EU verabschiedet sicherheitspolitisches Grundlagendokument. Berlin setzt sich durch

Quantensprung zum nächsten Krieg

Schneller, zuverlässiger und flexibler soll die die EU in Militärfragen werden – so heißt es im „Strategischen Kompass“, einem Grundlagendokument, das die Europäische Union (EU) Ende März verabschiedet hat: „Das zunehmend feindselige Sicherheitsumfeld erfordert von uns einen Quantensprung nach vorne und die Steigerung unserer Handlungsfähigkeit und -bereitschaft.“ In der Konsequenz bedeutet das einen massiven Aufrüstungsschub sowie die Erleichterung von Militäreinsätzen. Erstmals nimmt das Dokument eine gemeinsame umfassende Bedrohungseinschätzung vor.

Was 2020 auf Initiative der Bundesregierung unter deutscher Ratspräsidentschaft begonnen wurde, ist nun unter französischer verabschiedet worden. Das ist nur folgerichtig, stärkt das Papier doch weiter die Rolle und den Einfluss Deutschlands und Frankreichs in Militärfragen. Insofern war der „Strategische Kompass“ schon seit Langem geplant und von Anfang an darauf ausgelegt, die EU-Militarisierung voranzutreiben; auch die wesentlichen Maßnahmen fanden sich bereits in den Entwürfen. Doch angesichts des Krieges in der Ukraine hat sich der Ton gegenüber Russland deutlich verschärft; Moskau sei eine „ernste und unmittelbare Bedrohung für die europäische Sicherheitsordnung“. Die aktuelle Lage liefert also den Anlass, vor allem die Lageeinschätzung zu verschärfen und die festgehaltenen Vorhaben mit Nachdruck durchzusetzen. Gerade in Sachen Aufrüstung hält das Dokument fest, dass deutlich mehr und gezielter investiert werden müsse. Der sogenannte Planzielprozess, also die Rüstungsanforderungen, soll dafür bis 2023 überarbeitet werden.

Zwei Kernforderungen Berlins finden sich in dem Dokument: eine Schnelle Eingreiftruppe und die faktische Untergrabung des Konsensprinzips bei Militäreinsätzen. Beide Vorschläge hatte Deutschland im Oktober vergangenen Jahres zusammen mit den Niederlanden, Finnland, Portugal und Slowenien in die Debatte eingebracht.

Eingreiftruppen gibt es zwar grundsätzlich bereits seit 2003. Jetzt sollen allerdings schneller mehr Soldaten – bis zu 5.000 – eingesetzt werden können. Am relevantesten ist auch in diesem Kontext jedoch, dass auch die Entscheidungsstrukturen überarbeitet werden sollen. So ist das Konsensprinzip bei Einsätzen der wesentliche Grund, dass die Eingreiftruppen bisher nicht eingesetzt wurden. Die Untergrabung des Konsensprinzips erleichtert also Militär­einsätze und macht folglich auch Kriege deutlich wahrscheinlicher.

Berlin wünscht sich schon länger eine „Koalition der Willigen“, also die Möglichkeit, ohne Konsens innerhalb der EU mit einigen Staaten Einsätze durchführen zu können. Konkret ist dies im „Strategischen Kompass“ noch nicht gefasst, er sieht jedoch vor, dass die Mitgliedstaaten sich spätestens bis 2023 über „Modalitäten“ zur Umsetzung des entsprechenden Artikels 44 einigen. Dieser ermöglicht Einsätze für Gruppen von Mitgliedstaaten. Das Konsensprinzip soll nach Berliner Vorstellungen mit der „konstruktiven Enthaltung“ untergraben werden. Dies bedeutet, dass andere Staaten den Beschluss der EU zwar als solchen akzeptieren, aber nicht zu einer Umsetzung verpflichtet sind. Dieses Instrument existiert bereits, wurde bislang jedoch so gut wie nie angewendet. Vor allem die großen EU-Staaten – also vor allem Deutschland und Frankreich – können ihre Interessen besser durchsetzen, denn die Regelungen, wann die „konstruktive Enthaltung“ zur Ablehnung eines Vorschlags führt, sind an die Landesgröße gekoppelt.

Die erstmalige Bedrohungseinschätzung soll in Zukunft alle drei Jahre aktualisiert werden. Im aktuellen Beschluss bleibt sie zwar diffus, doch mit den geschärften Passagen zu Russland sowie dem Verweis auf China als „Kooperationspartner, wirtschaftlicher Wettbewerber und systemischer Rivale“ sind auch hier die wichtigsten Gegner gefunden. Gegen China fordert man „starke Einigkeit“ sowie enge Zusammenarbeit mit Partnern. Betont wird im Dokument folglich nicht nur die Geschlossenheit innerhalb der EU, sondern auch die Verbundenheit mit der NATO. So soll „strategische Autonomie“ angestrebt, also die Eigenständigkeit der EU in Militärfragen ausgebaut werden, gleichzeitig fügt sich das Dokument gut in die aktuelle Verstärkung der transatlantischen Beziehungen.

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"Quantensprung zum nächsten Krieg", UZ vom 8. April 2022



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