Brigitte-Leserinnen finden Merkel faszinierend

Syrien vor der Haustür, Wäsche perfekt aufgehangen

Von Ellen Beeftink

Das Beste zuerst: „Brigitte, das deutsche Frauenmagazin“ beeinflusst politische Entscheidungen. Kein Witz. Bei „Brigitte Live – Frauen Wählen“ auf der Bühne des Gorki-Theaters in Berlin erklärte Angela Merkel das Thema „Ehe für alle“ zu einer Frage des Gewissens. Soll heißen: kein Fraktionszwang.

Alles auf Anfang. Nach der kleinen Ausnahme Martin Schulz wendet sich das „Brigitte“-Team wieder den weiblichen Vorbildern zu. Und wer könnte mehr über weibliche Frauen-Power erzählen als die mächtigste Frau der Welt: Angela Merkel, vom Volksmund auch gern Mutti genannt. Mutti ist zugewandt, schlagfertig, witzig. Wählt brav zwischen Alternativen. Alltag oder Ausnahmezustand? „Alltag. Ist aber manchmal identisch“. Frage: „Viele Frauen haben mit Perfektionismus zu tun – Sie auch?“ Gegenfrage der Kanzlerin: „Meinen Sie jetzt, beim Wäscheaufhängen, oder wie?“ Und verrät: „Na, wenn Gäste kommen, halte ich die Gläser auch gegen das Licht.“

Ist sie tatsächlich uneitel,wie es landläufig heißt? Nein: „Es wäre falsch zu sagen, ich wäre nicht eitel, man möchte auch keine Zumutung für sein Gegenüber sein.“ Nicht das einzige Statement, mit dem eine Frau bei Frauen punkten kann. Angela Merkel, eine Frau mit ganz normalen Problemen. Wie den meisten ihrer Geschlechtsgenossinnen ist ihr Humor wichtig, auch in der Politik. „Ich lache jeden Tag mindestens einmal, sonst könnte ich den Job nicht machen.“ Manchmal haben sie und ihr Mann sogar den gleichen Humor. Kennengelernt haben sie sich am Arbeitsplatz. Sie schätzt seine Augen, seine klare Haltung in vielen Fragen.

Nächstes entweder/oder: Reden oder Schweigen? „Schweigen.“ Natürlich kann keine Politikerin grundsätzlich lieber schweigen als reden. Sagt die Politikerin. Als Physikerin hatte sie viel Zeit zu Schweigen. Allein „Schweigen wird zu einer Rarität in unserer Gesellschaft. Denken beim Reden ist auch nicht so einfach. Man braucht das Schweigen, um klug reden zu können.“ Heinrich von Kleist allerdings wusste schon, dass „(die) allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden“ zur Bestimmung des Sachverhalts von Nutzen sein kann.

Politische Fragen sind uncool, müssen in Maßen trotzdem sein. Also, was sonst, Syrien. Angela Merkel ist geographisch bewandert und erklärt: „Syrien liegt nicht bei den USA vor der Haustür, sondern vor unserer Haustür: Hier müssen wir als Europäer die Verantwortung übernehmen und dürfen nicht hoffen, dass irgendwer auf der Welt die Probleme schon lösen wird.“ Sie glaubt nicht, „dass Terror über Nacht verschwindet. Aber mit der Zeit wird er das schon.“ Ihr Wort in Gottes Gehörgang, oder wessen auch immer. Zu der Frage nach dem Poker-Face gibt sie diese Erkenntnis zum Besten „Es ist bitter, aber ich habe es aufgegeben. Ich kann‘s nicht! Und worunter ich auch leide: Wenn ich nicht spreche, gucke ich sehr schnell gelangweilt.“

Jetzt hat sie die Wahl: Frauen oder Männer? Verschmitztes Grienen. „Haben sie eine Vorliebe“ – kokettes Lächeln ins Publikum – „als Brigitte.“ Kurze Pause. Irritation bei den Redakteurinnen. Merkel sieht, „ganz viele Frauen sitzen im Publikum, die wollen sicher über Männer sprechen.“ Das Wichtigste zum Schluss. „Was finden Sie an Männern attraktiv?“ Leichte Drehung nach links zur Fragerin, abschätziger Blick, „Bist du noch ganz dicht, mich das zu fragen?“ (ich lese gerade die Gedanken der Kanzlerin) Drehung zum Publikum „Schöne Augen“ Absolut sehenswert.

Na, und dann kam da noch was von einem Mann im Publikum. Es störe ihn, dass gleichgeschlechtliche Paare nicht die gleichen Rechte haben wie heterosexuelle. Merkel beschäftigt das Thema auch sehr. „Bisher ist es homosexuellen Paaren zum Beispiel nicht erlaubt, gemeinsam ein Kind zu adoptieren. Ich habe ein Schlüsselerlebnis gehabt, als ich eine lesbische Frau kennenlernte, die sich mit ihrer Partnerin um acht Pflegekinder kümmert. Wenn der Staat einem homosexuellen Paar Kinder zur Pflege gibt, kann ich nicht mehr mit dem Kindeswohl argumentieren.“ Und „‚die Ehe für alle‘ werde ich in kommenden Gesprächen zu einer Gewissensfrage machen.“ Die Gelegenheit kam schneller als gedacht. Genau vier Tage später. Die Regierungschefin konnte ja nicht ahnen, dass die SPD Seit‘ an Seit‘ mit der Opposition schon in der gleichen Woche eine Abstimmung im Bundestag durchsetzen würde. Einem Mann würde man Abgezocktheit nachrufen. Merkel nicht. Sie ist eine Frau. Perfekt in jeder ihrer Rollen. Übrigens gab sie noch bekannt, dass es am 28./29. September 2017 eine Digitalkonferenz in Estland gibt. Nach einer Weile folgt ein schelmisches „Da hab‘ ich zugesagt“. Ja was denn sonst?

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"Syrien vor der Haustür, Wäsche perfekt aufgehangen", UZ vom 7. Juli 2017



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