Das erfolgreiche Amtsenthebungsverfahren gegen Präsidentin Rousseff

Verbale Schlammschlacht

Von Maria Galvão und António Veiga

Es scheint, als sei der Machtkampf um die Verwaltung des brasilianischen Kapitalismus zu einem vorläufigen Ende gekommen: Mit 61 zu 20 Stimmen billigte der brasilianische Senat am 31. August 2016 das Amtsenthebungsverfahren gegen Dilma Rousseff von der „Arbeiterpartei“ (PT), bis dato Präsidentin Brasiliens. Michel Temer von der „Partei der Demokratischen Bewegung“ (PMDB), Ex-Vizepräsident unter Rousseff, übernahm noch am selben Tag vollständig das Amt des Präsidenten bis zu den nächsten Wahlen 2018. Als eine der ersten Amtshandlungen verkündet er in einer Fernsehansprache die Deckelung der öffentlichen Ausgaben, eine Reform der Arbeitsgesetzgebung, die Umsetzung der Rentenreform und weitere Maßnahmen, die im wesentlichen ein Ziel verfolgen: Durch einen Großangriff auf die Rechte und den Lebensstandard der Werktätigen Investoren aus dem Ausland günstige und sichere Anlagemöglichkeiten schmackhaft zu machen.

Die Farce des Amtsenthebungsverfahrens war kaum zu übertreffen. Abgesehen von der offensichtlich vorgeschobenen Begründung, Rousseff hätte mit Tricksereien in der Haushaltspolitik gegen die Verfassung verstoßen – Tricksereien, die in jeder Lokalregierung in Brasilien üblich und akzeptiert sind – reichte die Palette der kreativen Anschuldigungen von „Arroganz“ über die „Unfähigkeit zum Regieren“ bis hin zu den schlichten Behauptungen, Rousseff sei „hart“, „schwierig“ und „verschlossen“. Immer wieder wurde auch Gott als Rechtssprecher über Rousseffs Sünden bemüht. Hinter all diesen Plattitüden verbirgt sich die Strategie der jetzigen Gegner und Ex-Alliierten Rousseffs, ihre Regierung für die aktuelle ökonomische Krise Brasiliens verantwortlich zu machen und sich selbst als Retter der Nation darzustellen.

Auch die Verteidiger Rousseffs machten nicht gerade mit besonderem Tiefgang auf sich aufmerksam: Sie sprachen vor allem von der „Undankbarkeit“ und dem „Verrat“ der ehemaligen Alliierten. Rousseff, angeblich die „Ehrlichste von allen“, sei nun das Opfer einer Intrige von Korrupten. Rousseff selbst versuchte, sich nicht im moralischen Diskurs von Verratenen und Verrätern zu positionieren. In einer 45-minütigen Erklärung fokussierte sie auf eine Aufzählung der sozialen Errungenschaften der letzten Jahre, auf die Darstellung des Verfahrens als illegitimen parlamentarischen Putsch und widmete sich im Detail der Widerlegung der konkreten Vorwürfe gegen sie.

Somit spielte sie das Spiel mit: Ihre Beteiligung am juristischen Prozess rechtfertigte sie mit dem Argument, sie müsse ihr Mandat „mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln verteidigen“.

Wiederholt stellt Rousseff ihre Amtsenthebung auf eine Ebene mit ihren Erfahrungen mit dem Militärputsch 1964 – ohne jedoch ähnliche Konsequenzen zu ziehen. Im Angesicht dieser von ihr angeprangerten „Ungerechtigkeit“ wurde weder auf lokaler noch auf regionaler Regierungsebene das Bündnis zwischen PT und PMDB, dem wichtigsten Akteur des Amtsenthebungsverfahrens, aufgekündigt. Zwar kam es zu Massenprotesten in den brasilianischen Me­tropolen, politische Massenstreiks blieben aber weitgehend aus.

Es bleibt fraglich, ob die Selbstdarstellung Rousseffs als Verteidigerin der Rechte der Armen authentisch ist. Denn die Angriffe der neuen Regierung stehen in einer Linie mit dem großen Kürzungsprogramm im Jahr 2015 und den gesetzlichen Einschränkungen der bürgerlichen Freiheiten wie durch die Verabschiedung des „Antiterrorismusgesetzes“ unter der PT-Regierung.

Während sich die Verteidiger und Gegner Rousseffs in einem emotionsgeladenen Verfahren verbal zerreißen und dennoch gemeinsam an einem Tisch zu Abend speisen, findet die physische Auseinandersetzung auf der Straße statt. Denn viele brasilianischen Arbeiterinnen und Arbeiter merken deutlich, dass diese Ablösung der einen bürgerlichen Regierung durch eine andere vor allem eine Verschärfung des Angriffs auf ihre Interessen und Bedürfnisse bedeutet. Ihnen bleibt nur, sich zu widersetzen.

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"Verbale Schlammschlacht", UZ vom 9. September 2016



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