Leander Sukovs „Ochsenfurter Rundgang“

Schönes Städtchen mit Schattenseiten

Von Birgit Gärtner

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Leander Sukov: Schöne kleine Stadt – Ochsenfurter Rundgang. Kulturmaschinen Verlag, Ochsenfurt, 2015, 125 S., zahlreiche Zeichnungen, 14,50 Euro

Die kurzweilig geschriebene Novelle „Schöne kleine Stadt – Ochsenfurter Rundgang“ von Leander Sukov enthält viel Historisches, wobei die Grenzen zwischen Wahrheit und Fiktion mitunter sehr fließend sind. Deshalb ist es ratsam, es dem Autor gleichtun: „Ich will die Sage als wahr annehmen, und wenn sie nicht wahr sein sollte, so ist sie doch gut erfunden.“

Die erste urkundliche Erwähnung von Ochsenfurt erfolgte 725, als das Kloster gebaut wurde, in dem um 740 herum Thekla von Kitzingen Äbtissin war. „Medizin und Unterricht bestimmten ihr Leben“, weiß Sukov über die später heilig gesprochene Nonne zu berichten. 1103 schafften sich die Cives (Bürger) zunächst eine Fähre an, eine Generation später wurde eine Brücke gebaut, um mit den Ochsen die Furt besser überqueren zu können.

Das Hotel „Zum Schmied“ weist mit einer Gedenktafel auf die Geschichte des Hans Stock hin: dieser soll verblüffende Ähnlichkeit mit dem schwäbischen Herzog Konrad gehabt haben, welcher sich erfolglos als Feldheer in Italien versuchte. Was nicht nur ihn, sondern auch zahlreiche seiner Gefolgsleute das Leben kostete. Da Hans Stock dem Adeligen so sehr ähnelte, soll die verbliebene Schar ihn dazu verdonnert haben, die Führung zu übernehmen und sie heil über die Alpen zurück nach Hause zu führen. Dieser führte seine Follower schnurstracks ins schöne Ochsenfurt, wo er den Dienst als Herzog-Double quittierte, und in die Fußstapfen seines Vaters, des Schmiedes, trat.

Leander Sukov

Leander Sukov

Sukov erzählt Geschichten von Hexenverfolgung und -verbrennung. Außerdem vom Schicksal der aufständischen Bauern, denen 1525 zunächst bereitwillig die Tore geöffnet worden waren, die für ihren Freiheitsdrang indes einen hohen Blutzoll zahlen mussten: „Viele Bauern büßten auf Scheiterhaufen oder wurden vor Kanonen gebunden, lebendig gehäutet, ausgeweidet, ihnen wurden die Hände abgehackt, die Ohren abgeschnitten.“

Und auch die Geschichte der Judenverfolgung, welche am 29. Juni 1298 mit der Ermordung von 30 jüdischen Frauen, Männern und Kindern begann, bleibt nicht unerwähnt. Am 9. November 1938, der Pogromnacht, wurden auch in Ochsenfurt und Umgebung Synagogen und jüdische Geschäfte zerstört, und die jüdischen Männer ins KZ Dachau verbracht. Sechs Jüdinnen, gebürtig oder länger ansässig in Ochsenfurt, wurden von den Nazis ermordet. Sukov nennt ihre Namen: Sofie Fleischmann, Adelheid Friedmann, Margarete Grünfeld, Marta Neumann, Hanni Sieber und Klara Wurzinger.

Aber er erzählt auch Geschichten von jenen, die halfen, wenn die Not am größten war. Und von den mutigen Frauen, die der Stadt am 1. April 1945, als sie von den Alliierten eingenommen wurde, viel Leid und Zerstörung erspart haben, indem sie unter Lebensgefahr den Befreiern die Stadt geöffnet haben. Ein ihnen gewidmetes Denkmal steht heute in der schönen alten Stadt am Main.

Trotz der Blicke in die dunkelsten, glücklicherweise längst vergangenen Zeiten hat die Novelle nichts bedrohliches; sondern heiter und spritzig wie der Sekt, den die Hochzeitsgesellschaft am Ende der Erzählung schlürft, nimmt der Autor die Lesenden mit auf die Reise durch die wechselvolle Geschichte Ochsenfurts.

„Schöne kleine Stadt“ ist eine literarische Liebeserklärung an die neue Wahlheimat des gebürtigen Hamburgers Sukov. Der charmante Einband sowie reizvolle Zeichnungen des einheimischen Künstlers Günter Jäger laden zum Lesen und Verweilen ein. Die am 6. März 1525 in Memmingen von Vertretern der oberschwäbischen Bauerngruppen verfassten 12 Artikel komplettieren den schmalen, aber informativen Band.

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"Schönes Städtchen mit Schattenseiten", UZ vom 29. Januar 2016



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