Peinliche „Sieger“-Geschichten

Von Nina Hager

„‚Kleine weiße Friedenstaube‘ oder das Lied über den Volkspolizisten waren Kampflieder der SED, die Vierjährige bereits im Kindergarten lernen mussten. Sie ‚verinnerlichten‘ (quasi im Gleichschritt) beim Spielen, beim Essen, beim Schlafen das Prinzip des Kollektivs; und selbst das (gern gesehene) Ballern mit kleinen Plastikpanzern war mehr als nur der übliche Spaß unter Jungen: Es sollte den Kindern die ‚Nationale Volksarmee’ näherbringen.“ Der SED-Staat hat sich sowieso in das gesamte Leben der Menschen eingemischt. „Die Partei war immer dabei“. Ach ja? Immer?

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Vor fünf Jahren schrieb „GeoEpoche“-Chefredakteur Michael Schaper – ganz im Sinne der offiziellen bundesdeutschen „Erinnerungskultur“ – im Vorwort zum damaligen Heft „Die DDR“ diesen und ähnlichen Schwachsinn. Für ihn war die DDR eine Diktatur. Durch und durch. Dass man das immer noch steigern kann, zeigt die jüngste Ausgabe von „GeoEpoche“ zur DDR auf fast 130 Seiten – pünktlich zum 30. Jahrestag von „friedlicher Revolution“ und „Mauerfall“.

Schaper kommt im Vorwort gleich zur Sache: Die KPD und die sowjetischen Befreier wollten in der sowjetischen Besatzungszone in Wirklichkeit eine kommunistische Diktatur errichten. Und so habe die Gruppe Ulbricht, die kurz vor Kriegsende in Europa – für den geschichtsresistenten Schaper „in den letzten Tagen des 2. Weltkrieges“ – nach Berlin kam, ganz im Sinne Stalins auch gehandelt. Jeder Widerstand sei – sofort und auch später – mit aller Härte unterbunden worden. Von der KPD-Erklärung vom 11. Juni 1945, in der die Partei unter anderem zur demokratischen Erneuerung des ganzen Landes aufrief, kein Wort. Von der Bodenreform, der Enteignung der Nazi- und Kriegsverbrecher, der Bildungs-, der Justizreform in der sowjetischen Besatzungszone auch auf den folgenden vielen Seiten kein Wort. Und natürlich war auch die Gründung der SED eine „Zwangsvereinigung“.

Glaubt man der Darstellung von Geo, dann standen die Sowjetische Besatzungszone und die DDR für Überwachung, Zwang und Verfolgung. Einleitend behauptet Schaper: „Natürlich hat es immer auch jene SED-Funktionäre gegeben, die wirklich guten Willens waren (…) das bessere Deutschland schaffen wollten, antifaschistisch, friedlich, gerecht. Einen Staat, in dem das Volk das Sagen hat und nicht mehr wie früher Unternehmer, Militärs und Großgrundbesitzer. Doch die Realität sah anders aus.“

Ganz im Sinne der „Sieger der Geschichte“, die sich „das Recht“ nehmen, Geschichte umzuschreiben wie es ihnen nutzt, geht es dann im Heft weiter: Mit dem 17. Juni 1953, mit der „Mauer“, mit dem „Staat der Spitzel“ und 1989. Daneben gab es vor 1961 und danach natürlich auch ein bisschen „Konsolidierung“. Geschickt hat man die Bilder ausgewählt. Da gibt es manchmal auch Komisches, vor allem aber viel Tristes: Verfallene Innenstädte – die es leider in der Republik zu oft gab –, leere Schaufenster – höchstens noch mit Marx dekoriert –, lange Warteschlangen. Auf Seite 99 wird der DDR in einer Bildunterschrift dann auch noch „kulturelle Ödnis“ bescheinigt. In Wirklichkeit war die DDR ein „Leseland“, Kunst und Kultur hatten einen hohen Stellenwert. Nach 1990 wurde vieles davon als „Staatskunst“ diffamiert. Nicht wenige Bilder, Grafiken, Skulpturen verschwanden in Archiven, manches wurde gar zerstört.

Allerdings gibt es im Heft auch „Kurioses“. So wird zum Beispiel auf Seite 97 in einer Bildunterschrift behauptet: „Die nicht religiöse Jugendweihe soll Konfirmation und Firmung ersetzen und so die Rolle der Kirche zurückdrängen.“ Peinlich nur, dass es Bemühungen um eine Jugendweihe in deutschen Landen bereits Mitte des 19. Jahrhunderts gab und die Idee, die später von der Arbeiterbewegung aufgenommen wurde, freidenkerische wie freireligiöse Wurzeln hat. Die Weimarer Republik galt als „Blütezeit“ der Jugendweihe. Auf Seite 100 wird behauptet: „Die SED missachtet das Alte aus ideologischen Gründen, stattdessen prägen Leere und Beton die Innenstädte“. Unter einem Bild, das im Hintergrund den Aufbau des Hauses des Reisens am Alex in Berlin zeigt, steht: „Erzwungene Modernität: Die DDR hat wenig Sinn für bürgerliche Geschichte und historische Bauwerke.“ Behauptet wird, dass das „Regime“ Kirchen und Paläste „als Symbole früherer Gesellschaften“ kurzerhand niederreißen ließ. Die Ausnahmen werden zur Regel erklärt. Demnach gab es in der DDR 1989 also gar keine alten Kirchen und keine historischen Paläste mehr.

Übrigens: „GeoEpoche“ erscheint im Verlag Gruner und Jahr, der sich seit 2014 vollständig im Besitz von Bertelsmann befindet.

Über die Autorin

Nina Hager (Jahrgang 1950), Prof. Dr., ist Wissenschaftsphilosophin und Journalistin

Hager studierte von 1969 bis 1973 Physik an der Humboldt-Universität in Berlin. Nach dem Abschluss als Diplom-Physikerin wechselte sie in das Zentralinstitut für Philosophie der Akademie der Wissenschaften der DDR und arbeite bis zur Schließung des Institutes Ende 1991 im Bereich philosophische Fragen der Wissenschaftsentwicklung. Sie promovierte 1976 und verteidigte ihre Habilitationsschrift im Jahr 1987. 1989 wurde sie zur Professorin ernannt. Von 1996 bis 2006 arbeitete sie in der Erwachsenenbildung, von 2006 bis 2016 im Parteivorstand der DKP sowie für die UZ, deren Chefredakteurin Hager von 2012 bis 2016 war.

Nina Hager trat 1968 in die SED, 1992 in die DKP ein, war seit 1996 Mitglied des Parteivorstandes und von 2000 bis 2015 stellvertretende Vorsitzende der DKP.

Hager ist Mitherausgeberin, Redaktionsmitglied und Autorin der Marxistischen Blätter, Mitglied der Marx-Engels-Stiftung und Mitglied der Leibniz-Sozietät der Wissenschaften zu Berlin.

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"Peinliche „Sieger“-Geschichten", UZ vom 21. Juni 2019



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