Um US-Einknicken bei Nord Stream zu verschleiern, wird das neue alte Feindbild poliert

Pleite auf ganzer Linie

Der Text strotzt nur so vor antirussischen Vorwürfen: „Wir bekennen uns heute erneut dazu, gegen russische Aggression und russische destruktive Aktivitäten in der Ukraine und darüber hinaus vorzugehen.“ Man sei entschlossen, „Russland für Aggressionen und destruktive Aktivitäten zur Rechenschaft zu ziehen, indem dafür durch Sanktionen und andere Instrumente Kosten auferlegt werden“, heißt es in der „gemeinsame(n) Erklärung der USA und Deutschlands zur Unterstützung der Ukraine, der europäischen Energiesicherheit und unserer Klimaziele“. Und weiter: „Sollte Russland versuchen, Energie als Waffe zu benutzen, oder weitere aggressive Handlungen gegen die Ukraine begehen, wird Deutschland auf nationaler Ebene handeln und in der Europäischen Union auf effektive Maßnahmen einschließlich Sanktionen drängen, um die russischen Kapazitäten für Exporte nach Europa im Energiesektor, auch in Bezug auf Gas, zu beschränken, beziehungsweise auf effektive Maßnahmen auf anderen wirtschaftlich relevanten Gebieten. Diese Zusage zielt darauf ab, sicherzustellen, dass Russland keine Pipeline, einschließlich Nord Stream 2, zur Erreichung aggressiver politischer Ziele einsetzt, indem es Energie als Waffe nutzt.“

Das alles ist erkennbar Propaganda. Bekanntlich hat Russland, wie auch die Sowjetunion, niemals Fossilenergie-Exporte als Waffe eingesetzt. Im Gegensatz zur Ukraine, die nicht nur Gas aus der Transitleitung stahl, sondern auch versucht hatte, mit der Androhung einer Leitungsblockade Russland und Europa zu erpressen. Die Konsequenz daraus hieß damals Nord Stream. Von Deutschland initiiert. Es war die US-Regierung, die mit politischem Druck und Sanktionen den Bau der Pipeline zu verhindern trachtete.

Eine Beruhigungspille für den düpierten Frontstaat Ukraine muss auch dabei sein: „Die Vereinigten Staaten und Deutschland stimmen in der Auffassung überein, dass es im Interesse der Ukraine und Europas liegt, den Gastransit durch die Ukraine auch über 2024 hinaus fortzusetzen.“ Man werde „alle verfügbaren Einflussmöglichkeiten nutzen, um eine Verlängerung des Gastransitabkommens der Ukraine mit Russland um bis zu zehn Jahre zu ermöglichen“. Das ist kaum mehr als ein Placebo. Durch Nord Stream wird Deutschland zu einem wichtigen Gashub in Zentraleuropa, der einen Großteil der europäischen Energieversorgung kontrolliert. Diese mühsam erkämpfte Position werden sich die deutschen Energieriesen und ihre Regierung nicht verwässern lassen. Der unsichere Transit durch die Ukraine kostet Milliarden. Man investiert keine zweistellige Milliardensumme, um dann keine Profite daraus zu ziehen.

Das Dokument enthält auch ein Bekenntnis zur Erreichung des 1,5-Grad-Klimaziels. Heißt also, Deutschland werde „Energieprojekte mit der Ukraine fördern, insbesondere im Bereich der erneuerbaren Energien und der Energieeffizienz sowie der Unterstützung für den Kohleausstieg“. Daneben soll es eine Förderung für die „Sicherung und Steigerung der Kapazitäten für Gasrückflüsse in die Ukraine“ geben sowie „technische Hilfe für die Integration der Ukraine in das europäische Stromnetz“. Bedeutet konkret: Die Ukraine verliert die milliardenschweren Transitgebühren, wird unter dem Label des Klimaschutzes der eigenen Ressourcen beraubt und mehr und mehr von teuren europäischen Energie- und Technologie-Exporten abhängig gemacht. Als Trostpflaster wird eine EU-Unterstützung im Zeitraum von 2021 bis 2027 von 1,77 Milliarden US-Dollar in Aussicht gestellt.

Die Merkel-Regierung feiert diese „Einigung“ als Erfolg. Auch die russische Seite sieht das Abkommen positiv, wenngleich Außenamtschef Sergej Lawrow betont, dass für ihn die Androhung von Sanktionen „inakzeptabel“ sei. Er zog Vergleiche mit dem Verhalten der USA und der EU in anderen Fragen, die Russland oder Belarus tangierten, mit der Defender-Provokation und den Sea-Breeze-„Muskelspielen“ vor der Krim. Eine „Kultur der Verhandlungen und der Diplomatie“ würde nicht mehr interessieren. Man verhänge sofort Sanktionen, das sei „einfach nur traurig“. Die verbale Drohkulisse des „Einigungs“-Papiers und die militärische in der Ostsee und im Schwarzen Meer beeindrucken die russische Seite ganz offenkundig wenig. So etwas ist man seit Jahren gewöhnt. Die Pipeline wird zu Ende gebaut. Das Gas wird strömen. Die Kalten Krieger haben verloren. Zumindest in diesem Fall.

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"Pleite auf ganzer Linie", UZ vom 30. Juli 2021



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