Internationale kriminelle Organisationen scheren sich keinen Deut um geltendes Recht. Sie machen sich ihre Regeln selbst. Das Motto der global agierenden kalabresischen Mafia ’Ndrangheta bringt es auf den Punkt: „Il mondo si divide in due: esiste la Calabria e ciò che lo diventerà“ (Die Welt ist zweigeteilt: Es gibt Kalabrien und das, was noch Kalabrien werden wird). Mord, Erpressung, Raub – alles einerlei. Ist der Vollzug durch den „Capo di famiglia“ angeordnet, kann keinem Mitglied der ehrenwerten Gesellschaft ein Strick daraus gedreht werden, denn „Tutti colpevoli, nessuno colpevole“ (Sind alle schuldig, ist keiner schuldig). Einfache Botschaften aus der Welt der regelbasierten Ordnung.
Was die ’Ndrangheta kann, kann die NATO schon lange. Der Beifall aus den Reihen der bundesdeutschen Schoßhündchen war US-Präsident Donald Trump sicher, als 125 Kampfjets, Bomber, Tankflugzeuge und ein U-Boot 14 GBU-57-Bomben (Stückpreis 13,5 Millionen US-Dollar) in iranische Ziele lenkten. „Danke, USA“, sagt Roderich Kiesewetter (CDU). Der Iran ist selber schuld, meint Außenminister Johann Wadephul (CDU), hat der doch „rote Linien überschritten“. Kriegsertüchtiger Boris Pistorius (SPD) schwingt sich zur These auf, „Die Israelis haben hier jedes Recht, sich zu verteidigen, auch präemptiv.“ Auch Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) war voll des Dankes, denn US-Bomber erledigen nun den Rest der „Drecksarbeit, die Israel macht für uns alle“. Ein notwendiger Waffengang also, schließlich hatte der Iran „möglicherweise“ die „Atomwaffe in der Hand“.
Wäre dem so, dann verbreitet die US-Geheimdienstkoordinatorin Tulsi Gabbard Lügen, die vor zwei Monaten bekräftigte, die Dienste seien „weiterhin der Ansicht, dass Iran keine Atomwaffe baut“. Der Rest des Bedrohungsszenarios ist kalter Kaffee, alljährlich neu aufgewärmt. „Zeit“-Leser des Jahres 2015 wissen das: „Netanjahu hatte in der dramatischen Rede im September 2012 mit einer cartoonartigen Zeichnung einer Bombe kurz vor der Explosion gewarnt, dass Teheran „spätestens“ im Sommer 2013 in der Lage sein werde, „in wenigen Monaten oder gar wenigen Wochen ausreichend angereichertes Uran für seine erste Bombe zu erhalten“. Entweder sind die Iraner 13 Jahre später immer noch unfähig zur Urananreicherung oder sie haben schlichtweg nicht das Ziel, eine Bombe zu bauen.
In Berlin hat man langsam eingesehen, dass es keine Rechtfertigung der Angriffe Israels und der USA auf den Iran gibt, ein seltsames Schweigen schleicht sich im Regierungsviertel ein, halblaut allenfalls heißt es, man müsse die Vorgänge „völkerrechtlich prüfen“. Angesichts der klaren Worte der UN-Charta zum Verbot von Angriffskriegen und „Präventivschlägen“ sollten Kanzler und Außenminister vielleicht besser ein juristisches Fünftsemester um Rat fragen oder die Strafanzeige studieren, die vor wenigen Tagen der Kabarettist Dieter Hallervorden und rund 20 weitere Personen wegen der „Drecksarbeit“-Äußerung beim Generalbundesanwalt und bei der Staatsanwaltschaft Berlin eingereicht haben. Auch wenn die Anzeige ausbaufähig ist (das Gutheißen der „Drecksarbeit“ ist nicht nur Kriegshetze, sondern auch ein Billigen des völkerrechtswidrigen Angriffskrieges und fällt damit unter Paragraf 140 Strafgesetzbuch), ist dies ein positives Signal für die Friedensbewegung, ebenso wie die geschlossene Phalanx der Völkerrechtler an den juristischen Fakultäten, die (endlich) ein offenes Wort für das Treiben Israels und der USA finden.
Die Frage, was das Völkerrecht noch wert ist, wenn es bei jeder passenden Gelegenheit ignoriert wird, bringt aktuell auch das Postulat einer allseits geltenden „Staatsräson“ zum Schutz des israelischen Staates in Bedrängnis. Außenpolitisch könne kein selbstgeschöpftes Prinzip über dem Völkerrecht stehen, innenpolitisch – so das Verwaltungsgericht Berlin in zwei jüngeren Entscheidungen – sei die „Staatsräson“ kein Zurechnungsprinzip, mit dem sich eine vermeintlich illegale „Gesinnung“ belegen lasse. Dank Merz fangen die bislang wie betoniert wirkenden juristischen Denkfiguren nun doch zu tanzen an und in Kalabrien darf man sich durchaus Sorgen machen.