Der Werra-Meißner-Kreis wird kaputtgespart. Haushaltsrede des Kreistagsabgeordneten Andreas Heine

„Schlicht und einfach Verfassungsbruch“

Andreas Heine

In der vergangenen Woche wurde im Werra-Meißner-Kreis ein Nachtragshaushalt für das Jahr 2024 beschlossen. Notwendig geworden war das durch einen Anstieg des Defizits um rund 10 Millionen Euro. Wir dokumentieren die Haushaltsrede von Andreas Heine (DKP), Vorsitzender der Linksfraktion im Kreistag, in leicht redigierter und gekürzter Fassung.

Vor einem knappen Jahr haben wir an dieser Stelle über ein Haushaltsdefizit von 14 Millionen Euro gesprochen. (…) Wir haben den Haushalt vor allem deswegen abgelehnt, weil wir nicht akzeptieren können, dass die Kommunen in unserem Land, die Städte und Gemeinden im Kreis und der Werra-Meißner-Kreis völlig ungenügend mit finanziellen Mitteln vom Land ausgestattet werden.

Artikel 137 der Hessischen Verfassung und auch Artikel 104a des Grundgesetzes sind von mir schon mehrfach zitiert worden. Hier sind die Themen „kommunale Selbstverwaltung“, „finanzieller Lastenausgleich“ und „Konnexitätsprinzip“ festgeschrieben. Was wir tagtäglich erleben, ist aus meiner Sicht schlicht und einfach Verfassungsbruch.

Die unzureichende Finanzausstattung, die ständig steigenden Standards in vielen Bereichen und der zu geringe finanzielle Ausgleich bei den Transferleistungen rauben den Kommunen den letzten Rest von kommunaler Selbstverwaltung. Sie führen zum Verfall kommunaler Infrastruktur, zum Abbau kommunaler Leistungen und zur Schließung kommunaler Einrichtungen. Der Privatisierungsdruck steigt und in immer höherem Maße werden die Bürgerinnen und Bürger durch immer weiter steigende Gebühren und Steuern belastet. (…)

Die Mehrbelastungen fallen zum größten Teil im Fachbereich 4 (Jugend und Familie) an. Soziale Verwerfungen, die weiter steigende Armut und der mangelhafte finanzielle Ausgleich für unsere Leistungen bei der Bewältigung von Flucht und Migration kosten uns weitere Millionenbeträge.

Der zweite Bereich, der uns stark belastet, ist die ungenügende Finanzierung der Krankenhäuser. Allein hier mussten wir mehr als 5 Millionen Euro zusätzlich zuschießen, um das Klinikum vor der Zahlungsunfähigkeit zu bewahren. Bund und Land kommen ihren Verpflichtungen seit Jahren nicht nach. Unsere Fraktion hatte im Frühjahr angeregt, sich hiergegen, ähnlich wie das Klinikum in Groß-Gerau, auch juristisch zur Wehr zu setzen. Und es ist gut, dass das Klinikum jetzt auch eine Klage vorbereitet, um wenigstens einen Teil der vorenthaltenen Gelder zurückzubekommen.

Jetzt haben wir aber als Kreis nicht nur das defizitäre Klinikum „am Backen“, sondern können uns gleichzeitig als Eigentümer über eine sehr profitable Sparkasse Werra-Meißner freuen. Dieses Finanzinstitut verfügt über Eigenkapital von 240 Millionen Euro. Es hat im Jahr 2023 einen Gesamtgewinn nach Steuern von 13 Millionen Euro erwirtschaftet. Hiervon wurden 11 Millionen in den Fonds für allgemeine Bankrisiken überführt, also quasi „auf die hohe Kante gelegt“ (viel, viel mehr als in den Vorjahren). Knapp 2 Millionen Euro wurden als Bilanzgewinn ausgewiesen. Uns, dem Werra-Meißner-Kreis, wurden davon gerade mal 300.000 Euro ausgeschüttet. (…)

Mit dem Geld der Sparkasse ließen sich einige der im Haushaltssicherungskonzept angedachten Einsparungen locker ausgleichen. Von der sechsmonatigen Stellenbesetzungssperre, die letztlich zu höheren Belastungen für die Beschäftigten und zu längeren Bearbeitungsfristen führen wird, bis zu der 5-Prozent-Kürzung bei den sogenannten „freiwilligen Leistungen“. Wir haben die Liste vor Kurzem bekommen und können jetzt überlegen, ob wir die 136.000 Euro lieber bei der Fraktionsarbeit, beim Seniorennachmittag, bei der Feuerwehr oder bei der Grundschulkinderbetreuung einsparen sollen. Was für ein Blödsinn! (…)

Dieser (Nachtrags-)Haushaltsentwurf macht die Folgen von Kriegstüchtigkeit und Hochrüstung, von einer Steuer- und Finanzpolitik zugunsten der Superreichen deutlich: Mehrbelastung und Verarmung breiterer Bevölkerungskreise, soziale Verwerfungen, Verfall öffentlicher Infrastruktur, weitere Verschärfung der Klimakrise, handlungsunfähige Kommunen und mangelhafte öffentliche Daseinsvorsorge.

Wir brauchen 100-Milliarden-Programme nicht für Waffen und Aufrüstung, sondern für Gesundheit, Wohnungsbau, Bildung, öffentlichen Personenverkehr, Ausbau erneuerbarer Energien und letztlich auch für handlungsfähige, zukunftsfähige Kommunen.

Bei einer neuen Regierung mit einem Kanzler Merz und einem Vizekanzler Pistorius kann man sich heute schon ausmalen, dass sich der Handlungsspielraum für uns als Kommune weiter verringern wird und dass die Menschen im Land noch mehr unter steigenden Lasten und Sozial- und Demokratieabbau leiden werden.

Hiergegen muss und wird sich Widerstand entwickeln.

Haushalten wie diesem, die den Kommunen aufgrund ungenügender Finanzzuweisungen nur noch die Mangelverwaltung ermöglichen, werden wir weder heute noch Zukunft zustimmen.

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"„Schlicht und einfach Verfassungsbruch“", UZ vom 22. November 2024



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