Die neue Nummer der Z. – Zeitschrift Marxistische Erneuerung ist erschienen

Und das war im November …

Von Raimund Ernst

Z. – Zeitschrift Marxistische Erneuerung

Nr. 115, September 2018

Einzelheftbezug 10,- Euro

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Die Erinnerung an die deutsche Revolution von 1918/19 – inhaltlicher Schwerpunkt des aktuellen Hefts von Z. Zeitschrift Marxistische Erneuerung – ist zugleich und immer die Erinnerung an das vielleicht großartigste Kapitel deutscher Geschichte. Dass dies im Widerspruch steht zum offiziellen Diskurs ist kein Argument gegen diese These, sondern bestätigt sie nur auf das Genaueste. In jenen Novembertagen des Jahres 1918 erhoben sich die Volksmassen, weil sie angesichts von Krieg und Hunger nicht mehr bereit waren, so weiterzuleben wie sie sollten, und die Herrschenden nicht mehr in der Lage waren, so weiterzuregieren wie sie wollten. Es war die klassische revolutionäre Situation und ungeachtet ihrer unmittelbaren historischen Ergebnisse bleibt es der überzeugende, geschichtsmächtige Beweis, was möglich ist, wenn sich Menschen massenhaft für ihre Interessen in Bewegung setzen.

Wer sich bewusst in diese Tradition stellt, wird aus der Lektüre dieser Nummer der Zeitschrift Gewinn und Nutzen ziehen. Werden hier doch auf überschaubarem Raum orientierende „Beiträge zur Verlaufsgeschichte und Interpretation“ angeboten, die ergänzt werden um Beobachtungen zu Fragen der parteipolitischen Formierung der KPD, der Rolle der proletarischen Frauen und zur Biographie eines der führenden Akteure. Sie helfen den Blick auf die Novemberrevolution zu differenzieren und damit zu vertiefen. Ein umfänglicher Literaturbericht zu „100 Jahren Novemberrevolution“ stellt eine willkommene Orientierungshilfe dar.

Für seinen einführenden Aufsatz wählt Stefan Bollinger den Titel „Vom Schicksal der ‚wunderlichsten aller Revolutionen’“. Der Rückbezug auf diese Charakterisierung durch den marxistischen Historiker Arthur Rosenberg aus dem Jahr 1928 ist in dieser herausgehobenen Stellung missverständlich, zumal dann dessen Aufsatz zur Erinnerung an die Novemberrevolution von 1933 mit seiner vorwärtsweisenden kämpferischen Perspektive Erwähnung verdient hätte. Hier heißt es nämlich: „Wenn die Demokratie in Deutschland wieder siegen wird …, dann werden die Arbeiter sich nicht mit dem Achtstundentag und dem gleichen Wahlrecht begnügen, sondern ganze Arbeit tun. Nicht im Sinne des Terrors, aber im Sinne der radikalen Umgestaltung des ganzen Staates und der ganzen Gesellschaft.“ Es ist eben diese Perspektive, die der Erinnerung an die Revolution die notwendige Richtung und das nach wie vor erstrebenswerte Ziel weist. Die Einschätzung Bollingers zur SPD („Die bürgerliche Gesellschaft blieb ihr Horizont“) ist zweifellos richtig, lässt aber die Frage offen, wie denn und vor allem mit wem die demokratischen und sozialen Errungenschaften der Novemberrevolution gegen die Konterrevolution zu verteidigen sind. Dass diese unbedingt verteidigenswert sind, musste auch die KPD spätestens seit 1933 bitterlich erfahren. Aber der Erkenntnis folgt in der Politik nicht immer sofort die entsprechende Praxis. Im Ringen um diese Praxis kommt in unserer Zeit den Lehren der Novemberrevolution entscheidende Bedeutung zu. Einmal erreichter sozialer und demokratischer Fortschritt lassen sich nur bewahren, wenn die dem Kapital gegenüberstehenden Klassen und Schichten einheitlich handeln und an der Überzeugung festhalten, dass eine Gesellschaft ohne Ausbeutung und Krieg möglich ist und noch immer auf ihre Verwirklichung drängt.

Der Beitrag von Klaus Gietinger („Bekanntes und Unbekanntes aus der Novemberrevolution 1918/19“) liest sich wie ein Untersuchungsprotokoll. In verknappter Weise, fast im Telegrammstil, stellt er die Liste der Grausamkeiten zusammen, die von einer reaktionären Soldateska unter Billigung bzw. Duldung der Regierungssozialdemokraten an den Revolutionären bis zum Mai 1919, dem blutigen Ende der Münchener Räterepublik, begangen wurden. Der von Noske zu verantwortende Schießbefehl war durch keine wie auch immer geartete gesetzliche Grundlage gedeckt, es handelte sich also nicht einmal um standrechtliche Erschießungen der Aufständischen, sondern schlicht und einfach um Mord, um bis heute nicht gesühnten Mord! So wenig die Namen der Verantwortlichen vergessen werden dürfen, gewichtiger und weitreichender ist ein anderer Befund Gietingers. Die Orgie der Gewalt stützte sich auf ein Netz von Militär und Polizei, von Einwohnerwehren und Freikorps, das erst durch das Einschreiten der Alliierten in seiner brutalen Zügellosigkeit gebändigt wurde, aber außerhalb des zivilgesellschaftlichen Konsenses weiterlebte.

Ein Gedenken an die Novemberrevolution ohne die Beschäftigung mit Rosa Luxemburg ist kaum vorstellbar. Annelies Laschitza stützt sich bei der Würdigung der Revolutionärin auf den in zwei Teilbänden erschienenen, von ihr selbst edierten siebten Band ihrer Schriften. Hier finden sich u. a. handschriftliche Fragmente aus den Jahren 1917 und 1918, die erkennen lassen, wie gründlich und systematisch Rosa Luxemburg ihre Studien zu Notwendigkeit und Möglichkeit einer sozialistischen Revolution im Zeitalter des Imperialismus betrieben hat. Ihren bereits um die Jahrhundertwende entwickelten Gedanken „einer antikapitalistischen, sozialistischen Revolution im weltweiten Maßstab“ vertiefte sie kontinuierlich, besonders nach Ausbruch des ersten Weltkriegs, dessen „Wurzel sie im kapitalistischen Imperialismus“ mit all den daraus resultierenden Konsequenzen erblickte. Ihre Kritik und Verteidigung der Oktoberrevolution sind bekannt, werden durch zusätzliche Belege bestätigt, führen aber auch jetzt nicht dazu, sie zu einer Kronzeugin gegen die Politik Lenins bei der Verteidigung der Revolution und seinem Versuch, diese zunächst in einem Land erfolgreich fortzusetzen, zu machen. Im Gegenteil! In ihren Notizen vermerkt sie als Herausforderungen für eine epochale Überwindung des kapitalistischen Systems, die noch heute überraschend aktuell sind: die Nationalitätenfrage, das Schicksal der Kolonien, die Perspektiven der Demokratie und die Schuldenlasten durch Militarismus und Kriegskosten.

In Bremen gab es schon vor dem Ersten Weltkrieg eine konsequent linke Strömung innerhalb der SPD, die dann nach Unterordnung der Reichstagsfraktion unter die kaiserlich verordnete Burgfriedenspolitik eine Entwicklung nahm, an deren Ende die Mehrheit der Bremer Sozialdemokraten folgerichtig nicht nur die sofortige Beendigung des Krieges forderte, sondern auch den organisationspolitischen Bruch mit der Mutterpartei. Gerhard Engel, dem wir eine Biographie über Johann Knief, den führenden Repräsentanten der Bremer Linken, verdanken, zeichnet diesen spannenden politischen Prozess nach. Unter dem Namen „Internationale Kommunisten (bzw. Sozialisten) Deutschlands“ waren sie seit Januar 1917 die unbedingten Befürworter einer eigenständigen revolutionären Partei, die für sie die USPD nicht darstellte. Damit hatten sie einen nicht zu unterschätzenden Einfluss – auch dank ihrer internationalen Kontakte zur Zimmerwalder Linken – auf den Formierungsprozess der künftigen Kommunistischen Partei, selbst wenn viele ihrer basisdemokratischen Vorstellungen in der späteren KPD keine Berücksichtigung fanden.

Endlich, so möchte man laut rufen, findet sich in der Erinnerungsliteratur eine Würdigung des Anteils der Frauen am revolutionären Geschehen. Miriam Sachse schildert eine Vielzahl spontaner Aktionen von Frauen, die im Umfeld des Mangels an Nahrungsmitteln als unmittelbare Gegenwehr gegen Teuerung, Preiswucher und Lebensmittelspekulation entstanden. Diese wandelten sich mehr und mehr zu offenen Antikriegsprotesten und mündeten konsequenter Weise im Wiederaufleben der Forderung nach dem Frauenwahlrecht.

Der Hinweis auf zwei Aufsätze zur Politik der KPD zwischen 1919 und 1924 bzw. im Jahr 1923, dem „deutschen Oktober“, soll durch eine persönliche Empfehlung des Rezensenten ergänzt werden, sich der Lektüre von Frank Deppe zu Marx in Hessen und der „Marburger Schule“ zu widmen – wenn auch nicht ganz ohne Wehmut.

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"Und das war im November …", UZ vom 21. September 2018



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