FDP-Chef setzt im Wahlkampf auf Dialog

Neustart in der Russlandpolitik?

Von Nina Hager

Zuverlässige Gasversorgung: Nord-Steam-Pipeline durch die Ostsee

Zuverlässige Gasversorgung: Nord-Steam-Pipeline durch die Ostsee

( www.energydigital.com)

Nach wie vor beschäftigen die Äußerungen des FDP-Chefs Politiker wie Medien. Christian Lindner hatte in einem am 5. August veröffentlichten Interview einen „Neustart“ der deutschen Russlandpolitik gefordert. „Sicherheit und Wohlstand in Europa hängen auch von den Beziehungen zu Moskau ab.“ Er schlug vor die Besetzung der Krim als dauerhaftes „Provisorium“ anzusehen und „mit Moskau“ neu ins Gespräch zu kommen. „Wir müssen raus aus der Sackgasse.“ Zugleich bekräftigte er die „Partnerschaft“ mit den USA und die Unterstützung für die osteuropäischen NATO-Partner.

Dieser Vorstoß kommt – schaut man nur auf das Wahlprogramm der FDP – durchaus unerwartet. Dort wird nämlich eindeutig erklärt: „Solange Präsident Putin seine Interventionspolitik fortsetzt, müssen … die Sanktionen gegen Russland aufrechterhalten und eine Wiederaufnahme Russlands in die G8 ausgeschlossen werden. Im Falle einer erneuten militärischen Eskalation müssen die Sanktionen gegen Russland weiter verschärft werden.“ Von einem „Neustart“ ist hier nicht die Rede, im Weiteren dann aber doch von einem nötigen Dialog mit Russland. Immerhin.

Dabei weiß die FDP ganz genau, dass die Sanktionen gegen Russland nicht nur den Dialog behindern, sondern vor allem der deutschen Industrie schaden, deren Vertreter im aktuellen Wahlkampf auch auf die FDP setzen. Und das nicht nur mit Spenden an die Partei (1,5 Millionen im ersten Halbjahr 2017 durch Unternehmen, Unternehmerverbände und Privatpersonen, die SPD erhielt übrigens nur 100 000 Euro): Denn erst allmählich haben sich die Geschäfte mit Russland wieder „erholt“. Für dieses Jahr erwartet der DIHK zum ersten Mal seit vier Jahren ein Wachstum der Exporte nach Russland. Zwischen 2013 bis 2016 waren die Ausfuhren um 40 Prozent eingebrochen. Erneute Sanktionen werden die Geschäfte wieder empfindlich „stören“.

Es ist also nicht unwahrscheinlich, dass Lindners Äußerungen eine Reaktion sowohl auf die neuen US-Sanktionen gegen Russland sind, die vor allem auf den Energiesektor und die Stärkung der US-Exporte zielen, als auch auf die prompt folgenden neuen der EU.

Die DIHK warnte inzwischen vor teils dramatischen Folgen der US-Strafmaßnahmen. „Wichtige Projekte für die Versorgungssicherheit können zum Stillstand kommen, sollte es deutschen Unternehmen nicht mehr erlaubt sein, an russischen Gaspipeline-Projekten mitzuwirken“, erklärte zum Beispiel der DIHK-Außenwirtschaftschef Volker Treier. Das würde die deutsche Wirtschaft insgesamt empfindlich treffen.

Lindner hatte deshalb bei seinem Interview wohl zuallererst die deutschen Kapitalinteressen im Blick, aber gewiss auch den Wahlkampf. Und da ist er seinen Konkurrenten, die wie die SPD krampfhaft nach Themen suchen, die die Wählerinnen und Wähler bewegen, offenbar um Einiges voraus. Denn nach einer aktuellen Forsa-Umfrage, die übrigens im Auftrag von Wintershall durchgeführt wurde, einer Tochterfirma des BASF-Konzerns, die sich an der Finanzierung der Gaspipeline Nord Stream 2 beteiligt, halten 83 Prozent der Befragten in Deutschland Wirtschaftssanktionen der USA gegenüber Russland für falsch.

Die Bundesregierung ließ sofort nach dem Interview erklären, ihre und die Haltung der gesamten EU im Zusammenhang mit der Krim sei „völlig eindeutig und unverändert“. Jürgen Hardt, Außenpolitischer Sprecher der Unionsfraktion, behauptete gar, Lindner setze die außenpolitische Glaubwürdigkeit Deutschlands aufs Spiel. Scharfe Kritik kam auch von Cem Özdemir (Grüne).

Die Spitzenkandidatin der Partei „Die Linke“, Sahra Wagenknecht, erklärte dagegen, auch aus Gründen von Frieden und Sicherheit in Europa sei es dringlich, zu den Traditionen der Entspannungspolitik gegenüber Russland zurückzukehren. „Wenn die FDP sich auf diese außenpolitischen Traditionen besinnt, ist das begrüßenswert.“

Dass dies nicht unproblematisch ist, daran erinnerte ausgerechnet „Die Welt“, die die Kritiker Lindners nicht nur denkfaul und unbeweglich nannte, sondern ihnen zudem moralische Selbstgewissheit vorwarf. Auch sie erinnerte an „außenpolitische Traditionen“: „Man kann diesen Weg für falsch halten, man kann die Grundideen der Ostpolitik, wie sie von John F. Kennedy, Henry Kissinger, Willy Brandt und Egon Bahr entworfen wurden, als kaum zielgerichtet einschätzen, womöglich kann man mit einiger Gedankenakrobatik sogar den Grundsatz der Entspannungspolitik infrage stellen, der da lautet: ‚Man kann den Status quo nur ändern, indem man ihn anerkennt‘. “

Über die Autorin

Nina Hager (Jahrgang 1950), Prof. Dr., ist Wissenschaftsphilosophin und Journalistin

Hager studierte von 1969 bis 1973 Physik an der Humboldt-Universität in Berlin. Nach dem Abschluss als Diplom-Physikerin wechselte sie in das Zentralinstitut für Philosophie der Akademie der Wissenschaften der DDR und arbeite bis zur Schließung des Institutes Ende 1991 im Bereich philosophische Fragen der Wissenschaftsentwicklung. Sie promovierte 1976 und verteidigte ihre Habilitationsschrift im Jahr 1987. 1989 wurde sie zur Professorin ernannt. Von 1996 bis 2006 arbeitete sie in der Erwachsenenbildung, von 2006 bis 2016 im Parteivorstand der DKP sowie für die UZ, deren Chefredakteurin Hager von 2012 bis 2016 war.

Nina Hager trat 1968 in die SED, 1992 in die DKP ein, war seit 1996 Mitglied des Parteivorstandes und von 2000 bis 2015 stellvertretende Vorsitzende der DKP.

Hager ist Mitherausgeberin, Redaktionsmitglied und Autorin der Marxistischen Blätter, Mitglied der Marx-Engels-Stiftung und Mitglied der Leibniz-Sozietät der Wissenschaften zu Berlin.

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"Neustart in der Russlandpolitik?", UZ vom 18. August 2017



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