Krise im Libanon: „Westen“ zeigt sich wenig hilfreich

Sanktionspolitik statt Lösungsvorschläge

Der kommissarische Ministerpräsident des Libanon, Hassan Diab, warnte vor einer sozialen Explosion. Die Haltung des Auslands, Hilfe erst dann zu gewähren, wenn das zutiefst korrupte System des Libanon reformiert sei, bedrohe das Leben der Menschen und die Stabilität des Landes. Der Libanon sei vom Ausland belagert.

Anne Grillo, die Botschafterin der ehemaligen Kolonialmacht Frankreich, wies das umgehend zurück und verwies auf die lange Geschichte von Missmanagement und Korruption im Land. Sie erwähnte dabei nicht die überwiegend wohlwollende Zusammenarbeit der westlichen Regierungen mit den gleichgesinnten Regierungen des Libanon.

Die Krise trifft die Bürger des Landes, die über keine Dollarguthaben verfügen. Nach acht Monaten ist es Saad Hariri, dem designierten Ministerpräsidenten, noch immer nicht gelungen, eine Regierung zu bilden. Schlägereien und Schießereien an Tankstellen illustrieren, was ein Bericht der Weltbank besagt: Die Krise im Libanon gehört zu den zehn – und vielleicht sogar zu den drei – schlimmsten ökonomischen Krisen der letzten 150 Jahre. Ein so brutaler und schneller Einbruch der Wirtschaft um 40 Prozent komme eigentlich nur in Kriegszeiten vor.

Und Krieg ist nicht so weit entfernt. Die westlichen Sanktionen im Krieg gegen Syrien haben dem Libanon einen der wichtigsten Handelspartner genommen. Und die Blockadepolitik im Wirtschaftskrieg gegen den Iran verhindert Lösungsmöglichkeiten.

Der Iran prüfe ernsthaft, Treibstoffe in den Libanon zu liefern, die in libanesischer Währung bezahlt werden könnten – das hatte ein Sprecher der iranischen Regierung erklärt. Den gleichen Vorschlag hatte zuvor schon der Generalsekretär der Hisbollah, Hassan Nasrallah, gemacht. Und damit würde zumindest ein Teil der akuten Probleme des Landes behoben werden.
„Nein!“, sagte dazu Dorothy Shea, die US-Botschafterin im Libanon – im Gleichklang mit ihrer französischen Kollegin. „Öl aus dem Iran zu importieren ist keine Lösung“, twitterte sie. Es gebe andere Möglichkeiten, Treibstoff und Elektrizität für die Menschen im Libanon zu liefern. Die Korruption zu beenden sei eine Lösung.

Die Haltung der Botschafterin kann nicht überraschen, denn der Kampf gegen den Einfluss der Hisbollah im Libanon ist nicht neu. Zuletzt hatte US-Außenminister Antony Blinken im Mai die „Regierungen weltweit“ aufgerufen, gegen die Hisbollah vorzugehen, ihre Aktivitäten zu unterbinden und ihre Netzwerke zu zerschlagen. Er hält die Hisbollah offenbar für eine sehr mächtige Organisation. Und wieder einmal verhängten die USA Sanktionen, diesmal traf es sieben Libanesen, darunter Ibrahim Ali Daher, den das US-Finanzministerium als „globalen Terroristen“ bezeichnete.

Für die neue israelische Regierung ist die Krise des Libanon mit dem möglichen Staatszerfall und unabsehbaren Konsequenzen eine Bedrohung – aber auch eine Gelegenheit, Einfluss zu gewinnen und die Hisbollah zu schwächen. Verteidigungsminister Benjamin Gantz bot offiziell Hilfe an.

In all dem Grauen zwischen wirtschaftlichem Zerfall, Hunger, Corona und der Möglichkeit einer sozialen Explosion bis hin zu einem Bürgerkrieg gibt es die Hoffnung auf ein Projekt: Der Hafen von Beirut, der vor einem Jahr durch eine gewaltige Explosion zerstört wurde, soll wiederaufgebaut werden. Wirtschaftsdelegationen aus Russland und Frankreich bewerben sich darum. Russland hat gute Beziehungen zu den gegensätzlichen Parteien im Libanon und bietet einen grenzübergreifenden Entwicklungsplan an. Unternehmen aus Frankreich dagegen verfügen traditionell über beste Beziehungen zur korrupten Bürokratie.

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"Sanktionspolitik statt Lösungsvorschläge", UZ vom 16. Juli 2021



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