Zu Carsten Linnemanns „Aktivrente“

Überall faule Rentner

Fast täglich werden wir von Vorschlägen dieser Regierung beleidigt. Jetzt hat CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann bei „Miosga“ festgestellt, dass wir Rentner zu wenig arbeiten. Erst kürzlich glänzte er mit der Aussage, es gäbe „gar keine Leistungsbereitschaft“ in Deutschland. In der Talkshow ruderte er dann ein wenig herum: Ei freilich gebe es noch Leistungsbereitschaft. Miosga hakte nach: „Wer arbeitet denn jetzt zu wenig?“ Antwort Linnemann: „Die Rentner zum Beispiel.“ Beruhigend fügte er hinzu: „Wir zwingen niemanden“, aber man wolle 2.000 Euro Verdienst steuerfrei stellen. Er nennt das „Aktivrente“.

Angesichts der Vorschläge dieses geleckten Jünglings, der nachweislich seines Lebenslaufs noch nicht einen Tag in seinem Leben mit den Händen geschuftet hat, klatschen sich Dachdecker, Maurer und Altenpfleger erfreut auf die Schenkel und starten mit ergrauten Haaren, kaputtem Rücken und ruinierten Nerven frisch-fromm-fröhlich-frei erneut ins Arbeitsleben. Sie gehören zu den Berufsgruppen mit hoher Belastung. Ebenso wie Beschäftigte (m/w/d) im Gartenbau, der Fleischverarbeitung, in der Krankenpflege und der Gastronomie sowie Fliesenleger und Kassierer. Schlechte Bezahlung korrespondiert exakt mit diesen Berufen.

Da passt es wie die Faust aufs Auge, dass Bundeskanzler Friedrich Merz, ebenfalls mit profundem Nichtwissen über körperliche Arbeit gesegnet, die 48-Stunden-Woche wieder einführen will und Normalarbeitstage von 10 Stunden. Alle, die eine Ahnung von Arbeit haben wissen, dass mit der Dauer der täglichen und wöchentlichen Arbeitszeit nicht nur der körperliche und psychische Verschleiß steigen, sondern auch das Risiko für Fehlhandlungen. Das Unfallrisiko erhöht sich nach der achten Arbeitsstunde exponentiell, ab der zwölften Stunde verdoppelt sich die Unfallrate sogar.

Aber vielleicht hat der Linnemann-Bubi ja recht und wir Alten werden mit unseren Erfahrungen wirklich gesucht? Ich gehe also online auf die Seite des Jobcenters Regensburg und suche nach „Arbeit rentner/innengeeignet“. Folgende Jobangebote erhalte ich: In Regensburg: 0, im Umkreis von 25 Kilometern: 0, im Umkreis von 50 Kilometer: 0. Erst als ich die Suche auf 100 Kilometer ausweite, erhalte ich ein Angebot in einem 91 km entfernten Ort. Gesucht wird ein Kraftfahrzeugmechaniker auf 556-Euro-Basis. Die Anfahrt mit dem Auto würde 1 Stunde und 45 Minuten dauern. Passt perfekt. Werde mich mal bewerben.

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"Überall faule Rentner", UZ vom 30. Mai 2025



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