Was macht das Arbeiterlied heute noch aktuell?

Solidarität und Erkenntnisgewinn

„Die Marbacher“ spielen politische Lieder. Entstanden aus einer Naturfreunde-Gruppe, haben sie inzwischen über 800 Auftritte hingelegt – und bieten in der Karl-Liebknecht-Schule der DKP nun ein Seminar zu Arbeiterliedern an. UZ sprach mit dem Marbacher-Mitglied Bernhard Löffler über die Bedeutung des Arbeiterlieds heute.

UZ: Das Arbeiterlied ist so alt wie die Arbeiterbewegung selbst, die Marbacher gibt es seit 1974 und ihr denkt nicht ans Aufhören – warum ist das Arbeiterlied heute noch so aktuell?

Bernhard Löffler: Die Lieder der deutschen Arbeiterbewegung zeigen auch heute noch eine große Lebendigkeit, die, von den Medien weitgehend unbeachtet, etwa in der Neuentstehung von Liedern im Kontext von Streiks oder Auseinandersetzungen um Werksschließungen zum Ausdruck kommt. Das ist unser Antrieb, die Auseinandersetzungen unserer Zeit musikalisch zu begleiten. Unsere sozialen Bewegungen brauchen Lieder, möglichst zum gemeinsamen Singen – das fördert den Zusammenhalt, die Solidarität, die Kampfkraft, und das politische Lied ermutigt dazu.

UZ: Was hat euch dazu gebracht, in der Karl-Liebknecht-Schule der DKP ein Seminar zum Arbeiterlied zu machen?

Bernhard Löffler: Das Arbeiter*innen-Lied darf nicht bei den Klassikern wie „Dem Morgenrot entgegen“ oder der „Internationale“ stehen bleiben und braucht Erneuerung und Lieder für die Gegenwart. Wer, wenn nicht wir selbst könnten das leisten? Wir müssen mit unserem Wissen um die sozialen Schieflagen neue Texte und dazu passende Melodien finden. Das immaterielle Weltkulturerbe „Arbeiterlied“ braucht Bewegung und Menschen, welche damit umgehen. Auf diese hoffen wir am Seminar.

UZ: Was zeichnet ein Arbeiterlied aus?

Bernhard Löffler: Das öffentliche Lied verändert immer wieder seinen Charakter – das Arbeiterlied kann von vielen gemeinsam gesungen werden, wenn Melodie und Text leicht erlernbar sind und die ideologische Ausrichtung des Inhalts für die Protagonisten, also die Arbeiterklasse stimmt. Die Bedeutung des politischen Liedes liegt in seiner Kraft, die es entwickeln kann. Der Dichterhimmel und das Lied als Kunstwerk wird vom poetischen Schwadronieren mit dem Arbeiterlied auf die weltlichen Füße gestellt.

UZ: Ein eigenes Arbeiterlied zu schreiben ist Teil eures Seminars. Kann das denn jeder und jede, ein Lied schreiben?

Bernhard Löffler: Ja, wenn die Idee für ein Lied erst mal da ist. Im Arbeiterlied steht deshalb der Text auch meist vor der Melodie. Auch im traditionellen Arbeiterlied war die Aussage vorrangig vor der Musik. Diese war dann das Transportmittel für die Botschaft. Die teilweise sehr schönen Arrangements der Arbeiterlieder von Chören, Orchestern und Ähnliches kamen immer erst hinterher und nachrangig. Mit guten Arrangements haben sich allerdings auch sehr alte Lieder erneuert und haben sich bis heute im allgemeinen Gedächtnis gehalten, siehe „Bella Ciao“ als Disco-Hit von DJ Hugel.

UZ: Ihr seid ja auch international aufgetreten und habt internationale Lieder im Programm. Unterscheidet sich das deutsche Arbeiterlied von denen aus anderen Ländern?

Bernhard Löffler: Ja, im angloamerikanischen Raum steht das Singer-Songwriting im Vordergrund, in den Ländern der Welt spielt die Folklore des jeweiligen Landes eine große Rolle. In Deutschland hat sich das Arbeiterlied als Ausdruck der sozialen Kämpfe und politischer Auseinandersetzungen entwickelt und verkündet klare Botschaften. In der Entwicklung hat sich das Arbeiterlied somit vom allgemeinen Volkslied fortentwickelt, auch wenn wir heute gerne mal die sogenannten demokratischen Volkslieder singen. Gemeinsam allen politischen Liedern dieser Welt eigen ist, dass sie gut mitgesungen werden können und direkte Gefühle transportieren.

UZ: Könnt ihr euch gewerkschaftliche Kämpfe überhaupt ohne Lied vorstellen?

Bernhard Löffler: Nein! Die gewerkschaftlichen Kämpfe benötigen Kultur und Umsetzung in kulturelle Formen wie Theater und Musik. Durch Kultur werden die Auseinandersetzungen und Probleme der Zeit verdeutlicht und umgesetzt.
Das „Selbermachen“, zum Beispiel von eigenen Liedern, beschleunigt Erkenntnisprozesse. Deshalb brauchen wir noch viel mehr Arbeiterlieder – wann, wenn nicht jetzt!


Workshop Arbeiter*innen-Lieder mit den Marbachern
Einführung zum Thema Arbeiter*innen-Lied mit Beispielen | Workshop: Wir schreiben und komponieren ein Arbeiter*in-Lied | Kleiner Auftritt: Die MARBACHER stellen neue Arbeiter*innen-Lieder vor
12./13. November 2022
Karl-Liebknecht-Schule der DKP

Anmeldungen unter kls@dkp.de
Wer vorher schon mal reinhören möchte: Die CDs der Marbacher gibt es unter uz-shop.de


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Über die Autorin

Melina Deymann, geboren 1979, studierte Theaterwissenschaft und Anglistik und machte im Anschluss eine Ausbildung als Buchhändlerin. Dem Traumberuf machte der Aufstieg eines Online-Monopolisten ein jähes Ende. Der UZ kam es zugute.

Melina Deymann ist seit 2017 bei der Zeitung der DKP tätig, zuerst als Volontärin, heute als Redakteurin für internationale Politik und als Chefin vom Dienst. Ihre Liebe zum Schreiben entdeckte sie bei der Arbeit für die „Position“, dem Magazin der Sozialistischen Deutschen Arbeiterjugend.

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"Solidarität und Erkenntnisgewinn", UZ vom 28. Oktober 2022



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