er die Arbeit in der Redaktion kennen und schätzen.

Cziesla ist Mitglied des Neusser Stadtrates und war von 2014 bis 2022 als hauptamtlicher Fraktionsgeschäftsführer der Linksfraktion in Neuss beschäftigt. Nebenberuflich arbeitet er in der Pflege und Betreuung von Menschen mit Behinderung.

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"Lindners Raubzug", UZ vom 21. Juli 2023



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