Meine progressive Woche

Eine Glosse von Adi Reiher

Dienstag

Heute weiß unsere Kampfpresse zu vermelden, dass der griechische Ministerpräsident Tsipras nun auch „Ärger“ mit seinem „letzten Freund“, EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hat; der ist bekanntlich nach allen Seiten offen, vor allem wohl, wenn es um die Kassierung von Bestechungsgeldern geht. Auf solche Freunde kann Tsipras getrost verzichten, solange er und das griechische Volk auch sonst Feinde genug haben.

Mittwoch

Über James Last wäre vieles zu sagen. Hier etwas Gutes, das viele nicht wissen. 1967 brachten Last und seine Plattenfirma Polydor die erste vollständige Schallplattenaufnahme von Brechts Dreigroschenoper auf den Markt.

Franz-Josef Degenhardt gab den Moritatensänger, Hanne Wieder (hervorragend) die Seeräuber-Jenny, Helmut Qualtinger und Berta Drews das Ehepaar Peachum. Hannes Messemer sang den Macheath weniger, als dass er ihn sprach – sprechen konnte er. Der verblichene Last war verantwortlich für die Arrangements, Geschmackssache. Mit von der Darsteller-Partie waren noch Karin Baal (Polly), Hans Clarin, Martin Held und Karl-Heinz Köpcke; späterer Mr. Tagesschau und Tagesthemen-Raschler aus Passion.

In der DDR gab es eine Schallplatte nur mit den Songs, kostet heute knapp 25 Euro im Internethandel. Wer den ganzen Spass auf Vinyl haben will, muss bis zu 150 Euro berappen, CDs sind deutlich billiger, Downloads auch.

Donnerstag

Zu hohe Mieten oder Energiekosten, arm, obdachlos und krank? Bald kein Problem mehr, dank google sidewalk labs. Die Geschäftsidee: Das Stadtleben soll sich für jeden verbessern. Geschäftsführer Dan Doctoroff will neue Technologien ausbrüten und sagt „Wir stehen am Beginn einer historischen Umwandlung in den Städten.“ Na, dann surft mal schön, ihr Armen, Kranken und Hungernden. Google wird es richten, ganz umsonst.

Freitag

Dominique Gaston André Strauss-Kahn war einst ein Polit-Star der Sozialistischen Partei Frankreichs, heute wird er freigesprochen ein Zuhälter zu sein – mangels Beweisen. Im Mai 2011 wurde er in New York als amtierender Direktor des Internationalen Währungsfonds festgenommen, weil er ein Zimmermädchen vergewaltigt haben sollte. Das stellte sich als unwahr heraus. Gleichwohl wurde Strauss-Kahn‘s flottes Sexualleben in epischer Breite durch die Gazetten und vor die Gerichte gezerrt. Heute sind seine Karriere und Reputation vernichtet. 2010 war er der aussichtsreichste Kandidat des Linksbündnisses für die Präsidentschaftswahl, die dann – statt ihm – Hollande gewann. Außerdem hatte er eigene Vorstellungen über die Rolle des IWF in der Krise.

Mitleid muss man mit jemandem, der immer auf der herrschenden Seite gespielt hat und dafür gut bezahlt wurde, nicht haben. Sein Aufstieg und Fall sind aber sichtbarer Ausweis der Inhumanität seiner Kaste, die sich vornehmlich gegen die arbeitenden Menschen, genau so skrupellos aber auch gegen Außenseiter in den eigenen Reihen richtet.

Statt eines Spendenkontos hier Strauss-Kahn‘s aktuelle Geldquellen: Seit Mai 2013 ist er Mitglied im Strategieausschuss der neu gegründeten National Credit Bank (NCB) im Südsudan. Seit Juli 2013 im Aufsichtsrat der Russian Regional Development Bank, Tochterunternehmen des staatlichen Ölkonzerns Rosneft. (lt. wikipedia). So ganz geht man eben nie.

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"Meine progressive Woche", UZ vom 19. Juni 2015



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