Politische Gespräche in Kuba

Sanktionen, Stimulanzen und Senioren

Von Günter Pohl

Der Präsident Kubas heißt seit fünfzehn Monaten Miguel Díaz-Canel. Wer befürchtet hatte, er würde im Vergleich mit seinen Amtsvorgängern unter Geringschätzung zu leiden haben, wird beim Besuch des Landes eines Besseren belehrt. In kaum einem der mehr als einem Dutzend politischen Gespräche innerhalb weniger Tage fehlte der Bezug auf den Präsidenten. Verbunden in der Regel mit dem expliziten Hinweis auf seine persönliche Anwesenheit in den Provinzen, wo er im Stile Fidels Betriebe, Genossenschaften, Lehreinrichtungen oder Massenorganisationen besucht und sich vor allem nach Effizienz und fehlerloser Umsetzung der beschlossenen Politik erkundigt. Díaz-Canel habe sich seinen Ruf erarbeitet, so Enrique Ubieta, Direktor von „Cuba Socialista“, der Theoriezeitschrift der Kommunistischen Partei Kubas.

Auch dadurch, dass Díaz-Canel zitierfähige Sätze sagt, hinterlässt er Eindruck. Ein Beispiel: Bei der aktuellen Politik Kubas und der Meisterung der komplizierten nationalen und internationalen Situation „begleitet Fidel uns. Und wir Fidel.“ Jenseits dieser Dialektik ist auf Kuba in der Tat eine die Revolution weiterführende Arbeit hin zum Sozialismus auch gar nicht denkbar.

Jesús Pulido ist Präsident der ANEC, der Nationalen Vereinigung der Ökonomen und Buchhalter Kubas, die im Juni ihren 8. Kongress durchgeführt hat. Sie ist international mit den kapitalistisch orientierten Gesellschaften Lateinamerikas gut vernetzt. Genosse Pulido ist auch Generalsekretär des 1987 gegründeten lateinamerikanischen Dachverbands der Ökonomen. Es geht unabhängig vom Gesellschaftssystem um „Handel – den gab es schon vor dem Kapitalismus“. Die ANEC unterstützt die Umgestaltungen, die zum Wegfall von „Wasserköpfen in den kubanischen Staatsbetrieben“ führen sollen, und gestaltet sie durch Beratung aktiv mit. Ebenso wichtig wie ein Mentalitätswandel in der Gesellschaft ist für die ANEC ein Unternehmensgesetz. Die Ende Juni beschlossenen erheblichen Lohnerhöhungen im staatlichen Sektor seien als ein erster Schritt positiv, innerhalb einer Lohnreform ist aber ein Gesamtkomplex aus Abschaffung der Libreta-Subventionen und der Doppelwährung in Verbindung mit einer neuen Preispolitik nötig. Die Kaufkraftsteigerungen müssen von Produktivitätssteigerungen, also Warenangeboten, begleitet werden, so Jesús Pulido. Eben diese hält die Regierung durch den Lohnanreiz – von dem sie sich auch den Stopp weiterer Abgänge in besser bezahlte Genossenschaften oder Selbstständigkeiten erwartet – für wahrscheinlich. Die Staatsbetriebe können nun zudem zusätzliche Stimulanzlöhne geben. Das Hauptproblem bleibt aber der 1:1-Umtausch zwischen kubanischem Peso (CUP) und konvertiblem CUC bei Staatsbetrieben, der „zu einer Importmentalität“ führe. Es kommt aber darauf an, selbst zu produzieren, um Exportüberschüsse zu erreichen.

Kein Gespräch über Wirtschaft und Politik ohne Erwähnung der USA, die immer mit am Tisch sitzen. Und keines ohne Austausch über die Verschärfung der Helms/Burton-Gesetzgebung durch die Inkraftsetzung von deren Artikel III und IV. „Seit heute ist CubaMetal auf der Sanktionsliste“, sagt Juan Carlos Marsán, Europa-, Asien-, und Afrikaverantwortlicher in der Abteilung für Internationale Beziehungen der Kommunistischen Partei Kubas. „Wir sind auf weitere Verschärfungen vorbereitet, die bis hin zu einer Art neuerlicher Sonderperiode gehen können.“ Aber die kubanische Außenwirtschaft ist diversifizierter als in den 90ern, und heute gibt es gute Beziehungen zu wirtschaftlich starken Staaten wie der VR China und der Russischen Föderation. Ángel Arzuaga, stellvertretender Chef der Internationalen Abteilung der KP Kubas, die nach dem Eintritt von José Ramón Balaguer in den Ruhestand nun von José Ramón Machado, dem 2. Sekretär der PCC, geleitet wird, sieht die USA durch Trump „wie ein Unternehmen geführt. Aber es geht nicht allein um Trump, sondern um die Rechtsextremisten um ihn herum, die unter allen Präsidenten immer nur Störfeuer gemacht hatten; jetzt haben sie Entscheidungspositionen.“ Genosse Arzuaga dankt der DKP für ihre anhaltende politische Unterstützung. Die internationale Kuba-Solidarität müsse angesichts der Verschärfungen gegen Kuba und Venezuela nun allerdings „über das Traditionelle“ hinausgehen.

Der Kommunistische Jugendverband, die UJC, bereitet sich auf den 11. Kongress im kommenden April vor. Der Kampf um die Meinungsführerschaft in den gesellschaftlichen Netzwerken steht seit Jahren im Vordergrund. „Es geht darum, Werkzeuge zu schaffen, mit denen Wahrheit von Lüge unterschieden werden kann. Vor allem, weil Kuba medial stark bombardiert wird“, so die Kommunikationsverantwortliche der UJC, Genossin Danae. Da kubanische Jugendliche gern unterschiedliche Informationen suchen, sind Twitter, Instagram oder Facebook Plattformen, über die sie Informationen beziehen. Die UJC bietet den Blog „El Joven Cubano“ (Junger Kubaner) an. Dort wird natürlich auch die Blockade Kubas thematisiert, zumal über das Internet Jugendliche aus aller Welt erreicht werden können.

Die „älteren Studierenden“ der Universität Havanna.

Die „älteren Studierenden“ der Universität Havanna.

( Günter Pohl)

Eine Einladung der KP Kubas ist immer auch ein gegenseitiger Informationsaustausch. In diesem Fall erging eine Einladung an die DKP, über die Entwicklung in der Europäischen Union zu referieren, speziell nach den Wahlen zum EU-Parlament, aber auch zur Lage in Deutschland. Die Zuhörerschaft arbeitet im Forschungszentrum für Internationale Politik (CIPI), das Zuarbeit bei der Bewertung der internationalen Lage leistet und damit zentral für die Außenpolitik Kubas ist. Sie sind entsprechend gut informiert, wofür die Bereitschaft zur konstruktiven Debatte eine Voraussetzung ist. Dass zu den Aufgaben innerhalb des Kampfes gegen die Blockade heute mehr als je ein Verständnis der Internationalisierung dieses US-kubanischen Konflikts gehört, wenn man die entsprechenden Anmaßungen der USA mit ähnlichen Sanktionen gegen den Iran, Venezuela, Syrien, die Russische Föderation, die DVRK, Nicaragua oder die VR China berücksichtigt, wird von den Forscherinnen und Forschern des CIPI geteilt. Ebenso gab es Zustimmung zu der These, dass zu den Aufgaben der kommunistischen Parteien angesichts von Flucht, Klimawandel, Individualität, zunehmender Intoleranz und Wissenschaftsfeindlichkeit heute die Verteidigung einer regelbasierten UN-Ordnung, der universellen Menschenrechte und damit des Menschheitsstandpunkts der historischen Aufklärung gehört.

Die Tatsache, dass US-Präsident Trump die deutsche Automobilindustrie zur Gefahr für die innere Sicherheit der USA erklärt hat (also die Industrie eines der engsten Verbündeten – kapitalistisch, imperialistisch und in wesentlichen Fragen in Übereinstimmung mit den USA), zeugt davon, dass Kommunisten heute punktuell selbst die kapitalistisch orientierte WTO verteidigen sollten – auf der zugrunde liegenden Annahme, dass es in konkreten Fragen eines breiten Bündnisses bedarf, um eine Sanktions- und Blockadepolitik der derzeitigen US-Regierung zurückzuweisen, die innerhalb der für Kuba geltenden Kontinuität eine neue Qualität angenommen hat.

Das steht mittelfristig in engem Zusammenhang zu den Aussichten auf eine sozialistische Umgestaltung in den kapitalistischen Ländern, welche weit über die internationalistische Solidarität politischer und materieller Art hinaus für Kuba die wertvollste Unterstützung wäre. Und genau hier ist der Widerspruch zwischen objektiver Notwendigkeit und subjektiver Schwäche frappierend. Die tendenzielle Abkehr sozialistischer oder Linksparteien Europas von der Sache des Sozialismus wird dabei im CIPI aufmerksam wahrgenommen.

Francisca López, Vorsitzende der am 12. April 2017 gegründeten „Cátedra Fidel“ an der Universität Havanna, ließ es sich nicht nehmen, zu einem Gegenbesuch in der gut 290 Jahre alten Universität zu bitten. Sie hatte im Mai in Bochum bei einer Festveranstaltung des Netzwerks Cuba über „60 Jahre Kubanische Revolution“ referiert und war auch in den Parteivorstand der DKP eingeladen. Ein Dutzend Fachleute des Lehrstuhls, der Leben und Werk Fidels wissenschaftlich aufarbeitet, nahm sich Zeit für eine Führung durch eine der ältesten Universitäten des Kontinents. Just an diesem Tag gab es Diplome für die „älteren Studierenden“, die bei einer bewegenden Feier mit sichtlichem Stolz – und durchaus fünfzig Jahre älter als ihre Kommilitoninnen und Kommilitonen – akademische Weihen erreichten. Es ist gerade auch der Umgang mit den Senioren, der Bände über den Humanismus der Kubanischen Revolution spricht.

Havanna wird am 16. November fünfhundert Jahre alt. „Die Feiern werden begleitet von zahlreichen kulturellen Aktivitäten und der Konservierung und Restaurierung der Denkmäler“, sagt Surisday Reyes, Kunstkritikerin und Direktorin des Nationalmuseums für zeitgenössische Keramik. „Die Altstadt von Havanna ist ein wichtiger Referenzpunkt und darf bei keinem Besuch fehlen.“ Die Restaurierungsarbeiten umfassen Wohnhäuser, Straßen und Plätze. Teil der Arbeiten durch das Büro des Historikers Eusebio Leal war die Redimensionierung des „Templete“ an der Plaza de Armas, einer neoklassizistischen Anlage des 19. Jahrhunderts, die auf drei Großgemälden an die Gründung von „San Cristóbal de La Habana“ erinnert. Kaum zu glauben: Ende der 20er Jahre hatte man die Anlage halbiert, um Platz zu schaffen, der dann sogar für PKW genutzt wurde. Insofern besinnt sich das revolutionäre Kuba auch auf die Wiedergewinnung einer im Kapitalismus dem Profitstreben verfallenden Kultur – und zeigt sich als ihr rechtmäßiger Erbe.

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"Sanktionen, Stimulanzen und Senioren", UZ vom 19. Juli 2019



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