Rebellion ohne Klasse

Klaus Wagener über „Extinction Rebellion“

Wir protestierten zu Hunderten Millionen – es funktionierte nicht.

Wir sammelten Milliarden, um Leute und Politiker zu erreichen – es funktionierte nicht.

Wir warben für die Unterstützung für Erneuerbare – es funktionierte nicht.

Wir unterzeichneten zahllose Online-Petitionen – sie funktionierten nicht.

Wir hofften auf die Vereinten Nationen, dass sie die Krise lösten – es funktionierte nicht. (…)“

Dieser Text drückt schon in den ersten Zeilen den ganzen Frust einer Umweltbewegung aus, die seit Jahrzehnten vergeblich gegen die Ignoranz und die Macht der Herrschenden anrennt. Es ist das Vorwort zur Broschüre „Common Sense for the 21st Century“, geschrieben von dem Bio-Bauern Roger Hallam für die Gruppierung „Extinction Rebellion“ (XR).

„Kurz gesagt – wir sind gefickt. Die Frage ist nur: Wie sehr und wie schnell“. „Nur gewaltfreie Rebellion kann den Klima-Zusammenbruch und den sozialen Kollaps stoppen.“ Das beschreibt in etwa das Programm.

„Extinction Rebellion“ (Extinction = Aussterben, Vernichtung) wurde im letzten Jahr in Britannien gegründet und machte Blockade-Aktionen vor allem im englischsprachigen Raum, aber auch in europäischen Großstädten wie Brüssel, Madrid und Berlin. Das Ziel sind aufsehenerregende Aktionen, in der Regel Verkehrsblockaden, aber auch „Die-Ins“, symbolische Erhängungen, Schweigemärsche und Ähnliches. Ziel ist auch der kalkulierte Konflikt mit der Staatsmacht mit möglichst zahlreichen Verhaftungen. „Man braucht 400 Leute, die ins Gefängnis gehen. Zwei- bis dreitausend Leute, die verhaftet werden“, so Roger Hallam.

Als Front-Personen von „XR“ agieren neben Roger Hallam, die Molekular-Biophysikerin Gail Bradbrook und der Philosophie-Dozent Rupert Read. Im Hintergrund gibt es einen „Climate Emergency Fund“, der von reichen Spendern mit mehreren Hunderttausend Dollar gut ausgestattet worden sein soll. Ob, und wenn ja, an welche Bedingungen die Spenden geknüpft wurden, ist nicht bekannt.

Liest man die Texte von „XR“, so ist die Beschreibung der Klimaprozesse von starken Simplifizierungen und agitatorischen Übertreibungen geprägt. So einfach und linear entwickelt sich die „Ausrottung der Menschheit“ natürlich nicht. Gravierender aber erscheint die ungeheure Naivität der gesellschaftlichen „Analyse“. Die naheliegende Frage, gegen wen man da eigentlich antritt, und warum es trotz allem, was oben so zutreffend beschrieben ist, nicht gelingt, eine Wende des selbstzerstörerischen Prozesses einzuleiten, wird weitgehend vermieden – oder mit der mangelnden Durchschlagskraft der Aktionsformen begründet. Stattdessen wird auf die „Regierungen“ fokussiert, die unfähig seien, den Kollaps zu verhindern.

„XR“ entwickelt für die Zeit nach der Rebellion utopische Regierungsmodelle, wie beispielsweise die Ablösung des repräsentativen Parlamentarismus durch eine ausgeloste Versammlung, um die richtigerweise als korrupt erkannten Strukturen zu beseitigen. Themen wie Kapitalismus, Profitinteressen, Monopolkonkurrenz und Imperialismus spielen erwartungsgemäß keine Rolle. „XR“ kann vielleicht noch bis Downing Street 10 oder bis zum Berliner Kanzleramt blicken, bis zu den Konzernzentralen von VW, Toyota, Exxon oder Aramco ganz offenkundig nicht.

Die Klimakrise ist für junge Menschen kein theoretisches Problem. Es geht um ihr Leben. Und Umweltbewegungen haben eine alte Tradition. Und die ist keineswegs immer links, wie man an den „Grünen“ unschwer erkennen kann. Die Niederlage des Sozialismus und in der Folge auch des Reformismus hat viel von zweihundert Jahren kritischer Rationalität zerstört. Eine Lage, in der Phänomene wie „Fridays for Future“ und „XR“ – aber auch 14 Jahre Kanzlerin Merkel möglich sind.

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"Rebellion ohne Klasse", UZ vom 18. Oktober 2019



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