„Das dritte Leben des Fritz Giga“ am Theater Oberhausen

Nichts ist vorüber, nichts ist vorbei

Von Klaus Oberschewen

Das Datum der Premiere dieses Stücks am 20.4.2018 war gleichzeitig eine programmatische Aussage. Der Geburtstag von Adolf Hitler wurde bewusst gewählt, um sich gegen neue und alte Faschisten zu stellen, die in diesem Geburtstag einen Anlass zum Feiern sehen. „Der Widerstand gegen die braune Diktatur hört nie auf“ – unter diesem Motto wurde das Stück in der derzeitigen Spielzeit wieder aufgenommen und erfolgreich gespielt.

„Für Widerstand ist es nie zu spät.“ Anna Polke dreht an der Uhr.

„Für Widerstand ist es nie zu spät.“ Anna Polke dreht an der Uhr.

( Theater Oberhausen / Katrin Ribbe)

Vor einigen Wochen – am 17. April 2019 – wäre der Oberhausener Kommunist und Kämpfer im Spanischen Krieg Fritz Giga 120 Jahre alt geworden. An diesen Geburtstag und an die hervorragende Würdigung dieses Menschen im Theater Oberhausen soll im Folgenden erinnert werden.

Wer war Fritz Giga?Jahrgang 1899, trat er mit zwanzig Jahren der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) bei, diezum Jahreswechsel 1918/19 gegründet worden war. 1920 kämpfte er in der Roten Ruhr-Armee gegen den rechtsradikalen Putsch von Wolfgang Kapp und General von Lüttwitz für Freiheit und Demokratie. Der deutsche Schriftsteller Alfred Kantorowicz hat Fritz Giga ein literarisches Denkmal gesetzt. Kantorowicz war Presseoffizier im „Tschapaiew-Bataillon“ und kämpfte im Spanischen Krieg (1936–1939) für die Republik. Hier lernte er während der Schlacht bei Brunete Fritz Giga kennen und hielt dessen grausame Folterung im Polizeipräsidium Oberhausen in seinem „Spanischen Kriegstagebuch“ fest. Mitte November 1934 war Giga verhaftet worden, der Vorwurf lautete „Vorbereitung zum Hochverrat“. Er schwieg zu allen Vorwürfen und gab die Namen seiner Genossen nicht preis. Mit Peitschen, Lederriemen und Koppeln wurde er bewusstlos geschlagen. Zum Abschluss der Folter brannten ihm die SA-Schergen ein Hakenkreuz auf den Bauch und warfen ihn aus dem Fenster. Fritz Giga überlebte die Tortur mehr tot als lebendig und wurde ins Josefs-Hospital gebracht. Hier pflegte ihn eine mutige Krankenschwester und schützte ihn vor der Auslieferung an die SA-Folterknechte. Der fast wieder genesene Patient wurde in einer tollkühnen Aktionen von seinen als SA-Leute verkleideten Genossen aus dem Krankenhaus befreit und nach Holland in Sicherheit gebracht. Später schloss er sich den Internationalen Brigaden im Spanischen Krieg gegen den faschistischen General Franco an. Als Oberleutnant einer Pionierkompanie fiel er am 11. Juli 1937 nahe der Ortschaft Romanillos.

Diese wahrlich filmreife Story erinnerte Autor und Regisseur Christian Franke an die Komödie „Sein oder Nichtsein“ von Ernst Lubitsch aus dem Zweiten Weltkrieg. Ich erinnerte mich an eine Episode aus der Bergarbeiter-Saga „Rote Erde II“ von Klaus Emmerich aus den 1980er Jahren. Die Schauspieler Klaus J. Behrendt und Armin Rohde spielten hier eine ähnliche Szene, wie sie sich im Oberhausener Krankenhaus abgespielt haben könnte. In zahlreichen Veröffentlichungen zur Stadtgeschichte wird in Oberhausen an Fritz Giga erinnert. In den Oberhausener Lokalmedien wird seit langer Zeit regelmäßig und engagiert über sein Leben berichtet. Historische Stadtrundgänge zum Polizeipräsidium und zum St.-Josefs-Krankenhaus halten die Erinnerung ebenso wach wie ein Stolperstein an seinem letzten Wohnort in der Lothringer Straße. Die Bezirksvertretung Alt-Oberhausen entschied im Sommer 2014 auf Antrag der „Linken Liste Oberhausen“ mit großer Mehrheit, eine Straße nach dem Freiheitskämpfer zu benennen. Seit dem gibt es im Oberhausener Stadtteil Alstaden die „Fritz-Giga-Straße“.

Der Schauspieler Erich Schaffner trat bereits im Jahr 1986 in dem Stück „Spanien 36“ mit einer Episode zu Ehren Fritz Gigas in der Kulturfabrik K14 auf. Diese besondere Geschichte über einen besonderen Menschen konnte für Christian Franke nur an einem besonderen Ort und vor allem mit einer besonderen Schauspielerin inszeniert werden: Anna Polke spielt in diesem Einpersonenstück in der ehemaligen Kantine des Rathaus Oberhausen die Krankenschwester Martha. Rückblickend berichtet die nach der Befreiung vom Faschismus als Köchin tätige Martha über ihre Zeit am Josefs-Hospital. Dabei schildert sie in vielen Facetten historische Zusammenhänge, teilweise mit lakonisch-prägnanter Mimik und Gestik.

Sie bewegt sich immer an der geschichtlichen Realität und erwähnt Namen wie Else Jochem oder Willi Willig, bekannte Widerstandskämpfer der Stadt, oder die Arbeitersiedlung „Am Dunkelschlag“ als ein Zentrum des Widerstands gegen den Faschismus. Das erste Bild dieses Stücks in drei Szenen weist über das Schicksal Fritz Gigas hinaus, indem es den historischen Hintergrund zeigt. Aus einem übergroßen Radio, damals Volksempfänger genannt, dudelt die Durchhalteparole von Lale Andersen: „Es geht alles vorüber, es geht alles vorbei“. Ähnlich wie mit der Laterne von Lili Marleen wollten Joseph Goebbels und seine PR-Spezialisten die grausame Wirklichkeit des Kriegs übertünchen. „Diese Augen, diese Lippen …“ Eindringlich schildert Martha/Anna Polke die Begegnungen mit dem halbtoten Patienten. Gemeinsam mit einem Arzt pflegt sie wochenlang den Schwerverletzten und wimmelt verschmitzt und souverän die SA-Schergen ab, die auf Auslieferung bestehen und Giga töten wollen. Originalton Martha: „Verbrennungen – steht in dem Bericht. Sie haben ihm ein Hakenkreuz in den Bauch eingebrannt. Lauter kleine runde Brennpunkte. Wie mit einer glühenden Zigarettenspitze. Ein Hakenkreuz. Sollen sich die Männer doch die Köpfe einhauen, aber so was?!? Nee, das ist nicht in Ordnung.“ Martha schildert das Drängen der SA auf Auslieferung des Verletzten. Mit Hilfe eines Arztes gelingt es immer wieder, diese hinzuhalten und Fritz Giga zu schützen. Als Kennerin der NS- Uniformen erkennt sie an den Kragenspiegeln schließlich die als SA-Männer verkleideten Antifaschisten, die Giga befreien und in Sicherheit bringen.

Das Publikum wird zur zweiten Szene in die kleine Küche der ehemaligen Rathauskantine gebeten.Hier wird sowohl durch die Enge des Raumes als auch durch intensive Beleuchtung die Atmosphäre in einem Luftschutzbunker unmittelbar erfahrbar. Für die meisten Menschen war der Bombenkrieg in Deutschland Realität. Es war lange noch nicht „alles vorüber“.

Zur dritten und letzten Szene wird das Publikum wieder in den ehemaligen Speisesaal gebeten. Hier zeigt ein furioses Finale das Inferno des Bombenkrieges als Folge der faschistischen Diktatur, die lange vor dem 30. Januar 1933 geplant und begonnen wurde. „Wer Hitler wählt, wählt Krieg“ lautete eine Parole, die Fritz Giga und seine Genossen der KPD auch in Oberhausen ins Zentrum ihrer Aufkärung über Hitler und seine Hintermänner in den Chefetagen der Ruhrindustrie gestellt haben.

„Der Tod ist ein Meister aus Deutschland“ – ein zentraler Satz aus der „Todesfuge“ von Paul Celan, in den 1960er Jahren auch in westdeutschen Schullesebüchern zu finden. Sehr eindringlich gelingt es Anna Polke, diese Aussage den Zuschauern als offenen Schluss nahezubringen. Denn wer denkt im Jahr 2019 dabei nicht an die enorm steigenden Profite der Rüstungsindustrie in Deutschland, die zunehmende Zahl der Kriegseinsätze deutscher Soldaten und die aggressive Militarisierung der Zivilgesellschaft? Der Tod ist ein Meister aus Deutschland, er steigert immer noch die Dividenden von Rheinmetall, Heckler und Koch und Co., politisch unterstützt und abgesichert durch die gegenwärtige Koalitionsregierung aus CDU/CSU und SPD.

„Das dritte Leben des Fritz Giga“ ist ein beeindruckendes Stück gegen Gewalt und Krieg. Anna Polke als ehemalige Krankenschwester schafft durch ihre hohe Schauspielkunst, die Zuschauer 80 Minuten in Spannung zu halten. In keiner Phase des Einfrauenstücks ließ das Interesse an dem Geschehen nach. Durch lakonische Sprache und knappe Mimik und Gestik erfährt der Zuschauer viele Informationen eher beiläufig. Vollkommen zu Recht wurde Anna Polke vom Freundeskreis „Theater für Oberhausen“ für besondere künstlerische Leistung im September 2018 mit dem Publikumspreis ausgezeichnet. Dem Autor und Regisseur Christian Franke ist es gelungen, dieses Kapitel Geschichte gemeinsam mit Anna Polke und dem Team des Theaters Oberhausen wiederzubeleben. Das Motto lautet dabei mit Peter Weiss: „Die Phantasie lebt, solange der Mensch lebt, der sich zur Wehr setzt.“In diesem Sinne möge Fritz Giga aus Oberhausen noch viele Leben haben.

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"Nichts ist vorüber, nichts ist vorbei", UZ vom 21. Juni 2019



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