Südkorea: Sozialen und wirtschaftlichen Problemen begegnet die Regierung mit Repression

Neuer Protest von unten

Von Choi Hohyun

Seit der Asienkrise von 1997 und der Weltwirtschaftskrise von 2008 wachsen die sozialen und wirtschaftlichen Widersprüche in Südkorea. Gesellschaftlicher Reichtum konzentriert sich immer mehr in den Händen der wenigen Großkonzerne. Inzwischen verbreitet sich atypische prekäre Beschäftigung in ganzen Branchen, fast die Hälfte der Angestellten sind atypische Beschäftigte. Sie verdienen 50 Prozent weniger als „Normalbeschäftigte“, 60 Prozent von ihnen sind vom Sozialversicherungssystem ausgeschlossen.

Die Lage der Jugendlichen ist noch schlechter. Studierende – das sind 70 Prozent aller Jugendlichen – müssen in Südkorea durchschnittlich 2 600 Euro Studiengebühren pro Semester zahlen. Das, was ihnen nach dem Studium angeboten wird, sind allerdings schlecht bezahlte, unsichere, atypische Arbeitsplätze. Nach der Statistik sind 65 Prozent der neu abgeschlossenen Verträge befristet und atypisch. Unternehmen zögern in der Krise, Mitarbeiter einzustellen, was besonders junge Berufseinsteiger betrifft. Diese Situation löst unter Jugendlichen Wut aus. Sie radikalisieren sich deshalb zunehmend.

Bemerkenswert ist der Eisenbahnerstreik von 2013, der sich gegen das Restrukturierungs- und Privatisierungsprogramm der Regierung richtete. Dieser Streik war dadurch gekennzeichnet, dass er unter den Jugendlichen große Resonanz fand. An den Universitäten fanden Solidaritätskundgebungen statt, Studierende gingen mit den Streikenden gemeinsam auf die Straße. Das war ein Wendepunkt für Südkorea.

Ökonomisch gesehen stürzt die sich fortsetzende weltweite Rezession die Exportwirtschaft Südkoreas in die Krise. In diesem Zusammenhang besonders auffällig ist der aktuelle Kollaps der Schiffbauindustrie, der durch Rezession und dem damit einhergehenden Ölpreisverfall herbeigeführt wurde. Auf den Kollaps reagieren die koreanischen Schiffbauer und die Regierung mit Umstrukturierungen und der Entlassung von Mitarbeitern. Allein die drei größten Firmen sollen 6 000 bis 20 000 Stellen abbauen.

Mit diesen immer größer werdenden Widersprüchen wächst die Empörung der Bevölkerung über das ungleiche und ausbeuterische System. Die oberste Aufgabe der herrschenden Klasse in dieser Krisensituation ist, entweder diese Empörung abzulenken vom Protest gegen das kapitalistische System an sich, oder die Bedingungen für einen Einsatz von Gewalt zur Unterdrückung zu schaffen. Hierfür war das Verbot der Vereinigten Fortschrittspartei UPP das geeignetste Instrument. Durch das Verbot konnte die herrschende Klasse zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Auf der einen Seite den radikaleren Teil der Opposition ausschalten, auf der anderen Seite den Großteil der Linken in ihr System einbinden.

Während des Verbotsverfahrens gegen die UPP propagierte die Regierung, dass „gesunde“, innerhalb der Verfassung agierende fortschrittliche Kräfte von der extremen, außerhalb der Verfassung stehenden Linken unterschieden werden müssten. Nur „gesunde“ Linke seien in der demokratischen Gesellschaft zuzulassen. Teile der institutionalisierten Gewerkschaften distanzierten sich von der UPP und versuchten so, ihre Stellung auf der politischen Bühne zu wahren. Sie schworen, innerhalb der Verfassung zu agieren.

Aber es dauerte nicht lange, bis erkennbar wurde, dass die institutionalisierten Gewerkschaften ein weiteres Ziel der Verfolgung sind. 13 Monate nach dem UPP-Verbotsurteil wurde die unabhängige Lehrergewerkschaft Südkoreas, die mehr als 60 000 Lehrer vertritt, für illegal erklärt. Der einzige genannte Grund dafür war, dass sie sechs entlassene LehrerInnen nicht aus der Gewerkschaft ausgeschlossen hat. Auch dies war nur ein Vorwand.

Der Vorsitzende des unabhängigen Gewerkschaftsbunds Südkoreas, der von über 700 000 Mitgliedern direkt gewählt worden war, wurde danach wegen des Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz zu fünf Jahren Gefängnisstrafe verurteilt – eine außergewöhnlich schwere Strafe. Der Zweck dieses Vorgehens ist klar: Den Kampfwillen der Gewerkschaft zu brechen.

Aber die Geschichte zeigt: Dort, wo es Unterdrückung gibt, gibt es Protest. Nach der politischen Eiszeit wächst eine neue Protestbewegung von unten heran. Arbeiter im Schiffbau protestieren gegen den Stellenabbau, Bankangestellte kämpfen gegen die Einführung des Leistungslohns und gegen den Konkurrenzdruck. Massen gehen auf die Straße, um gegen die rechtskonservative Präsidentin Park Geun-Hye und Repressionen zu protestieren. Eine neue, offensive Phase beginnt nun.

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"Neuer Protest von unten", UZ vom 11. November 2016



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